Bandenkrieg um die Machtergreifung

7. Oktober 2023. In Dresden hat er 2004 mit seinen "Webern" die Pegida-Märsche vorweggenommen. Nun deutet Volker Lösch gemeinsam mit dem Autor Lothar Kittstein die "Dreigroschenoper" zur sarkastischen Parodie auf rechte Strategien der Machtübernahme um. Landtagswahlen 2024 ahoi!

Von Michael Bartsch

Volker Löschs "Dreigroschenoper" in Dresden © Sebastian Hoppe

7. Oktober 2023. Seit den skandalbegleiteten "Webern" 2004, als Volker Lösch mit dem motzenden und ningelnden Bürgerchor Pegida und die Straße ein Jahrzehnt vorwegnahm, sammeln auch die Dresdner regelmäßig Erfahrungen mit seinen Inszenierungen. Und die signalisieren auch im labilen Krisenjahr 2023 Déjà-vu-Effekte und selten gewordene Kontinuität. Man hat in gewohnter Ambivalenz eben wieder einmal einen typischen Lösch gesehen. Nicht löschen, sondern feuern!

Der Stoff, den er sich diesmal auf politisches Tagestheater umzutrimmen vorgenommen hat, ist immerhin vom Rang der "Dreigroschenoper". Brechts ätzende Parodie auf kapitalistisches Verwertungsdenken, bei dem selbst die Opfer der Verhältnisse noch als Darsteller einer inszenierten Bettelarmee benutzt werden, war schließlich auch an die alte "Beggar's Opera" von 1728 angelehnt. In der Dresdner Fassung geht es nun nicht um die Kritik an einem alles deformierenden Ökonomismus. Die mit Hilfe des theatererfahrenen Autors Lothar Kittstein erstellte Adaption spielt fiktiv in der Woche vor einer ganz real 2024 anstehenden Landtagswahl in Sachsen. Und sie spielt mit der leider nicht minder realistischen Aussicht auf eine Machtergreifung durch eine nur scheinbar gespaltene Rechte.

Gutbürgerliche Radikalität oder Anarchistenmob?

Der Machtkampf zwischen Peachum und Macheath, der auch ein Hahnenkampf zweier eitler Alphatiere ist, wird umgemünzt in einen Kampf zwischen zwei Erscheinungsformen der Neuen Rechten. Gleich zu Beginn verprügeln Herr und Frau Peachum rhythmisch zum Weill'schen Vier-Schläge-Motiv einen allzu gewaltbereiten Bomberjackentyp. Sie stehen für die Partei "Perspektive für Deutschland", die ungern offen mit Gesinnungsterror gegen Andersdenkende in Verbindung gebracht werden möchte. Politikjournalisten und Zeitungsleser wissen, dass die heutige Rechte vor 15 Jahren schon ihren Vorläufer in der propagierten "bürgerlichen Radikalität" der NPD hatte.

Dreigroschen 1Sebastian Hoppe uGangstertruppe aus allen möglichen Milieus: Sven Hönig, Kaya Loewe, Viktor Tremmel, Yassin Trabelsi, Anna-Katharina Muck, Henriette Hölzel, Jannik Hinsch © Sebastian Hoppe

"Unser Geschäft ist es, menschliche Wut zu erregen, aber maßvoll, nicht radikal", weist Peachum den Heißsporn zurecht. Über die gesamte Spielzeit trägt Philipp Grimm einen blauen Maßanzug mit roter Krawatte. Sein Gegenspieler Macheath alias Mackie Messer gilt in der Vorlage als der eigentliche sich nobel selbstinszenierende Dandy, und Jannik Hinsch kommt dem in seiner Kostümierung nah. Vor allem aber schart er einen schillernden Kreis von Egomanen, Esoterikern, Berufsunzufriedenen und irgendwie Freiheits- und Revolutionssüchtigen um sich. Kostümbildnerin Carola Reuther kann sich austoben, vom Dreschflegel über den Regenbogen-Berockten und die transzendent-naive Jenny bis hin zur Budjonny-Reiter-Spitzmütze und zum Roter-Stern-T-Shirt ist alles dabei.

