Sprache ist unser Sein

von Andrea Breth

Wien, Oktober 2013. Sehr geehrte Damen und Herren, sprechen wir vom Burgtheater, so sprechen wir auch von einem Nationaltheater. Es stellt sich die Frage, was das bedeuten soll und ob diese Bedeutung heute noch von Belang ist.

Ein Nationaltheater hat einerseits die Aufgabe, das theatralische Gut einer Nation im Gedächtnis zu behalten, andererseits die großen Dramen und Tragödien der Weltliteratur immer wieder neu zu erzählen.

Welthaltige Werke

Die Stücke von Kleist, Schiller oder Shakespeare, um nur wenige zu nennen, sind so welthaltige Werke, die die wichtigsten immer wiederkehrenden Fragen und Probleme der Menschheit erzählen. Lüge, Wahrheit, Macht, Ohnmacht, Krieg, Verrat, Liebe, Tod, Rache, Glaube, Jugend, Alter, Tyrannei, Freiheit, Revolution, Demokratie, Ethik, Moral, Freundschaft, Ehrgeiz ... die Kette ist nahezu endlos. Jedes Zeitalter – jeder Mensch, wenn er nicht völlig abgestumpft ist – setzt sich unweigerlich mit diesen Fragen auseinander. Besonders: Wie soll man das Leben, das schwierige, meistern? Erlauben Sie mir bitte, meine Gedanken an Hand von "Hamlet" versuchsweise auszuführen.

Hamlet und die Rache

Nicht umsonst gibt es zu "Hamlet" kilometerweise Sekundärliteratur, da es nicht möglich ist, das Werk mit einer einzigen Lesart zu verstehen. Da haben wir es unter anderem mit dem Thema Rache zu tun: Hamlet wird von dem Geist, seinem ermordeten Vater aufgerufen, seinen Mord zu rächen. Man könnte davon ausgehen, dass der alte Hamlet ein kriegswütiger König war und Claudius, sein Bruder, kein potentieller Mörder ist, sondern vielleicht aus politischen Gründen eher ein Attentäter, ein Reformator, der dem Krieg die Diplomatie vorzieht. Was eine neue politische Strategie ist, um den kriegerischen jungen Fortinbras in Schach zu halten. Claudius hat also das Wohl des Volkes und des Staates im Sinn. Möchte ein Kriegsverhinderer sein. Nun schleicht sich das gnadenlose Wort Rache ein. Doch Rache zieht immer Rache mit sich, und so lange Rache die Welt erschüttert, wird es immer Krieg geben, ein Thema, das uns auch heute in Atem hält.

hamlet2 560 reinhard wernerAugust Diehl als Hamlet (in Schwarz) in Andrea Breths Inszenierung des Shakespeare-Stücks am Wiener Burgtheater im September 2013. © Reinhard Werner

Dass Hamlets Mutter Claudius liebt und er sie, kann der junge Hamlet nicht ertragen, er versucht erst gar nicht, ihre Beweggründe zu verstehen, sondern bezichtigt sie der Hurerei und würde sie um ein Haar töten, wenn ihn der Geist, der Vater, durch sein Erscheinen nicht davon abhalten würde.

Statt Claudius mordet Hamlet Polonius, dann Rosenkranz und Güldenstern, und so häufen sich die Morde, nur der, an dem er sich rächen soll, bleibt unangetastet. Wiederum ein allgemein gültiges Thema. Dann beschäftigen uns die Fragen, inwieweit Vernunft das Leben leichter ertragen lässt, der Glaube oder das beständige, unter Umständen berechtigte, Misstrauen.

Heiner Müllers "Hamlet" am Ende der DDR

Das Großartige an den so genannten Klassikern ist, dass sie es ermöglichen, sie aus der heutigen Sicht zu lesen, ohne sie zu vergewaltigen. Das beginnt mit der folgenschweren Frage: Wie spielt man die Figur Hamlet heute? Sicherlich war es nahezu einfacher, aber auch riskanter, "Hamlet" in der Zeit des Nationalsozialismus zu spielen. Leicht wäre man verführt, den König mit Hitler gleichzusetzen. Oder wie Heiner Müller Hamlet mit Ulrich Mühe als unverstandenem Intellektuellen in der DDR zu erzählen. Mitten in der Probenarbeit fiel die Mauer, eine Situation, die eine schwere Krise bei den Theaterschaffenden auslöste. Die Lesart von Heiner Müller hatte sich in Luft aufgelöst, sie passte plötzlich nicht mehr in die Zeit.

