Die Monosau - Volksbühne Berlin
Die Prolls der Kunst
18. Februar 2023. Einen "garantiert regiefreien Abend" verspricht Gesamtkunstwerker Jonathan Meese und hält dieses Versprechen, zusammen mit einer Riege sagenhafter und sagenhaft entfesselter Performer:innen aus der Volksbühnen-Geschichte. Ziemlich panne, und ziemlich herrlich.
Von Christian Rakow
18. Februar 2023. Ein Mal im Jahr, scheint's, setzt die Volksbühne einen Abend an, da denkt man schon nach wenigen Minuten: "Mist, ich check hier gar nichts. Aber ist vielleicht auch nicht schlimm, denn bunt isses, und die Leute dort an der Rampe wirken auch ganz im Reinen mit sich, und die Musik groovt gut, und da kann man es ja auch einfach mal locker schwingen lassen." Die schrille Pop-Oper "SMAK!" von Khavn war so ein Abend.
"SMAK!" kam schon ziemlich meesemäßig daher. Und da ist es nur konsequent, dass die Volksbühne jetzt Jonathan Meese selbst zum Stelldichein bittet. Mit einem Textkonvolut – "Die Monosau" betitelt –, dessen Entstehung wohl bis in die 1990er zurückreicht. Leider kommt Meese bei der Uraufführung nicht persönlich als Performer auf die Bühne. Was wirklich ein bisschen schade ist, weil der radikal zweckbefreite, durch und durch tautologische Gottesdienst für die Kunst als Kunst um der Kunst willen von niemandem so ehrfurchtsvoll durchgeknallt geleistet werden kann wie eben von Meese selbst.
Scheiß drauf!
Aber lassen wir das Gejammer. Es stehen an diesem Abend schon noch reichlich Leute auf den Brettern, die den Funken Inbrunst in sich tragen und auch die rare Fähigkeit, komplett mit dem Rücken oder eigentlich mit dem Arsch zu den Leuten zu spielen und also drauf zu scheißen, was die dort unten im Publikum jetzt von dem Ganzen halten mögen. Martin Wuttke, Benny Claessens, Franz Beil, Margarita Breitkreiz, um noch nicht alle zu nennen. Und vor allem die stets todesmutige und je unbezwungene Souffleuse Elisabeth Zumpe, die Kapitänin auf dem Narrenschiff zur kunterbunten Lagune. Also einige der Größten ihre Faches.
Worum geht es? Es ist nicht zu sagen, ehrlich, Monolog reiht sich an Monolog, Solonummer an Solonummer, Rosa Lembeck schießt aus einer Konfettikanone, die wie ein Maschinengewehr aussieht. Alle nicken sich zu, die meisten rauchen, mitunter tänzelt Martin Wuttke an die nackte und in Goldfarbe getunkte Susanne Bredehöft heran und huldigt ihren unverständlichen Worten. Gold, das ist ein zentrales Thema, als Wert aller Werte, als romantisches Ideal der Trapper, als Sinnbild der Kunst? Manche der Texte verströmen Western-Flair, Goldrush, dann wieder gleiten sie in den Weltraum hinüber, ins London der Beatles-Ära oder in Neros Zeiten. Gelegentlich schaltet sich Jonathan Meese per Projektion in einem schwebenden Ei dazu und lehrt uns: "Wir müssen die Prolls der Kunst werden!"
Zwischen Ironie und Emphase
Es ist im Grunde alles ziemlich panne. Das Schauspielteam hat sich selbst inszeniert, firmiert unter dem Label K.U.N.S.T., findet keinen Rhythmus, keine Bilder, nervt gehörig. Aber ich muss zugeben, ich habe doch an diesem Abend gelacht wie selten in dieser Saison, so richtig auf die krieg-mich-gar-nicht-mehr-ein Weise. Ob mit ihnen oder über sie? Beides wohl. Franz Beil lässt einmal seinen schlanken Bauch wabbelnd sprechen, herrlich! Benny Claessens kriegt einen Sprung in der Platte und wettert: "Ich bin der Thermoboy!" Herrlich! Martin Wuttke balanciert wie stets traumwandlerisch sicher auf dem schmalen Grat zwischen Ironie und Emphase und darf den bei Meese obligatorischen Hitlergruß machen und vornüber in die Gruft kippen. Herrlich! Irgendwann will eine Zuschauerin den Saal verlassen und die Tür klemmt. Während Wuttke doziert: "Ich halte mich immer an die Zeitsubstanz!" Auch das: Herrlich!
