Schuld lässt sich nicht schreddern

9. Juli 2023. "Operation Abendsonne" wird in der Politik die Sitte genannt, noch kurz vor Bildung einer neuen Regierung die Angestellten in den Ministerien in gut bezahlte Jobs zu befördern. Erfolgsdramatiker Dirk Laucke nimmt sich mit seiner "dokumentarischen Groteske" den Vertuschungen zwischen Politik, Verfassungsschutz und Rechtsextremismus erstmals mit Mitteln des Musiktheaters an.

Von Simon Gottwald

"Operation Abendsonne" von Dirk Laucke am Staatstheater Kassel © © Isabel Machado Rios

9. Juli 2023. Der Untertitel verspricht eine "dokumentarische Groteske". Parallelen zu wirklichen Personen sind in "Operation Abendsonne" trotz des dokumentarischen Charakters des Stücks rein zufällig – das erfahren wir aus der Ankündigung des Theaters.

Praktisch, diese Zufälle

Zufall ist es, dass Holger "Der Sheriff" Fourier mitten im Wahlkampf erfährt, dass ein V-Mann des Verfassungsschutzes bei einem rechtsextremen Mord anwesend war, Zufall, dass dieser V-Mann opportune Gedächtnislücken hat, und es ist auch ein Zufall, dass sofort eine Vertuschungsmaschinerie in Gang gesetzt wird. Eine andere Art von Zufall ist es, dass gerade in dieser Zeit eine neue Praktikantin im Ministerium auftaucht. Akten müssen in den Schredder, Praktikantenhänden kann ein wenig praktische Arbeit nicht schaden, und schon steht ein Untersuchungsausschuss mit 541 Akten weniger da. Praktisch, diese Zufälle.

Trotz gläserner Decke löst die frühere Praktikantin aus der Opposition Fouriers Nachfolger schließlich ab, aber, kaum an der Macht, ist das Gerede von nichtverletzender Sprache vergessen und die Rhetorik des Hardliners wird ausgepackt. Dass man selber an der Vertuschung der noch immer nicht aufgearbeiteten Verbrechen mitgewirkt hat, mag eine Rolle dabei spielen, aber entscheidend ist, dass die Probleme struktureller Natur sind und sich nicht durch einen neuen Anstrich beseitigen, ja nicht einmal verdecken lassen. Rechtsextreme Gewalt hat, genauso wie ihre Marginalisierung im rechtspolitischen Diskurs, eine lange und traurige Geschichte in Deutschland.

Ein Foto mit der Jugend, so geht Polit-PR | Ensemble, links vorn: Luzia Oppermann (Ines Böttcher), rechts mit Handy: Marius Bistritzky (Bernhard Meyn), Statisterie und Schüler:innen der Klasse 8e des Wilhelmsgymnasiums Kassel © Isabel Machado Rio

Der Text von Erfolgsdramatiker Dirk Laucke lässt die Täter auf der Bühne auftauchen, gesteht ihnen aber klugerweise kein einziges Wort zu. Das ist, wird angedeutet, auch gar nicht nötig, wenn Politiker in Stammtischlaune menschenverachtende Phrasen wie aus dem Baukasten zusammensetzen und den Tätern damit vielleicht nicht nur das Wort reden, sondern auch ein Klima schaffen, in dem diese sich zum Handeln ermutigt sehen. Sowohl Text als auch Schauspieler schaffen es, die selbstbezogenen Worthülsen, die Betroffenheit nur vorgaukeln und Sorge um die eigene Karriere nur dem Uneingeweihten verbergen, bis kurz vor dem Punkt zu übersteigern, an dem sie auseinander fallen und nur noch lächerlich würden.

Musik als ironischer Kontrapunkt

Ursprünglich war für diesen Abend im Staatstheater Kassel geplant, dass es nicht nur ein Libretto, sondern auch eigens komponierte Musik gibt. Wie so oft kam es aber anders, und so wurde der Text von Dirk Laucke mit Musik von Krysztof Penderecki, Frank Martin und Alban Berg begleitet. Die Musik an diesem Abend ist herausragend: Staatsorchester ebenso wie alle Gesangsrollen (Clara Soyoung Lee als Bürodame mit Faible für Kätzchen, Stefan Hadžić als absurdistische Figur Grzegorz Brzeczyszczykiewicz, Marta Herman als Shoah-Überlebende und Mordopfer Blanka Zmigrod) beeindrucken mit ihrem Spiel anspruchsvoller Stücke. Der Charakter des aufgrund der Planänderung Improvisierten wird hier zur Tugend gemacht: Die ausgewählte Musik wirkt in der szenischen Einrichtung von Christiane Pohle und dem Ensemble als ironischer Kontrapunkt zur Phrasendrescherei Fouriers (mit zur Maske erstarrtem Grinsen toll gespielt von Johann Jürgens) und in ihrer Atonalität als Entsprechung der mitunter versatzstückhaft angeordneten Szenen.

