Die Farbe des Morgens an der Front - Theater Paderborn
Geerbter Krieg
von Gerhard Preußer
Paderborn, 19. Januar 2020. Herein kommen vier Frauen in Alltagskleidung, sprechen rhythmisiert über Kriege und ihre getöteten Verwandten. Dann ziehen sie die Kleidung aus und tragen nun nur noch beigefarbene, hautenge Ganzkörperanzüge. Es sind Frauen, die in den Krieg ziehen. Und es folgt der Merksatz des Abends: "Ich weiß nicht, was schlimmer ist, töten zu müssen oder getötet zu werden."
Reportage-Poesie
Mustafa Cans Stück "Die Farbe des Morgens an der Front" ist im Original schwedisch: "Frontens gryningsfärg". Can ist schwedischer Kurde und ein einflussreicher Journalist. So kommen die Kammerspiele Paderborn zu einer deutschsprachigen Erstaufführung eines schwedischen Stückes über den syrischen Krieg. Can hat 2015 nach der Schlacht um Kobane mit kurdischen Kämpferinnen gesprochen und auf dieser Grundlage einen Artikel für "Svenska Dagbladet" geschrieben. Damals verteidigten kurdische Milizen, vor allem die syrische YPG und die irakischen Peschmerga, die Stadt gegen den Angriff des Islamischen Staates (IS). Ein Drittel von ihnen sei weiblich gewesen, heißt es. Unter Mithilfe US-amerikanischer Luftangriffe konnte der IS aus der völlig zerstörten Stadt wieder zurückgeschlagen werden. Die Leiterin des Stockholmer Stadttheaters, Anna Takanen, überredete Can, aus seinem Artikel ein Theaterstück zu machen, das 2017 uraufgeführt wurde. Und die Paderborner Aufführung fällt nun in die Zeit, in der durch den Einmarsch der türkischen Armee in dieselbe Region der Krieg wieder angeheizt wurde.
Journalistisches Theater also, aber nicht ohne den Versuch, die zeit- und ortsgebundene Reportage ins Allgemeine zu überhöhen, Berichterstattung mit etwas Poesie zu vertiefen: "Sogar von den Toten steigt Farbe auf. Das ist die Farbe des Morgens an der Front. Die Farbe, die erscheint, wenn alles vorbei ist und das Unerträglich erträglich wird." Nie wird eine Stadt, nie eine Jahreszahl genannt. Es geht nicht um Kurden, Syrer oder Islamisten. Es geht um Frauen. Und die erleben Schreckliches: wie ihre Kameradinnen getötet werden, wie sie selbst mit sadistischer Brutalität töten, wie eine Kämpferin sich selbst tötet, wie ein Gefangener geköpft und sein kleiner Sohn aufgefordert wird, mit dem Kopf Fußball zu spielen. Dazwischen die kleinen Sorgen um Körpergeruch, Fingernägel, Schuhe, Hunger, den Besuch bei Muttern in der Heimat hinter der Front.
Kaffeeklatsch mit Kriegsabenteuern
Den Text zu bebildern ist unmöglich, weil er zu grausam ist. Was in der Inszenierung von Milena Fischer an Darstellungsmitteln bleibt, sind Tanz und Video. Die Sichtbetonwände des Studios in den Paderborner Kammerspielen bleiben unbedeckt. Zwischen ihren Erzählungen tanzen die vier Darsteller*innen in expressiven Choreographien, die militärischen Drill, aber auch kurdische Tänze imitieren. Aber der Tanz kann bei aller angestrebten Intensität nicht das Grauen der Erzählungen erreichen, bleibt hilflos, harmlos.
Das Video zeigt in eine andere Richtung. Die Normalität, aus der die jungen Frauen kommen, wird hier als eine echt deutsche konstruiert: Zwei ältere Frauen befragen bei Tee, Himbeersahnekuchen und Klaviermusik von Scarlatti die Tochter nach ihren spannenden Abenteuern im Krieg und jammern über den Tod ihres Lieblingshundes. Die Diskrepanz zwischen der heilen Welt im bunten, großformatigen Video und der Erzählung, wie die junge Frau ein Kind umbringt, um ihre Mitkämpfer nicht zu gefährden, soll schockierend sein. Tatsächlich wirkt sie nur unpassend. Und auch bei den Erzählungen fragt man sich: Reicht es, grimmig dreinzublicken, um Tötungsbereitschaft zu zeigen?
Gerechter Krieg?
Immer wieder kehren Rechtfertigungen des Krieges und der Kampfbereitschaft der jungen Frauen: "Das kapitalistische Patriarchat wird unsere Lebensgrundlage zerstören, wenn wir jetzt nicht kämpfen", sagt eine von ihnen. Ein Großvater hat seiner Enkelin beigebracht: "Einmal im Leben, nur ein einziges Mal, sollte man genug Vertrauen zu etwas haben, um alles dafür aufs Spiel zu setzen." Diese Rechtfertigungen bleiben nicht unwidersprochen. Die Zerstörung des Selbstbildes dieser jungen Frauen wird auch gezeigt. Aber ist es wirklich völlig gleichgültig, wer der Feind ist, was das Ziel des Kampfes ist? Was bringt es, den Krieg aus den Augen der Frau zu zeigen? Wird er dadurch schlimmer? Wird er dadurch, dass nicht Männer, sondern auch Frauen ihr Leben im Kampf einsetzen, gerechter?
Dieser Krieg ist geerbt, aber deshalb noch nicht gerecht. "Bei uns bekommt jede Generation ihren eigenen Krieg", sagt die Enkelin. Cans Stück ist nicht pazifistisch, es zeigt nur das Dilemma: töten oder getötet werden. Beides ist schlimm.
Die Farbe des Morgens an der Front
von Mustafa Can, Deutsch von Jana Hallberg
Regie: Milena Fischer, Bühne: Sina Barbra Gentsch, Kostüme: Hanna Peter, Video: Henning Hartmann, Musikalische Leitung: Matthias Grote, Dramaturgie: Sophia Lungwitz.
Mit: Barbara Fressner, Gesa Köhler, Claudia Sutter, Nancy Pönitz, Helga Lauenstein, Eva Brunner.
Premiere am 18. Januar 2020
Dauer: 1 Stunde 20 Minuten, keine Pause
www.theater-paderborn.de
"Der Krieg bleibt namenlos, auch wenn die Geschichte des Werkes und seines Autors Mustafa Can einen kurdischen Hintergrund nahe legt. In der Regie von Milena Fischer zieht sich eher die Idee vom 'Universal Soldier' durch die Inszenierung, die auch auf Nordeuropäische Erfahrungswerte setzt", schreibt Ulla Meyer in der Westfälischen (20.1.2020). Das Sehnen der Frauen nach Normalität und Alltag werde immer dringender: "Man glaubt es sofort!" so Meyer. Regisseurin Milena Fischer setze dabei keineswegs auf Identifikation mit den verzweifelten Kriegerinnen, "diese Sehnsucht ist eher eine logische Folge der Ereignisse." Fazit: "Ein spannender Abend."
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