Molière - Zu Beginn der neuen Intendanz von Karl Sibelius in Trier treibt Thorleifur Örn Arnarsson Scherz mit Scherzen von Molière
Molière im Farbenrausch
von Rainer Nolden
Trier, 12. September 2015. Am Trierer Theater beginnt eine neue Ära. Und damit das auch jeder mitbekommt, hat Intendant Karl Sibelius für die ersten 20 Tage ein Premieren- und Uraufführungspaket geschnürt, das von der Moderne bis zu den Klassikern alles enthält. Allerdings: Das mit den Klassikern sollte man nicht zu wörtlich nehmen.
Los geht's
"Alles bleibt anders" hat Triers frischgebackener Theaterchef seinem Publikum versprochen und so auch seine Einstandsvorstellung überschrieben, die Georg Kreislers Ein-Mann-Stück "Adam Schaf hat Angst" nachempfunden war. Damit hatte sich der Intendant im Handumdrehen in die Herzen der Trierer gespielt, von denen ihm einige zuvor ziemlich übelgenommen hatten, dass er praktisch das gesamte Ensemble aller drei Sparten ausgewechselt hat. Am selben Abend gab’s dann noch die Uraufführung einer "Art Oper" der isländischen Komponistin Anna Thorvaldsdóttir: "UR" ist ein verrätselt bebilderter und faszinierend inszenierter Schöpfungsmythos mit fragmentierter Musik, die Urlaute und fremdländische Texte unterfüttert und streckenweise einen geradezu meditativen Sog ausübt. Die Regie führte der Isländer Thorleifur Örn Arnarsson, leitender Regisseur für Oper und Schauspiel am Hessischen Staatstheater Wiesbaden. Das – zumindest für Trierer Verhältnisse – gewöhnungsbedürftige Werk wurde indes mit begeistertem Applaus bedacht.
Am Tag darauf dann die erste Schauspielpremiere der Saison – und die Stadt hatte prompt ihren ersten Theaterskandal seit langem. Oder besser gesagt: ein Skandälchen, denn ein gutes halbes Hundert Zuschauer, das unter lautem Protest geräuschvoll aus dem Saal poltert, ist letztlich doch nicht mehr als eine quantité négligeable.
Vorstellung
Aber was war geschehen, das den Unmut der treuen Theaterbesucher so sehr angestachelt hat, dass einige von ihnen an der noch geöffneten Kasse umgehend ihr Premierenabonnement kündigten? Auf dem Programm stand Molière. Regisseur war, wie schon bei "UR", Thorleifur Örn Arnarsson. Der ließ erst einmal – aus gegebenem Anlass – seine Schauspieler quasi privat zu Wort kommen, von denen die meisten frisch an die Mosel verpflichtet worden sind. Und so verging fast die erste Stunde damit, dass sich die Neuen dem Publikum vorstellten. Das klang bisweilen so, als bewürben sie sich auf eine Stelle – eine Art Spiel vor dem Spiel, halb einstudiert, halb improvisiert, witzig, nicht ganz ernst gemeint, amüsant bis anrührend.
Und dann also: Molière – kein spezielles Stück von ihm, einfach nur: "Molière". Der Name des Dichters als Programm (wenn auch das Meiste, das zu sehen ist, dem "Tartuffe" entstammt). Über den Köpfen der Schauspieler, die in einem nahezu nackten Bühnenraum agierten, schweben die Kostüme, inspiriert von Superman, Engeln, Karnevalsoutfits und Rokoko. Nachdem die Mimen sich hineingezwängt haben, könnte die Handlung eigentlich einsetzen – aber dummerweise kommen den Männern und Frauen auf der Bühne immer wieder ihre persönlichen Befindlichkeiten dazwischen. Sie fallen aus der Rolle, reden sich mit ihren richtigen Namen an, vergessen ihren Text, wiederholen sich, improvisieren, bleiben hilflos im Molière‘schen Alexandriner stecken, reimen sich um Kopf und Kragen, und wenn sie eine Szene zum vierten Mal wiederholen müssen, plappern sie zuletzt los wie eine zu schnell abgespielte Langspielplatte. Das alles hat durchaus Witz, aber über einen solchen lacht man ja auch nicht mehrmals hintereinander.
Gefühle? Ertränkt.
Wenn es freilich um die tieferen seelischen Befindlichkeiten geht, enttäuschte Erwartungen, unerwiderte Liebe, Arglist und Lügen, müssen die Schauspieler zu drastischeren Mitteln greifen. Wann immer die Gefühle aufzulodern drohen, lässt die Regie sie ertränken in einer Flut aus Farbeimern und -tuben. Manch ein stilles Bild, das durchaus mehr Aufmerksamkeit verdient hätte, geht in dem buntfeuchten Tohuwabohu unter: etwa die Szene, in der Tartuffe die ihm versprochene Mariane so lange bedrängt, bis ihr das Luftballonherz auf der Brust vor lauter Verzweiflung und Panik platzt, oder wenn Orgon dank der fingierten Verführungsversuche seiner Frau Elmire endlich erkennt, welchen Heuchler er sich ins Haus geholt hat.