Die Situation 2013: Resignation und Müdigkeit

Wir haben nun wiederum eine andere Zeit, 2013, in einem von ziemlich viel Angst besetzen Europa, einem Europa, das sich nicht findet, das völlig überfordert zu sein scheint.

Die Intellektuellen sind verstummt, scheinen nur noch zu privatisieren, hie und da flackert ein kleinmütiger Widerstand auf, weil keiner so recht weiß, wie die immer stärker werdenden Missstände behoben werden können.

Ich empfinde eine eigene und eine allgemeine Kraftlosigkeit. Der Westen ist müde, resignativ, gleichzeitig aber verwöhnt im Gegensatz zu den chinesischen Intellektuellen. Das heißt, dass wir ein Werk immer als Kinder unserer Zeit erzählen, die Frage der so genannten Werktreue ist damit hinfällig. Niemand weiß, wie Shakespeare und seine Schauspieler "Hamlet" erzählt haben, und diejenigen, die Werktreue einfordern, wissen es naturgemäß auch nicht.

hamlet3 560 reinhard wernerSzenenbild aus Andrea Breths "Hamlet"-Inszenierung im September 2013 am Burgtheater
© Reinhard Werner

Eins ist wichtig, egal in welcher Zeit: Es ist unsere Aufgabe, die Menschen auf der Bühne in all ihren Facetten, in ihren Widersprüchen zu gestalten, keine moralischen Noten zu verteilen, das Publikum nicht zu bevormunden, es jedoch herauszufordern.

Der heutige Glaube gilt dem Kapital

Das antike Theater war ein Diskussionsforum, man hat mit Hilfe des Theaters die Fragen der Polis abgehandelt, man hat sich die alten Mythen erzählt, um die Welt zu verstehen, es gab noch die Götter, sie wurden befragt, aber auch verdammt.

Bei Shakespeare wird die Frage nach Gott schon bezweifelt, bezweifelt wird auch, ob es eine Hölle und einen Himmel gibt. Die der Vernunft verschriebenen Wittenberger Studenten, Hamlet und Horatio, werden durch die Begegnung mit dem Geist in ihrem Weltbild zutiefst erschüttert. Horatio, der Atheist, versucht sich die Welt durch historisches Wissen zu erklären, für ihn hat das Unerklärliche keinen Platz in seinem Denken. Wir in der heutigen Zeit haben es noch viel schwerer. Wir leben in einem völligen Vakuum: Den Glauben an Gott haben wir verloren, die Utopie, dass der Kommunismus die Gesellschaft verändern kann, ist durch die Politik der Sowjetunion abhanden gekommen. Uns fehlt die dritte Sache, geblieben ist uns das Kapital. Es gilt, den Markt zu beherrschen. Der Markt ist die öffentliche Meinung, der Gewinn wird allerorten der Protagonist. Einsparungen, Quotendenken, Auslastungszahlen, Medienwirksamkeit, Entertainment, Events und ähnlich unerträgliche Begriffe besudeln die Kultur, die Frage nach lebensnotwendiger Bildung erübrigt sich nahezu.

Klassiker schärfen das Denkvermögen

Da wir Theaterleute nicht mehr davon ausgehen können, dass die so genannten Klassiker dem Publikum bekannt sind, müssen wir sie umso mehr erzählen. Sie schärfen unser Denkvermögen, sie betören durch ihre großartige Sprache, die immer mehr verloren geht durch die Kürzelsprache der SMSe. Mittlerweile verarmt unsere wunderbare Sprache auf gefährliche Art und Weise, viele Worte sind aus dem reichen Wortschatz verbannt und werden nicht mehr verstanden, wobei jeder die grässlichen Worte: shoppen, brunchen, cool, krass, vollpeinlich, megageil und ähnlich Ekelerregendes benutzt oder versteht. Vergessen wird darüber, dass der Sprachreichtum ein Ausdruck des Denkens ist, der eine Gesellschaft klug und hellhörig macht.

Verdummungsprozess durch Kunsthandwerkeln auf Bühnen

Heute ist durch verantwortungslose Medien, aber auch durch das dämliche Kunsthandwerkeln auf den deutschen Bühnen ein Verdummungsprozess eingeläutet, der schwerlich aufzuhalten ist. Man meint, das Publikum langweile sich mit den bekannten Stoffen, es brauche dramatisierte Roman-Adaptionen oder Drehbücher, beides egoistische Wünsche der Inszenatoren, die sich sehr vermessen an Stoffe heran machen, die definitiv nicht für die Bühne gemacht worden sind. Ein Roman ist nun einmal eine eigene Kunstgattung, die in keiner Weise verunstaltet werden kann und darf, weil die Erzählung auf der Bühne völlig anderen Gesetzen unterliegt. Eine Roman-Dramatisierung beschädigt den Roman und die Sprache der Bühne. Ein Filmdrehbuch wiederum unterliegt anderen Gesetzen, da der Film über Bilder, Kamerafahrten, Großaufnahmen, wenig Sprache erzählt wird. Alles wird und muss schlechter sein als die Vorlage. Kein Mensch war bisher in der Lage, mir zu erklären, was der tiefere Sinn solcher Unterfangen sein soll. Mein Verdacht ist, dass eine furchtbare Übersättigung der Theatermacher und der Kritiker der Grund ist.