Makabre Anklänge an Realereignisse

Starke eineinhalb erste Stunden lassen den Originalplot hinter so vielen politischen Originalereignissen der Gegenwart fast vergessen. Wenn Polizist Brown die Macheath-Truppe mit Waffen ausstattet, muss man an die verschwundene Munition bei der Sächsischen Polizei denken. Den parodistischen Höhepunkt bildet die Krönung Mackies zum sächsischen Kurfürsten und die Erhebung seiner von Peachum entführten Polly zur sächsischen Landesmutter in einem Reifrock-Monstrum. Einzige kleine Unkorrektheit: Reichsbürger Peter Fitzek hatte sich im sachsen-anhaltinischen Wittenberg zum "König von Deutschland" krönen lassen, nicht in Sachsen.

Dreigroschen 3Sebastian Hoppe uKrönung der Kleinkriminellen: Philipp Grimm, Henriette Hölzel und Sarah Schmidt © Sebastian Hoppe

In dieser Phase der Inszenierung gewinnen einige der legendären Brecht/Weill-Songs eine sehr gegenwärtig drohende Dimension. Zu Recht brandet Szenenapplaus auf für die vehement-laszive Henriette Hölzel als Polly, wenn sich ihr Schiff mit acht Segeln in die allgemeine Aufruhrstimmung einfügt. Generell ist das hervorragende Zusammenspiel zwischen den Sänger-Spielern und den ausgezeichneten Musikern zu loben.

Ein Menetekel, auf die befürchtete Spitze getrieben

Es folgt allerdings eine Phase, da auch ein Volker Lösch Mühe zu haben scheint, seinen Plot und die anstehenden Songs der Vorlage zu synchronisieren. Wie kriegt er die Kurve zu welchem Schluss? Erst einmal gelingt ihm ein Kunstgriff, wenn er Mackies frühere Geliebte Lucy, Tochter des Polizei-Kollaborateurs Brown, mit dem Countertenor Georg Bochow besetzt und so eine homoerotische Dimension einbringt. Durchaus legitim, verstand doch Brecht selbst sein Werk als Parodie auf Händel-Opern.

Dieser "Lucyus" avanciert schließlich zum Kämpfer beim Versuch einer vorzeitigen Machtergreifung, wiederum dem real geplanten Reichsbürger-Putsch abgelauscht. Nur scheinbar wird die Mackie-Truppe verhaftet. Denn "Was ist ein Putsch gegen eine Landtagswahl?", heißt es ganz brechtisch. Auf legalem Weg erringt die wiedervereinigte Rechte mit 58 Wählerprozenten die Herrschaft, und in der Inszenierung steht die CDU "für konstruktive Gespräche bereit". Alarmierend ist das Video von deren Wahlparty: Verbliebene Demokratieromantiker werden nun "an das Bundesverdienstkreuz genagelt". Ein Menetekel!

Neben der unverkennbaren Regiehandschrift fallen auch personelle Kontinuitäten auf, sowohl zur letzten "Dreigroschenoper" 2012 in Dresden als auch zu früheren Besetzungen von Lösch-Inszenierungen. Voran Bühnenbildnerin Cary Gayler, die diesmal das Nymphenbad im Dresdner Zwinger nachgebaut hat. Barockidyll versus bösartige sächsische Gemütlichkeit. Wie bei Löschs AfD-Parodie des "Blauen Wunders" denken Texter und Regie Entwicklungen ganz brechtisch zu Ende.

Warum misstraut Volker Lösch dann zum wiederholten Male der erkenntnisfördernden Wirkung seiner Inszenierungen? Der warnende Epilog eines Zwickauer Klima- und Demokratieaktivisten war respektabel, aber unnötig.

 

Die Dreigroschenoper
nach Bertolt Brecht mit Musik von Kurt Weill
In einer Bearbeitung des Staatsschauspiels Dresden mit Texten von Lothar Kittstein
Regie: Volker Lösch, Bühne: Cary Gayler, Kostüme: Carola Reuther, Dramaturgie: Jörg Bochow, Musikalische Leitung: Michael Wilhelmi.
Mit: Philipp Grimm, Sarah Schmidt, Henriette Hölzel, Jannik Hinsch, Thomas Eisen, Anna-Katharina Muck, Jannis Roth, Viktor Tremmel, Sven Hönig, Yassin Trabelsi, Kaya Loewe, Georg Bochow, Betty Freudenberg, Jakob Springfeldt.Musiker (erste Besetzung): Hans-Richard Ludewig, Mark Weschenfelder, Michael Wilhelmi, Lars Kutschke, René Bornstein, Gregor Littke, Florian Lauer, Albrecht Ernst, Jannicke Hagen.
Premiere am 6. Oktober 2023
Dauer: 3 Stunden, eine Pause

www.staatsschauspiel-dresden.de

 