Zu diesem Zeitpunkt waren die Protestler vermutlich längst zu Hause und werden niemals erfahren, welch einen vergnüglichen Theaterabend sie verpasst haben. Mit einem Ensemble, das im Laufe der dreistündigen, ausgesprochen kurzweiligen Aufführung zu Hochform auflief. Und von der Mehrheit, die geblieben war, mit gewaltigem Applaus bedient wurden. Applaus, der verdientermaßen auch das Regieteam einschloss.
Alles bleibt anders? Das wollen wir doch hoffen!
Molière
Nach Motiven von Molière
Regie: Thorleifur Örn Arnarsson, Bühne: Daniel Angermayr, Musik: Gabriel Cazes, Dramaturgie: Ulf Frötzschner.
Mit: Julian Michael Boine (Anwalt), Gabriel Cazes (Musiker), Claudio Gatzke (Valère), Gina Haller (Mariane), Juliane Lang (Cléante), Nadia Migdal (Elmire), Klaus-Michael Nix (Spielleiter), Ronja Oppelt (Dorine), Christian Beppo Peters (Tartüffe), Gitte Reppin (Orgon), Tilman Rose (Damis), Barbara Ullmann (Mme Pernelle).
Dauer: 3 Stunden, keine verbindliche Pause
www.teatrier.de
Ein "starkes Stück eines starken Schauspielensembles", das allerdings vielen Zuschauer*innen "offenbar zu laut, zu nackt, zu schmierig" gewesen sei, hat Stefanie Braun vom Trierischen Volksfreund (14.9.2015) gesehen. "Das Talent der durchweg jungen Neulinge im Ensemble zeigte sich vor allem in den leisen Tönen, nicht im Geschrei, welches viele Zuschauer zu Buhrufen verleitete." Straffungen hätte der dreistündige Abend nach dem Empfinden der Kritikerin auch vertragen.
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So einfach soll das gehen? Man setze zusammen: Blödel-Monologe, um fehlende Aktion zu kaschieren, gleich klassisch vorm Standmikro aufgesagt, Schmierereien aus dem antiautoritäten Kinderladen, ein paar selbstbekennerisch hinausgeschriene Sätze aus dem Standardrepertoire politischer correctness, ein paar entschärfend oft zu Monologen umfrisierte Passagen vornehmlich aus “Tartuffe”, mit nicht endenwollenden Slapstickablenkungen garniert (dem Text vertraut man ja nicht mehr), anschließend stur behaupten, die intellektuelle Dünnbrettbohrerei sei der inkarnierte Fortschritt, und, wenn Kritik einsetzt, alle lautstark beschimpfen, die das Ergebnis dürftig und unerträglich finden.
Nein, das lassen sich keine altmodischen Spießer nicht gefallen, unwert, so reich beschenkt zu werden, Mob, Abschaum, sondern
Leute, die sich nicht einfach von jedem dahergelaufenen Möchtegerngenie ins Bockshorn jagen lassen!
Was wird das gekränkte Kind aus dem antiautoritären Kinderladen jetzt wohl tun? Vielleicht den bösen Erwachsenen (...) sonstwiefeindliche Tendenzen vorwerfen, die angeblich hinter der Ablehnungsfront heimtückisch lauern?
Noch ein Wort zu den im Stück verwandten Standardbotschaften à la political correctness: Keiner der anwesenden Premierenbesucher, nicht einmal die auffällig als erste den Saal verlassende Einzelperson, dürfte in Abrede stellen, daß Verlobung von Kindern bereits vor ihrer Geburt schlimm und abzuschaffen sei. Aber wie herrlich wär’s gewesen, sich dies nicht mit dem Scheunentor auf den Kopp knallen lassen zu müssen, sondern es im befreienden Selberdenken selber erschließen zu dürfen bei einer ordentlichen Präsentation des Originals eines der bestimmt 15 einfach herrlichen Molière-Stücke, bei denen das Thema der Zwangsheirat und wie man ihr entgeht, zu den thematischen Standards gehört.
Eine Parodie auf die stattdessen hier präsentierte, provokant sein wollende Banalkunst findet sich in Band 1 folgender jetzt auch in Buchform erschienen Theaterstücke: “Die Schmeißfliegen. Eine antike Komödie”. Abschlußdatum (nicht veröffentlichte Angabe): 1. Mai 1996!
Also nach Maßgabe heutiger Stilauffassung war das, was am Samstag geboten wurde, bereits ein wenig in die Jahre gekommen.
http://www.klauspeterbungert.de/neu-buchveroeffentlichungen.html
http://www.klauspeterbungert.de/meine-theaterstuecke.html
http://www.theaterverlag-cantus.de/content/index_ger.html
Klauspeter Bungert
http://www.klauspeterbungert.de