Funkelndes Mörderspiel

13. März 2023. "Das Leben ist ein Märchen nur von einem Depp erzählt", lautet Macbeths Lebensbilanz. Entsprechend geht es in Johan Simons' Version des blutrünstigen Dramas über die sinnlosen Macht- und Ränkespiele der Menschen zu. Es gibt nur drei Schauspieler*innen. Aber was für welche!

Von Gerhard Preußer

"Macbeth" von William Shakespeare, Regie: Johan Simons am Schauspielhaus Bochum © Armin Smailovic

13. Mai 2023. "Schön ist schlimm und schlimm ist schön“: Die Umwertung der Werte wird von den Hexen am Anfang von Shakespeares "Macbeth“ verkündet. Und so inszeniert Johan Simon seinen "Macbeth“ im Bochumer Schauspielhaus. Schrecklich ist lustig und lustig ist schrecklich. Ein radikal invertierter und reduzierter "Macbeth“. Zwei Schauspieler und eine Schauspielerin nur: da kommt kein mitfühlender Schauder oder Jammer auf.

Jens Harzer, Stefan Hunstein und Marina Galic spielen alles: Hexen, Könige, Feldherren, Frauen, Kinder. In makellosen schwarzen Anzügen wechseln sie die Rollen mit einem Wort, einer Bewegung oder einer Geste. Hunstein ist meist Hexe, Harzer Macbeth und Galic seine Lady, aber nicht immer. Schnell muss man schalten, will man verstehen, wer hier wann wer ist.

Gelächter im Publikum

Zugespitzt ist das Prinzip, wenn Macbeth König Duncan ermordet: Auf der Bühne steht eine leere weiße Liege, Harzer geht als Macbeth mit zwei kleinen Messern in der Hand darauf los, legt sich hinein, setzt sich eine Krone auf und ist nun Duncan, hebt aber die Arme mit den Messern hoch und ersticht nun wieder als Macbeth den König (also sich selbst). Hunstein kommt mit einem Tässchen herbei, rührt einmal um und träufelt mit dem Teelöffel sorgfältig Blut auf Harzers Brust und markiert so die Wunde, während Harzer (als toter Duncan) den Kopf wendet und sich umsieht. Ob die Szene auch wirkt? Ja, es gibt Gelächter im Publikum.

Gesprochen wird die Übersetzung von Angela Schanelec, die sie für Jürgen Goschs berühmte Düsseldorfer Inszenierung von 2005 angefertigt hat. Aber die kleinen Freiheiten, die sich die Schauspieler in Bochum nehmen, prägen einen ganz anderen Ton. Als Macbeth zum ersten Mal die Hexe sieht, fragt er entsetzt "Wer ist das?“ Um seine Gewissensbisse vor dem Mord an Duncan zu beruhigen, sagt Macbeth immer wieder zu Lady Macbeth "Ich geh und tu’s“, wie ein widerwilliges Kind. Dann grimassiert er wie ein Komiker und fragt erschreckt "Und wenn das schief geht?“

Macbeth3 c Armin Smailovic uMord am Becken ohne Wasser: Marina Galic und Jens Harzer © Armin Smailovic

Die zweite Prophezeiung der Hexe kommentiert er staunend “Du bist aber eine rätselhafte Schwester“. In seinem Monolog vor dem Duncan-Mord fragt er ungläubig ins Publikum "Ist das eigentlich ein Dolch?“. Immer wieder sind es kleine "Oh“s, "“Ja“s oder "Jo“s, die Shakespeares noble Sätze in Triviale, Platte umbrechen, ohne sie zu zerstören. Es bleiben die bösen Weisheiten, die sich ins Gedächtnis brennen: "Jetzt kenn ich mich und will mich nicht mehr kennen.“ "Wir fischen nur im Trüben, wenn wir hoffen. Denn die Entscheidung wird vom Schwert getroffen, im Krieg.“

Drei Schwerter und zwei Kronen

Marina Galic hat die größte Freiheit beim Rollenwechsel. Als Lady darf sie sich von Hose und Jackett befreien, legt Lippenstift auf, tänzelt im weißen Herrenhemd herum und lässt sich von ihrem Gatten auf den nackten Hintern küssen. Als Banquo klebt sie sich einen Schnurrbart auf und stellt die Stimme tief. Hunstein wirft als Hexe nur die lange Haare nach vorne ins Gesicht und Harzer bewirft sich mal mit weißem Staub. Kaum irgendwelche dinglichen Zeichen irgendwo. Es gibt drei Schwerter, zwei Kronen, eine schottische Fahne, einen Plattenspieler, der "J'attendrai“ von Dalida und "Je t’aime“ von Serge Gainsbourg säuselt.

Sonst ist Bühne leer, bis auf ein paar gekachelte Mäuerchen, ein flaches Becken ohne Wasser. Aber gelegentlich öffnet sich die Rückwand und man sieht Projektionen, Großaufnahmen von Blättern, nach der Pause dann Detailaufnahmen von Baumrinde, ein Beil spaltet den Stamm. Rätselhaft, scheinbar völlig dysfunktional.