Kritikenrundschau

Als ein "herausragendes Ereignis der neuen Theatersaison" hat Wolfgang Höbel den Abend bereits vorab für den Spiegel (€ | 7.10.2023) angeschaut. Lösch zeige die "Dreigroschenoper" als "Stück über den Aufstand eines rechtsradikalen Mobs". Den Brecht-Erben hätte die Lesart "in Inhalt und Form" eingeleuchtet, weshalb sie die Freigabe erteilten. Der Abend sei mithin auch "Testlauf für das, was von 2026 an mit Brechts Stücken passieren wird", wenn die Regelschutzfrist im Urheberrecht für Brecht ausläuft. Höbel hat Lösch, einen "Mann mit linker Mission", auch auf den Proben erlebt, wo der Regisseur mit Mikro wie ein "Prediger" herumlaufe: "Natürlich hat der Mann selbst eine Neigung zum Oberlehrerduktus, zur Welterklärung, zur Besserwisserei. Die Kürzungs-, Umschreib- und Aktu­alisierungsarbeit in Dresden beschreibt er mit dem Satz: 'Wir zeigen weniger Brecht, um mehr Brecht zu bekommen.' Zweifelt da noch irgendwer? Der einzig wahre Erbe von Bertolt Brecht heißt, zumindest wenn es nach Lösch selbst geht, selbstverständlich Volker Lösch."

"Wo Lösch die Originalhandlung (...) als Sprungbrett für die Groteske nutzt, gelingt es ihm, die Protagonisten zu entlarven: Mackies Räuberbande fällt in sich zusammen, wenn das große Ziel nicht mehr im unmittelbaren Visier ist. Und Mr. Peachum geht es am Ende mehr ums Geld als um die PfD. Die Inszenierung ist also gelungen, weil die Idee, die AfD durch das Dreigroschenopernglas zu sehen, erstaunlich gut trägt und die Mechanik hinter der Fassade offenlegt", sagt Stefan Petraschewsky auf MDR Kultur (9. Oktober 2023). Leider komme die Musik zu kurz. Und: "Mir als Kritiker war das am Ende zu viel Agitprop; war das zu einseitig argumentiert. Hier wurden auch Dinge unterstellt, die man mit gutem Grund anders sehen kann." Er sei aber mit seinem Neffen in der Vorstellung gewesen, der in Dresden Geodäsie studiert, so Petraschewsky: "Ihm ging dieses Ende, dieser Schwenk in die Realität (...) 'nahe'. Er fand es deswegen gut. Theater für eine nächste Generation, das berührt – kann man es besser machen?!"

"Die Umdichtung funktioniert bei allen Stärken und Schwächen des für Lösch typischen Agitprop-Theaters famos", schreibt Heiko Nemitz in der Dresdner Morgenpost (9.10.2023). "Dass Löschs bestürzend aktuelle Polit-Agitation aber auch toll unterhält, liegt an viel Tempo und den unangetasteten, wenn auch in der Dramaturgie umgestellten Weill-Songs."

"Diese Dresdner 'Dreigroschenoper' ist ein eindrucksvoll künstlerischer wie politischer Theaterabend ganz im Sinne Brechts", schreibt Sebastian Thiele in der Sächsischen Zeitung (9.10-2023). "Ob politische Strategien der AfD, die Parallelgesellschaft der Reichsbürger oder das Frauenbild der Neuen Rechten: Alles sieht man zwar überspitzt, aber entlarvt und künstlerisch auf höchstem Niveau."

"Auch mit dieser Überschreibung mischt sich Lösch so direkt in den politischen Diskurs, wie es heutzutage selten ist", schreibt Joachim Lange in der taz und den Dresdner Neuesten Nachrichten (9.10.2023). "Das kommt szenisch zum Teil überzeichnet stilisiert wie bei einer Inszenierung von Herbert Fritsch daher, wird durch die O-Ton-Texte aber geradezu beängstigend grundiert. Dafür ist die Rhetorik aus der blauen, braunen und Reichsbürgerecke nahezu flächendeckend verarbeitet, bricht aus den Protagonisten heraus und lädt auch die Songs mit einer gehörigen Portion von wutgeladener Energie auf." Die ganze Truppe mache das "insgesamt fabelhaft", lasse sich auf das rotzig überdrehte Spiel mit vollem Körper- und Stimmeinsatz ein. "Dazu die Livemusik auf der Bühne in einer Nische des Zwingers unter Leitung von Michael Wilhelmi – das hat Tempo und funktioniert."