Das Musiktheater kommt ohne Dekonstruktion aus

Ganz anders im Musiktheater. Niemand wird sich fragen, warum man ohne Einschübe, ohne persönliche, rein private Worte "Don Giovanni" musiziert und inszeniert. Das Meisterwerk wird respektiert, kein Dirigent wäre so vermessen, ein solches Werk zu dekonstruieren. Nein, ich glaube, der Mensch hat das Bedürfnis, Geschichten erzählt zu bekommen, wie die Kinder, die immer und immer wieder die gleichen Märchen hören wollen, von Jahr zu Jahr verändert sich ihr Verständnis, verändern sich die Bilder und Erkenntnisse. So ist es auch mit den Erwachsenen. Problematisch ist nur, dass wir uns in einer Zeit befinden, in der all diese Dramen oder Tragödien nicht mehr Allgemeingut sind, wir sind Spezialisten geworden, verwalten eine spezielle Aufgabe und ahnen nicht, wie viel uns verloren geht, wenn wir Literatur nur noch als Zeitvertreib erachten. Unsere Kenntnislosigkeit lässt uns verarmen. Ungebildete deutsche Soldaten haben hungernd auf dem Rückzug aus Russland überlebt, weil ihnen "Faust" vorgelesen wurde; der Hunger nach Theater nach dem verlorenem zweiten Weltkrieg war unbeschreiblich, das Theater in der ehemaligen DDR war immer voll.

Sorge um das kulturelle Gedächtnis

Ich will mit meinen Ausführungen keineswegs sagen, dass alle heutigen Stücke wertlos seien, ich habe viele in Wien inszeniert, aber wenige haben den Tiefgang wie die Klassiker. Man kann auch nicht erwarten, dass jedes Jahrhundert einen Shakespeare hervorbringt. Nein, es geht mir um etwas anderes, es geht mir um das kulturelle Gedächtnis. Ich sorge mich, dass es eines Tages keine deutsche Sprache mehr geben wird. Die englische Sprache wird zur Weltsprache, dagegen ist gar nichts zu sagen, aber ich möchte Kleist, Goethe, Schiller, Hölderlin, Rilke nicht in einer Übersetzung hören. Wie wir von Brecht, Peter Weiss, Joseph Roth, Eisler, Weill, Kortner und vielen anderen wissen, ist der Verlust, sich in der eigenen Sprache auszudrücken, mehr als schmerzhaft. Sprache ist unsere Identität, ist unser Sein, unser Denken, unser Empfinden; Musik Ausdruck unseres Gefühls. Wir können Racine, Corneille kaum erfassen, weil der Alexandriner im Deutschen nicht klingt, Puschkin unerträglich, Calderon schwierig, so wie Raimund und Nestroy für Deutsche nicht wirklich verständlich ist. Das ist nicht schlimm, aber eine Tatsache, die dafür spricht, dass wir unsere Kultur pflegen müssen. Wir müssen über unsere Vergangenheit Bescheid wissen, sonst verstehen wir die Gegenwart nicht. Politiker, die die eigene Kultur nicht verstehen, und die der anderen Länder nicht, die kein historisches Bewusstsein haben, beherrschen ihren Beruf nicht. Wir können unsere Gesellschaft nicht verstehen, wenn wir nicht um unsere Geschichte wissen.

Die Bibel erzählt Geschichten, Dramen, Tragödien, auch der Talmud, der Koran: alles Bücher, die versuchen, die Welt zu erklären.