Bürodame mit Katzenvorliebe: Clara Soyoung Lee © Isabel Machado Rio

Auch der im Kulturkampf zur Demarkationslinie gewordene Dumpfschlager Layla kommt erneut zu unverdientem Ruhm, als ein von Fourier besuchter Schützenverein den Ohrwurm gewordenen Eimer Sangria auf Blechinstrumenten intoniert. Spätestens hier ist klar: Das Große ist im Kleinen zu finden, und vielleicht wäre es sinnvoll, genauer zu gucken, was man im Rausch mitgrölt und wen man mittels seiner abgegebenen Stimme für sich sprechen lässt.

Die Namen der Opfer

Der Postenschacher und die von den rechtsextremen Morden für ihn ausgehende Gefahr stehen im Mittelpunkt des Stückes. Es wirkt manchmal, als sei der ganze Komplex so wahnsinnig, dass es dem Stück nicht gelingt, ihn wirklich zu packen. Vielleicht auch dadurch erklärt sich ein deutlich bemerkbarer Bruch zum Ende hin, als die Groteske von Krzysztof Pendereckis Intermezzo für 24 Streicher abgelöst wird – nachdem das Orchester seine Plätze Schildern mit den Namen von Opfern rechtsextremer Gewalt überlassen hat. Blanka Zmigrod beschließt den Abend mit einem beeindruckenden Stück, begleitet von Klavier. Auch Menschen, die von diesem Abend wenig mitnehmen, sollten zumindest dies im Kopf behalten: Die Namen der Täter kennt jeder, sie wurden oft genug genannt. Jetzt ist es an der Zeit, die Namen der Opfer auszusprechen.

Operation Abendsonne
von Dirk Laucke
Musikalische Leitung: Kiril Stankow, Szenische Einrichtung: Christiane Pohle und Ensemble, Bühne: Matthias Nebel, Kostüme: Charlotte Pistorius, Dramatugie: Kornelius Paede, Musikalische Einrichtung: Felix Linsmeier, Licht: Jürgen Kolb.
Mit: Johann Jürgens, Marius Bistritzky, Luzia Oppermann, Gunnar Teuber, Danai Chatzipetrou, Marta Herman, Clara Soyoung Lee, Stefan Hadžić, Ingrid Frøseth.
Uraufführung am 8. Juli 2023
Dauer: 2 Stunden, keine Pause

www.staatstheater-kassel.de


Kritikenrundschau

"Dirk Laucke hat mit 'Operation Abendsonne' für das Kasseler Staatstheater ein kluges Stück geschrieben, das in seiner fein konstruierten Struktur herausarbeitet, wie verantwortungsloses (Politiker-)Reden dazu führen kann, dass die Fundamente der Demokratie von Einsturz bedroht sind", schreibt Bettina Fraschke in der Hessischen Niedersächsischen Allgemeinen (10.7.2023). "NSU, Walter Lübcke, Hanau. Sehr deutlich, aber nicht auf oberflächliche Weise plakativ kommen die grauenhaften Terroranschläge hier auf die Bühne. (…) Zum Innehalten und um den Gefühlen Raum zu geben, dient die Musik."

"Es bleibt unklar, wohin der Abend steuert, abgesehen von dem äußerst ehrenwerten Anliegen, Aufmerksamkeit auf ein drängendes Thema zu legen", schreibt Erik Zielke im nd (9.7.2023). Es sei "zu unentschieden, das reale politische Versagen in Hessen in parodierender Weise nachzustellen, andererseits die Ereignisse geringfügig zu verfremden, ohne eine wirkliche Trennung von der Wirklichkeit vorzunehmen". "Ob die Groteske überhaupt die Form ist, mit der man der sehr schmerzlichen und bis in die Gegenwart wirkenden Vergangenheit in diesem Fall begegnen kann, ist zumindest fragwürdig."

Kai Köhler von der Jungen Welt (11.7.2023) bemerkt "eine Dramaturgie des Stimmungsumschwungs". "Was spielerisch begann, entfaltet tragische Wucht – warum nicht? Hier aber verschiebt es das Problem ins allgemein Menschliche und entschärft es dadurch", so der Kritiker. "Die Aufführung endet in der Beschäftigung mit den Opfern. Das ist menschlich sympathisch und mag emotional bewegen, aber es bleibt doch auf der Ebene des Mitleids. Mitleid freilich kostet wenig. Auf Mitleid einigt man sich, wenn man über Ursachen und Konsequenzen nicht reden will."

Kommentare  
Operation Abendsonne, Kassel: Felix Linsmeier
Danke für die Besprechung!
Felix Linsmeier sollte noch unbedingt genannt werden! Seine Kompositionen, musikalische Verfremdungen, Grotesken, Stilkopien sind maßgeblich für musikalischen Farbreichtum des Abends verantwortlich!
Operation Abendsonne, Kassel: Frage
Warum erscheint mein Kommentar nicht?



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