Und Kerstin Graßmann! Sie ist da, sie ist back! Die legendäre Spielerin von Christoph Schlingensief, die raunzende Berlinerin, die Kernige, die dereinst so zärtlich nach Horst Gelonneks Hand zu greifen wusste, wenn dieser wieder nicht aus seinen Schreiattacken rauskam, sie ist zurück an der Volksbühne! Kein bisschen gealtert. Haut die Monologe weg, als wäre es nichts. Und dann beginnt Graßmann zu singen: "Mr. Paul McCartney", den Schlager von Marianne Rosenberg, rau, rauchig, wunderschön, oder schräg, wie man gemeinhin sagt. Aber schräg wozu? Zu dem Wohlklang einer Anna Netrebko? Graßmanns schräger Ton ist eigen, wie ein Kantholz in einen losen Winkel gestemmt, so bohrt sich ihre Stimme in die Wirklichkeit. Alles passt, alles hält zusammen. "Wunder gibt es immer wieder", singt sie auch noch. Was für ein Auftritt!
Das Gesamtkunstwerk Deutschland
Dann wieder leiert die Chose aus, man hockt Minuten ab, Franz Beil erscheint als "hochfrequentierte Muschel" in einem der bezwingend punkigen Kostüme von Tabea Braun. Und Jonathan Meese gibt, noch ehe die Party zum Schlussapplaus anhebt, den Orakelspruch: "2023 wird der Wahnsinn! Das Gesamtkunstwerk Deutschland geht ab!" Womöglich passiert das erst später im Jahr. Aber vielleicht war es das heute auch schon.
Die Monosau
von Jonathan Meese
Text: Jonathan Meese, Regie: K.U.N.S.T., Bühne: Nina von Mechow, Kostüme: Tabea Braun, Video: Meika Dresenkamp, Licht: Kevin Sock, Musikarrangements: Grégoire Simon, Dramaturgie: Henning Nass.
Im Cockpit des Tyrannen! Ein garantiert regiefreier Abend von und mit: Franz Beil, Susanne Bredehöft, Margarita Breitkreiz, Benny Claessens, Martin Wuttke, Kerstin Graßmann, Rosa Lembeck, Soufflage: Elisabeth Zumpe, Musik: Grégoire Simon / Fabiana Striffler (Violine), Zoé Cartier / Léa-Rahel Bader (Cello), Arne Braun / Kalle Zeier (E-Gitarre).
Premiere am 17. Februar 2023
Dauer: 2 Stunden 20 Minuten, keine Pause
www.volksbuehne.berlin
Kritikenrundschau
Ulrich Seidler von der Berliner Zeitung (18.2.2023) lehnt sich mit Wohlgefallen im Parkettsessel zurück und lässt das Unverständliche auf sich wirken: "Man sei sich also gewiss, dass das, was man zu hören bekommt, weit durch mehrere Bewusstseinsschichten und -zustände sowie die Köpfe vieler Beteiligter gereist ist. Das macht es nicht leichter, dem Abend auf irgendeiner inhaltlichen Ebene zu folgen, aber es hilft vielleicht, die Seele zum freudvollen Mitsingen einzuschwingen. Deswegen verzichtet diese Gebrauchsempfehlung hier auf jegliche inhaltlichen Angaben oder gar Deutungsvorschläge. Man überantworte sich den herrlich heterogenen und hingebungsvollen Meese-Wort-Verkündern des siebenköpfigen Spielensembles (...)."
Szenen , die "absoluten Raritätenstatus haben", beobachtete Christine Wahl für den Tagesspiegel (19.2.2023). "Da blitzen zwischen Castorf-Volksbühnen-Retro-Augenblicken und ausdrücklich ungebremst zur Schau gestellter Künstlereitelkeit ('Monosau' eben), zwischen freiwilliger und unfreiwilliger Komik, zwischen Sekunden tiefster Peinlichkeit und Minuten, um nicht zu sagen Stunden schier endloser Zähigkeit immer wieder genialische Momente auf, wie sie wirklich nur 'die Kunst' schaffen kann. Denn klar: Alles ist purer, ungesicherter, ungefilterter als an einem klassischen Regieabend; die Tiefen um Grade peinigender, die Höhen dafür aber auch auf Höchstniveau." Zu den höchsten Höhen zählt die Kritikerin den Auftritt von Kerstin Graßmann und die Einspieler von Jonathan Meese.
Als "weitere Enttäuschung" an der Volksbühne stuft Barbara Behrendt für rbb|24 (18.2.2023) diesen Abend ein. Die Kritikerin zeichnet die von "Rheingold" aus verlaufenden Textspuren und die Fragen nach "Schöpfungsmythos" und "Entstehung der Kunst" nach. Aber: "Das klingt lustiger als es ist, denn die Texte sind so wirr, so voller kindischem Nonsens, dass es über knapp zweieinhalb Stunden doch sehr zäh wird, dem Treiben zuzuschauen." Auch den Kapriolen der Akteur:innen kann sie wenig abgewinnen: "Vor allem Martin Wuttke und Benny Claessens, die eigentlich zum Niederknien spielen, sind hier derartige Monosäue und Rampensäue, dass der Abend mit seinen ausgestellten Eitelkeiten eben gerade nicht die Kunst feiert, sondern die Künstler:innen. Das Publikum soll dabei lediglich Claqueur spielen."