Theater ist immer noch eine moralische Anstalt

Wir Theaterleute sind nicht aufgerufen, die Welt zu erklären, aber wir sind dazu aufgerufen, mit Hilfe der großen Werke die richtigen Fragen zu stellen. Wir können die Welt nicht erklären, wir können sie nicht verändern. Kein Theaterabend hat eine Revolution hervorgerufen, dennoch sollte das Theater immer noch eine moralische Anstalt sein, keine Unterhaltungsbude, keine Verblödungsakademie, nein, ein Ort, der auf spannendste Art und Weise – manchmal heiter, manchmal traurig, aber immer an Gedanken reich – das Publikum bereichert und es voll von Fragen nach Hause gehen lässt. Es soll in der Tat ein sinnlicher Ort sein, keine Schule, aber vielleicht kann dieser Ort dazu verführen, dass wir sagen: Denken macht Freude. Denken gibt uns Kraft, schenkt uns Argumente, die Schauspieler sind die Transporteure, sie sollten sich mit ihrer Kunst in den Dienst der Sache stellen, sich in den Text vertiefen, nicht ihrer Eitelkeit frönen, sie sollten um ihre Verantwortung wissen, sie sind – wenn es gut geht – die größten Verführer, sie machen uns leiden, lachen, weinen, sie können verstören. Sie sind der Spiegel unserer Zeit, wie es in "Hamlet" heißt. Sie sollten aber keine schlechten Clowns sein, sie sollten die Menschen, die sie verkörpern nie, um zu gefallen, verraten. Nein, unser Beruf verlangt Hingabe, Demut und trotzdem Mut, all dem, so weit es in unserer Macht steht und in unseren Möglichkeiten, gerecht zu werden.

Der Raum der Phantasie

Leichter Sinn ist manchmal wünschenswert, aber nicht Leichtsinn, Mode verwerflich, weil zeitlich. Bildende Künstler zu missbrauchen, indem man sich ihrer Ästhetik bedient, ist ebenso verwerflich. Wir müssen die Sprache des Theaters wieder finden, den Raum der Phantasie, der die Phantasie des Publikums erweckt. Das hat uns der Realismus oder Naturalismus des 20. Jahrhunderts geraubt. Die bildende Kunst hat uns schon lange überholt, nicht der "Tatort", die beliebteste Sendung des Fernsehens, das ist nur eine klägliche Wiederholung der unzähligen Ritterspiele zu Shakespeares Zeiten, die Gott sei Dank im Papierkorb der Pseudoliteratur gelandet sind. Wir müssen neue Formen finden, ohne den tiefen Sinn der wunderbaren "Klassiker" zu verlieren, ohne sie durch Kunstgewerbe zu verspießern.

hamlet4 560 reinhard wernerAus Andrea Breths Inszenierung von Shakespeares "Hamlet" mit August Diehl (ganz links) in der Titelrolle. © Reinhard Werner

Das Scheitern des öffentlich-rechtlichen Fernsehens

Wie erklärt man sich, dass die Menschen endlos Schlange stehen, um eine Ausstellung zu sehen, dass sie die Konzertsäle füllen, dass sie Kinos besuchen? Das kann doch nur heißen, dass es das Bedürfnis nach Kultur gibt, dass es das Bedürfnis nach Bildung gibt. Auffällig ist, dass die Politiker an diesen Orten nicht zu finden sind, aber gleichzeitig behaupten, es würde für Kultur zu viel Geld ausgegeben. Allein in Wien gehen an einem Abend 40.000 Menschen in kulturelle Veranstaltungen. Das österreichische Fernsehen interessiert sich nicht im Mindesten für Kultur. Viele Menschen können sich die Salzburger Festspiele nicht leisten, früher wurde nahezu alles dort aufgezeichnet, heute haben die Menschen im eigenen Land keine Chance daran teilzuhaben. Angeblich ist die Einschaltquote zu klein. Darf ein öffentlich rechtliches Fernsehen überhaupt so denken? Ist diese Institution nicht genauso verantwortlich dafür, was wir den Menschen erzählen? Sollen wir uns alle zum miesen Handlanger der Verblödung machen? Die einzig und allein dazu dient, dass der Mensch immer unmündiger wird? Denken entsteht durch Sprache und umgekehrt. Wir müssen keine dröge Erziehungsanstalt sein, aber wir müssen mündig sein, lesen lernen, vor allem zwischen den Zeilen, wir müssen die Kunst der Debatte wieder lernen, nicht in Talkshows dummes Zeug quasseln. Wissen, Allgemeinbildung, Kennerschaft, die Lust an der Aufklärung, Humanität, der Wille, nicht Vorurteile zu bilden, sondern sinnvolle Urteile, zu verstehen, dass Ausländer keine Feinde sind, dass es aufhören muss, dass die Armut so rapide zunimmt, dass die Raffgier nur zum Elend führen kann, dass christliches Verhalten nichts damit zu tun hat, ob man die Kirche besucht oder nicht, und dass das Fremde seine Berechtigung hat. Dass wir selber für unsere Gesellschaft verantwortlich sind, dass wir nicht blindlings alles delegieren können.