Aus der Käferperspektive

In Shakespeares Monologen spielt die Natur immer eine Rolle als Spiegel der entarteten menschlichen Verhältnisse. Erst ganz am Ende, wenn die Sieger über Macbeth herfallen, seinen Kopf abtrennen, zerfleischen und zertreten, wird klar, worum es Johan Simons geht: Wir sehen in großen Projektionen Moos und Farne, Raupen und Käfer. Natur in Text (Shakespeare) und Bild (Inszenierung), gedoppelt und getrennt.

Macbeth2 c Armin Smailovic uInfernales Trio: Stefan Hunstein, Jens Harzer und Marina Galic © Armin Smailovic

Im Vordergrund sieht man ein funkelndes Kunstwerk pointierter Schauspielkunst. Man starrt gebannt auf dieses heitere, verflachte Mörderspiel und fragt sich: Warum? Man müht sich, dahinter eine tiefere Sinnschicht zu finden. Doch die ist nur: "Das Leben ist ein Märchen nur von einem Depp erzählt, völlig bedeutungslos“ – Macbeths Lebensbilanz. Das sinnlose Gewalt- und Herrschaftsspiel der Menschen, es ist bedeutungslos. Es könnte lachhaft sei – aus Käferperspektive: Mag die Menschheit sich zerstören, wir krabbeln weiter.

 

Macbeth
von William Shakespeare
Deutsch von Angela Schanelec und Jürgen Gosch
Regie: Johan Simons, Bühne: Nadia Sofie Eller, Kostüm: Greta Goiris, Video: Florian Schaumberger, Licht: Bernd Felder, Dramaturgie: Koen Tachelet
Mit: Stefan Hunstein, Jens Harzer, Marina Galic
Premiere: 12. Mai 2023
Dauer: 3 Stunden, eine Pause 

schauspielhausbochum.de

 

 Kritikenrundschau

Regisseur Johan Simons hat sein kleines, kunstfertiges Ensemble dazu verführt, die Sache als komödiantisches Kabinettstück anzulegen," schreibt Simon Strauß in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (15.5.2023). "Nur wirkt Shakespeare hier nicht doch ein wenig zu simpel? Zu simplifiziert? In jedem Fall ist es riskant, ein so explizites Stück von vorne bis hinten in Anführungszeichen zu setzen." Der parodistische Eifer der Regie wirkt auf den Kritker gelegentlich etwas angestrengt. Entgegen komme der Aufführung dabei ihre Textfassung. Die Übersetzung von Angela Schanelec und Jürgen Gosch wirkt auf diesen Kritiker mit ihrem bemühten Understatement seltsam antiquiert. "Und doch, trotz aller Einwände", so Strauß' Fazit, "der Bochumer 'Macbeth' ist ein unterhaltsamer Schauspielabend, ein dramaturgisch ungewöhnlicher Reformationsversuch, ein Theatergeschehen jedenfalls, über das man sprechen wird."

Man hat ja schon einige "Macbeth" über die Bühnen gehen sehen, schreibt Martin Krumbholz in der Süddeutschen Zeitung (15.5.2023), "aber sicher noch keinen derart komischen wie diesen hier am Bochumer Schauspielhaus." Der mehrfach angekündigte, mehrfach verschobene Abend habe die hochgespannten Erwartungen noch übertroffen: "Er ist fulminant." Das Pathos habe Regisseur Johan Simons weitgehend herausgefiltert. Trotzdem bleibe es untergründig spürbar. "Wenn das Publikum über Jens Harzer sehr viel lacht, dann nicht nur, weil er herumkaspert, was er durchaus tut, sondern vor allem, weil kaum einer den Wechsel zwischen kalkuliertem Understatement und dramatischem Exzess so virtuos beherrscht wie er."

Nicole Strecker zeigt sich im WDR (15.5.2023) fasziniert, wie die Inszenierung "das grausame Geschehen in ein ziemoich schräges Spiel verwandelt". Simons mische das Elisabethanische Theater mit Samuel Becketts absurdem Theater. Heraus komme "einer der lustigsten 'Macbeth' der Theatergeschichte".

"Simons überführt das Politdrama über den Aufstieg eines Tyrannen in eine Art Jedermann-Stück", so Ralf Stiftel im Westfälischen Anzeiger (16.5.2023). Dafür verwende Simons die Spielform eines nihilistischen Clownstheaters. Dass man in dieser zuspitzenden Version manchmal nicht wisse, wer spricht, störe nicht, weil die großen Linien deutlicher würden. Fazit der Inszenierung: "Egal, wie böse oder dumm die Menschen sich zugrunde richten, etwas oder jemand wird sie überleben."

"Interaktion zwischen plastischen Figuren findet nicht statt, stattdessen sieht man großartige Artisten, die einen blutigen Varieté-Abend durchspielen, Mord für Mord", schildert Peter Kümmel in der Zeit (17.5.2023). Das Problem des Abends sei, dass hier die Verstellung ihren Zauber, auch ihren Schrecken verliere. Simons wolle auf den Effekt hinaus, dass der Mensch in seiner Eitelkeit begreifen möge, dass die Natur an ihm vorbei ihr Zeugungs- und Verwesungswerk treibt – und immer siegen wird. "Man hätte in den drei Bochumer Theaterstunden also auch ein Stück Fleisch zeigen können, über das sich Maden hermachen. Der Erkenntniswert wäre ähnlich. Aber der Schauwert wäre viel geringer, man hätte ein wirklich hübsches Stück Schauspielertheater verpasst."

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