The Dead Inc. - Die Toten - Ulrich Greb inszeniert in Moers die Uraufführung von Michael Yates Crowleys neuem Stück
Fressen für die Geier
von Sascha Westphal
Moers, 18. Februar 2017. Dieses Stück ist eine Zumutung, auch für den Leser und Theatergänger, aber vor allem für die Theatermacher, die sich ihm zuwenden. Auf der einen Seite greift der US-amerikanische Autor Michael Yates Crowley ganz tief in die Kiste, in der die abgeschmacktesten Klischees über Hedgefonds-Manager und die moderne Arbeitswelt gelagert werden. So ziert das Firmenlogo der Beteiligungsgesellschaft "CarryOn Partner" die Silhouette eines Geiers. Wer wüsste schließlich nicht, dass Firmen dieser Art sich gierig über finanziell angeschlagene Unternehmen hermachen und sie genüsslich zerpflücken.
Während die Geier also kreisen, verlangen die Mitarbeiter wie auch der Chef der kleinen Firma "Lachesis & Partner" ständig "Feedback" voneinander. Der Albtraum moderner Unternehmensunkultur: Alle gaukeln sich flache Hierarchien vor, wo in Wirklichkeit von Selbstbestimmung und Teamwork keine Rede sein kann. Aber dafür versorgt der Kaffeeautomat im Büro die Belegschaft gleich mit 128 verschiedenen Kaffeesorten. Das wäre schon fast amüsant, ließe Crowley seine Figuren nicht derart ausführlich über dieses (Über)Angebot philosophieren, dass jeder Witz auf der Strecke bleibt.
Rückkehr des Verdrängten
Aber das ist eben nur die eine Seite von "The Dead Inc. - Die Toten". Die andere lässt sich weitaus schwerer fassen. Alles beginnt mit einer Beerdigung. Die Frau von Julius Lagrange, dem Gründer und Chef von "Lachesis & Partner" ist gestorben, und ihr Tod wirft alle in der Firma aus der Bahn. Sie, die ihr Geld damit verdienen, dass sie für Rentenversicherungsgesellschaften die Lebenserwartung und damit den finanziellen Bedarf der Versicherten berechnen, können mit der Realität des Todes nicht umgehen. Das Verdrängte kommt mit aller Macht zurück, und mit ihm brechen das Unheimliche und das Unerklärliche in eine durch und durch rationale Welt, in der scheinbar alles in Excel-Dateien gepresst und so domestiziert werden kann. Nur lässt sich der Tod weder zähmen noch wegrechnen. Er ist immer präsent. Also lässt Crowley das Klischee von den Hedgefonds-Geiern ins Surreale und Phantastische kippen. Sandy Vautour, die Abgesandte von "CarryOn Partner" könnte tatsächlich ein Königsgeier sein. Die platte Komödie kippt in eine bizarre Horror-Phantasie.
Wie eingangs erwähnt, dieses Stück ist eine Zumutung. Aber das muss nicht zwangsläufig etwas Schlechtes sein. Schließlich müssen sich das Ensemble, der Regisseur und sein Team zu einem solchen Text ganz deutlich positionieren. Sie haben keine Möglichkeit sich zu verstecken. Aber das ist sowieso nicht die Art von Ulrich Greb und seinem kleinen, hoch engagierten Ensemble. Mit den "Ted Haggard Monologen" und "Righteous Money / Gerechtes Geld" sind schon zwei deutschsprachige Erstaufführungen von Crowleys Arbeiten am Schlosstheater Moers herausgekommen. "The Dead Inc. - Die Toten" hat der Amerikaner nun direkt für Moers geschrieben. Und in Ulrich Greb hat er tatsächlich einen kongenialen Partner gefunden, der die etwas scharfe Vision des Stücks geschickt fokussiert.
Die Lügen der Gesellschaft
Auf Birgit Angeles Bühne ist nichts mehr realistisch und auch nichts mehr einfach nur ein Klischee. Zwei kreuzförmig angeordnete durchsichtige Plastikvorhänge deuten die Räume von "Lachesis & Partner" an. Die Schreibtische und alles, was auf ihnen steht, Computer und Telefone, sind aus Pappe. Echt ist nur der riesige Kaffeeautomat der links von der zweiten Zuschauerreihe in einem Mauervorsprung steht. Allerdings kommt kein Kaffee aus ihm heraus, sondern nur ein höllisches gelbes Licht und Nebelschwaden. So erzählt schon das Bühnenbild von der Absurdität eines Unternehmens, das sich anmaßt, die Lebenserwartung eines jeden Menschen mathematisch bestimmen zu können. An die Stelle des Lebens sind die Lügen einer Gesellschaft getreten, die alles Spirituelle den Zahlen, vor allem in Form von Geld, geopfert hat.
Die Idee der allgegenwärtigen Lüge oder zumindest der Gedanke einer völlig verdrehten Wirklichkeit steht im Zentrum von Ulrich Grebs Inszenierung. So werden die beiden Frauenfiguren Sandy Vautour und Lagranges Stellvertreterin Miranda Cortez, von Frank Wickermann und Matthias Heße verkörpert, während die in einem enormen Fatsuit steckende Magdalene Artelt Julius Lagrange und Marissa Möller dessen gegen seine Rolle rebellierenden Assistenten Troy darstellen. Nur Patrick Dollas spielt einen Mann, den Berechnungsspezialisten Brian Mayfield, dessen Goth-Look allerdings etwas dezidiert Androgynes hat.
Die Travestie der von Crowley so klischeehaft gezeichneten Gesellschaft ist nicht zu übersehen. Und trotzdem offenbart sich eine Tiefe, die der Autor mit oberflächlichen Gags zugeschüttet hat. Männer spielen Frauen und Frauen Männer, aber das mit der größten Selbstverständlichkeit. Sie alle nehmen ihre Rollen derart ernst, dass aus der Travestie ein erhellender Verfremdungseffekt wird. Diese Figuren haben sich ganz und gar in ihren Lügen eingerichtet und können nicht mehr entkommen. Das Groteske, auf das Greb so konsequent setzt, wird zum Ausdruck des Tragischen.
The Dead Inc. - Die Toten
Uraufführung
von Michael Yates Crowley
Deutsch von Ulrich Greb
Regie: Ulrich Greb, Bühne: Birgit Angele, Kostüme: Michaela Springer, Dramaturgie: Annika Stadler.
Mit: Matthias Heße, Patrick Dollas, Magdalena Artelt, Marissa Möller, Frank Wickermann.
Dauer: 1 Stunde 40 Minuten, keine Pause
www.schlosstheater-moers.de
"Ein Stück ums Überleben oder Untergehen in einer gnadenlosen, profitorientierten Wirtschaftswelt. Eines, in dem der Tod nicht nur das Leben kostet, sondern sehr viel teurer ist", beschreibt Karen Kliem den Text in der Westfälischen Rundschau (20.2.2017). Regisseur Greb setze darauf, den "Chefsprech" bis zur Durchsichtigkeit zu entlarven. "Das Publikum hat überlebt, es hatte was zu lachen, viel zu applaudieren und am Abend noch einiges zum Nachdenken", resümiert Kliem.
Ulrich Greb habe die Büro-Komödie mit skurrilem Humor bis ins Absurde inszeniert. "Gleichzeitig seziert er die Verdrängungsmechanismen einer Gesellschaft, die das Thema Tod lieber tabuisiert", schreibt Anja Katzke in der Rheinischen Post (20.2.2016). "Der Humor entsteht durch Überzeichnung neoliberaler Firmenstrategien bis ins Absurde, durch Details, die schmunzeln lassen."
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