Für Jakob Hayner von der Welt (13.10.2023) liefert die Dresdner Inszenierung "einen deutlichen Beweis, dass das politische Theater hierzulande auf der Kippe steht – von der Ideologiekritik zur Ideologie. Auf der Bühne nichts als Abziehbilder und Schablonen, ist es ein erschreckendes Dokument des gesellschaftstheoretischen Verfalls der Kulturlinken". Er wettert: "Es ist eine Sache, den heutigen Liberalismus für pervertiert zu halten, doch eine andere, eine so vulgäre Kritik daran, die über Feindbildproduktion nicht hinauskommt, links zu finden. Ein politisches Theater, das sich die eigene Wahlkampfkompatibilität nur über solche schwerwiegenden Opfer des Verstandes zu erkaufen weiß, verrät die Sache, die es als eigene vorgibt: das Politische."

 

Kommentare  
Dreigroschenoper, Dresden: Denkfehler der Demokraten
Inszenierung hat mir gut gefallen. Hatte ich so in der Deutlichkeit - trotz Lösch - nicht erwartet. Die Überspitzung, die Spiellust und die Musik haben trotz aller (unangenehmen) Deutlichkeit in der Situationsbeschreibung unterhalten und zum Nachdenken angeregt. Das Abschluss - Statement oder auch den zivilgesellschaftlichen Call-to-action hätte es m.E. nicht bedurft, zumal die Kollaborationsunterstellung Richtung CDU und FDP nicht die Reihen der Demokraten schließt und einen Denkfehler aufzeigt, denn gegen Rechts als Demokrat zu sein, heißt nicht rot-rot-grüne Politik zur Mehrheit zu verhelfen, bspw. Neuverschuldung. Hier braucht es mehr Empathie aller demokratischen Akteure füreinander, was schwierig ist im richtigen Leben und gestern auf der Bühne.

Ich würde ebenfalls sagen, dass der Teil vor der Pause einen klareren inhaltlichen Faden hatte, aber es passte insgesamt.

Ausserdem bemerkenswert empfand ich die starke Körperlichkeit des Spiels, nicht nur das Herumlaufen und -turnen in der Kulisse, und die damit unterstrichene Entschiedenheit in der Erzählung - die große Bühne in Dresden bekommen sie nicht immer atmosphärisch gefüllt. Gestern gelang dies sehr gut.

Insbesondere das Spiel von Philipp Grimm und Sarah Schmidt als PfA-Funktionärsehepaar PEACHUM war toll.
Dreigroschenoper, Dresden: Brecht reloaded
Was für ein grandioser Abend! Die heute nicht mehr relevante Brecht-Dramaturgie wurde durch einfache, aber kluge Veränderungen aufgefrischt. Das kriminelle Bürgertum, verkörpert durch Peachum und Co, ist im rechten Politik-Milieu angesiedelt, die Macheath-Bande in so etwas wie dem verschwörungsgläubigen Reichsbürgerumfeld verortet. Und plötzlich bekommen sogar die Weill-Songs eine politische Dimension. Am Ende wirds dann ganz finster, wenn der "reitende Bote" beide Lager zusammenführt. Und man hat die ganze Zeit das Gefühl, nur Brecht zu hören. Tolles Ensemble, grandiose Band - mehr geht nicht. Großen Dank an die Brecht-Erben, so geht Brecht reloaded!
Dreigroschenoper, Dresden: Wozu?
Ja, die Musik war super gespielt, und meist auch gut gesungen, aber wenn das Brecht-Stück mehr Vorwand ist als Thema des Abends, bleibt das ein gutgespielter Fremdkörper. Wozu nur? Entweder will man Dreigroschenoper spielen und sehen, dass soll man es tun, oder man hält es für veraltet, dann sollte man ein neues Stück spielen. So kriegt man nur Ärger mit den Brecht Erben. (Weill auch?)
Kommentar schreiben