"In der Volksbühne werden Meeses absurde Gedankenfetzen, Wortspiele, Gaga-Märchen und Quatsch-Dialoge weiter durch den Wolf gedreht", berichtet Elisa von Hof für den Spiegel (18.2.2023). "Je mehr man versucht, einen narrativen Sinn, irgendeine Botschaft, wenigstens einen chronologischen Zusammenhang zu erkennen, desto mehr verliert man sich in Meeses Hirn. Die einzige Parallele zwischen all den Episoden und Figuren ist, dass es keine gibt. Das muss man aushalten. 130 manchmal zähe Minuten lang." Im Ganzen ist es für die Kritikerin: "nihilistischer Klamauk. Und das ist dann doch ein bisschen wenig."
"Dieser immer hochtourig freilaufende Meese-Wahnsinn wirkt in Zeiten der Moral-Domestizierung der Kunst zumindest sehr erfrischend", schreibt Peter Laudenbach von der Süddeutschen Zeitung (20.2.2023). Der Abend folge der Dramaturgie eines außer Kontrolle geratenen Kindergeburtstags, "was selbstverständlich als Kompliment gemeint ist".
"Die Monosau" ist "ein beispielhaftes Missverständnis. Sie zeigt, wie Performancekunst scheitert, wenn man sie als literarische Vorlage behandelt und inszeniert, als wäre Meese ein professioneller Autor", schreibt Tobi Müller für Monopol (20.3.2023). "Performance lebt vom Einsatz der Person und der Körper der Künstler oder Künstlerinnen, nicht von der alten Theateridee einer Vorlage eines abwesenden Künstler." Ein "paar Fäden" kann der Kritiker "knüpfen, Zeit zum Überlegen ist ja da. Die Figur der Monosau ist die Chiffre für den Künstler, der nicht integrierbar ist: nicht in politisierte Zusammenhänge, auch nicht in feuilletonistische. Die Monosau ist der autonome Künstler, wenn man es altmodisch ausdrücken möchte."
"Monosau“ ist "Gaga, Dada, eine totale Collage an Mythen, Märchen, Schlager und Schlagworten, Sprachmontage und Bühnenparty für die sieben Schauspieler:innen" und "ein ziemlich verlässliches Produkt der Künstlermarke Jonathan Meese", schreibt Sophie Jung in der taz (23.2.2023). Der Abend sei eine recht berechenbare Meese’sche Wellenbrecherfahrt durch Mythen und Medien. Bühnenbildnerin Nina von Mechow setze sie ebenso voraussagbar in eine Szene aus deutscher Romantik, Betonmoderne und Berliner Straßenrealismus. Die Botschaft sei: Das sei "keine Party, sondern Maloche".
Schön, dass Sie diesen Text gelesen haben
Unsere Kritiken sind für alle kostenlos. Aber Theaterkritik kostet Geld. Unterstützen Sie uns mit Ihrem Beitrag, damit wir weiter für Sie schreiben können.
mehr nachtkritiken
meldungen >
- 11. Oktober 2024 Theater Ansbach: Großes Haus bleibt bis 2026 geschlossen
- 10. Oktober 2024 Berlin: Neue Teamleitung fürs GRIPS Theater ab 2025
- 10. Oktober 2024 Literaturnobelpreis für Han Kang
- 08. Oktober 2024 euro-scene Leipzig: Kritik an Einladung palästinensischer Produktion
- 05. Oktober 2024 Zürich: Klage gegen Theater Neumarkt wird nicht verfolgt
- 04. Oktober 2024 Interimsintendanz für Volksbühne Berlin gefunden
- 04. Oktober 2024 Internationale Auszeichnung für die Komische Oper Berlin
- 04. Oktober 2024 Kulturschaffende fordern Erhalt von 3sat
neueste kommentare >
-
Kultursender 3sat bedroht Kontaktformular
-
Neumarkt Zürich Klage Was wäre die Alternative?
-
Neumarkt Zürich Klage Jens Balzers Essay
-
Der Reisende, Essen Variation
-
Neumarkt Zürich Klage Kopf auf Füße
-
3sat bedroht Mehr Vielfalt
-
euro-scene Leipzig Arnas Kinder
-
euro-scene Leipzig Kuratorische Unwucht
-
euro-scene Leipzig Tendenziös
-
euro-scene Leipzig Versuch einer Antwort
nachtkritikcharts
dertheaterpodcast
nachtkritikvorschau
Seit Atta Atta bin ich nicht mehr so verstört aus der Volksbühne gekommen. Irgendwie passt das zu ihrem aktuellen Zustand. Man kennt es, man hat es vermisst, aber es ist leider nur ein Räuberrad aus bunten Bauklötzen.
Wir schwärmen immer noch von diesem Abend und sind glücklich ihn erlebt zu haben. Sind nicht die meisten von uns kleine Monosäue, die aneinander vorbeireden? Gelassenheit, Menschenliebe, Verspieltheit im Leben und einen wachen Geist für alle...ach wäre das schön!
Und zu 1. Herr: Das Räuberrad ist zwar zerstückt, aber lebendig!