Niemand hat den Tod des Theaters erlebt

Dass Kritik Interesse bedeutet und dass wir nicht lieblos damit umgehen, was kluge Menschen wie die Dichter uns auf den Weg gegeben haben. Ihre Stimme ist und wird immer wichtig bleiben. Wären wir erneut dazu aufgerufen, Bücher zu verbrennen, Gemälde zu zerstören, Kompositionen zu vernichten, Filme in Flammen aufgehen zu lassen, wir wären hoffnungslos verloren. Käme irgendein Wahnsinniger auf die Idee, das Burgtheater als Theater zu schließen, um ein Schwimmbad daraus zu machen oder eine interessante Tiefgarage, ich würde auch dort inszenieren. Keiner wird und kann das Theater zerstören, auch wenn es oft probiert wurde. Die tausend Jahre der Geschichte haben den Fall von Staaten, Herrschern, Systemen erlebt, aber niemand hat den Tod des Theaters erlebt, auch wenn es stets von frustrierten Feuilletonisten heraufbeschworen wird.


andrea-brethAndrea Breth, geboren 1952 in Rieden bei Füssen, ist eine der prägenden Regisseurinnen der Gegenwart. Sie war von 1992 bis 1997 künstlerische Leiterin der Berliner Schaubühne und wurde 1999 Hausregisseurin am Wiener Burgtheater, wo sie auch heute noch regelmäßig inszeniert. Ihre Inszenierung von William Shakespeares "Hamlet" mit August Diehl in der Titelrolle kam September 2013 am Burgtheater heraus.

 

 

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Hier die Nachtkritik zu Andrea Breths Hamlet am Wiener Burgtheater.

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Kommentare  
Burgrede Breth: Bravo!
Bravo, Andrea Breth, bravo!
Burgrede Breth: Danke, Andrea Breth!
Vollverdummte Kürzelsprecher ab in die moralische Anstalt und Shakespeare lernen! Danke, Andrea Breth! Du bist unser kulturelles Gedächtnis!
Burgrede Breth: Schuld und Sühne
"Eine Roman-Dramatisierung beschädigt den Roman und die Sprache der Bühne. Kein Mensch war bisher in der Lage, mir zu erklären, was der tiefere Sinn solcher Unterfangen sein soll." - Ich frage mich, warum Breth dann selbst "Schuld und Sühne" dramatisiert hat?
Burgrede Breth: Intellektuelle nicht verstummt
Liebe, verehrte Andrea Breth! Es wäre aus meiner Sicht angeraten, den von Müller mit Ulrich Mühe erzählten DDR-Intellektuellen-Hamlet, dem seinerzeit die Mauer auf die Füße gefallen war, nicht zu verwechseln mit dem geschriebenen Blablabla-Hamlet an der Brandung der Postmoderne. Der mit der DDR nur sehr wenig und mit Shakespeare als Revolutionsersatz in unseren Gesellschaften sehr viel zu tun hatte. Und der mit jeder heute reklassifizierten Hamlet-Inszenierung uns mehr zu sagen hat und lauter wird. Die damalige Lesart seines eigenen Stückes in der Inszenierung mag sich ja, wie Sie sagen, plötzlich in Luft aufgelöst haben. Bedauerlicherweise verschweigen Sie, dass der Text der Hamletmaschine weit mehr Lesarten aufzuweisen hat als Müllers eigene als Regisseur 1989. Sie legen damit irgendwie nahe, dass der Text selbst nach dem Mauerfall nicht mehr in die Zeit passe. Müller hat jedoch nicht Hamlet mit der Hamletmaschine übermalt, sondern u.a. dem Entpolitisierenden am Lieblings-Perpetoum mobile des Bildungsbürgertums, dem Theater, eine neue Symbol-Figur namens Hamlet gegeben. An der Sprachwucht und grausamen Schönheit des Textes müssten Sie doch eigentlich Gefallen finden. Auch dies ist ja keine SMS-taugliche Sprache auf die Sie offenbar großen Wert legen. Aber das Denken dahinter: krass. Es erspart einem einen Kilometer Sekundärliteratur und verkürzt sie auf wenige Seiten Text. Tauglich zur Bildung eines kulturellen Gedächtnisses, weil hier Klassiker bereits eine neue Form bekommen haben, die noch gar nicht inszenatorisch erfasst und Gemeingut geworden ist bisher. Ich glaube nicht, dass die Intellektuellen verstummt sind. Vielleicht sind Sie trotz Ihrer großen Liebe zur Sprache und zum Denken in ihr nicht hellhörig genug für die Zeit…
D. Rust
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