Kuschelige Ehehölle

28. April 2023. Regiealtmeister Dieter Dorn inszeniert in Wien einen ungewöhnlichen Doppelabend: Feydeau meets Beckett. Die Kombination ist sinnfälliger, als sie auf den ersten Blick scheint. Feydeau skizziert in "Herzliches Beileid" ein Paar auf dem Weg in die Ehehölle, deren Auswüchse Becketts "Glückliche Tage" verfolgt – mit der Ehefrau im Erdhügel.

Von Petra Paterno

"Glückliche Tage" / "Herzliches Beileid" von Dieter Dorn in der Josefstadt Wien © Rita Newman

28. April 2023. Eine Frau in weißem Spitzen-Negligé stolpert über die Bühne, gähnt, stößt sich an der an einem Bett lehnenden Leinwand, die im Regelfall in gutbürgerlichen Schlafzimmern mit Flügeltüren und offenem Kamin nichts verloren hat. Schlecht gelaunt legt sich die Frau ins Ehebett, das Julia Schultheis' Bühnenbild dominiert, vergräbt sich im Deckenberg. Zuweilen ändert der Schlaf alles: Yvonne aus Georges Feydeaus Einakter "Herzliches Beileid", die eben noch auf ihren Ehemann wartet, der sich auf einem Künstlerball amüsiert, wird im Wiener Theater in der Josefstadt buchstäblich über eine sehr kurze Nacht zu Winnie, der Protagonistin aus Samuel Becketts "Glückliche Tage". Von Beckett geht es schließlich wieder zurück zu Feydeau.

Die Frau im Erdhügel

Bei Beckett steckt Winnie das ganze Stück über in einem Erdhügel fest, kann sich nicht bewegen – Winnie im Erdhaufen, mit einem Sonnenschirm in der Hand, ein ikonisches Theaterbild. Bei Dorn steckt sie nun in der Matratze, förmlich eingekeilt zwischen Decken und Pölstern. Gefangen im Ehebett? Taugt diese Bildmetapher? Nun gut, Molly Bloom legt im "Ulysses" ihre Lebensbilanz ebenfalls im Bett ab. Beckett verlegte seine "Glücklichen Tage" in eine versengte Graswüste, in eine Endzeitstimmung par excellence, in Dieter Dorns Inszenierung spielt sich alles in einem mondänen Schlafzimmer ab. Man soll aber nicht gar zu kleinlich sein. Regisseur Dorn arbeitet sich schließlich seit Langem an der ungewöhnlichen Stückekombination ab.

Glueckliche Tage Herzliches Beileid1 1200 Rita Newman uDie Frau im Erdhügel wird zur Frau in der Matratze: Anika Pages als Winnie (nach Samuel Beckett) © Rita Newman

2019 brachte der Regiealtmeister in Nürnberg Feydeaus "Herzliches Beileid" heraus. Bereits damals wollte Dorn Feydeau mit Becketts "Glückliche Tage" verbinden. Angeblich scheiterte das Vorhaben am Veto der Beckett-Erben, die in der Josefstadt nun offenbar anstandslos die entsprechenden Rechte freigegeben haben. Auf Nachfrage beim Fischer-Verlag erfährt man, dass sich Dorn in Nürnberg im Verlauf der Proben selbst gegen den Doppelabend entschieden hatte, während er sein Vorhaben in der Josefstadt vier Jahre später knapp drei Stunden lang durchzieht.

Texttreue Theaterlegende

Die Kombination aus Feydeaus Eheschwank und Becketts Einsamkeitsetüde ist sinnfälliger, als es auf den ersten Blick scheint: Feydeau skizziert ein junges Paar auf bestem Weg in die Ehehölle, deren Abgesang wiederum bei Beckett stattfindet: die letzten Tage eines alten Paars mit festgeschriebener Rollenverteilung. Winnie palavert immerzu, während Willie kaum je ein Wort von sich gibt. Im Sprechen schweigen, das kann Beckett, indem er Winnies Geschwätzigkeit vorführt; nach ähnlichem Prinzip verfährt Feydeau, nur dass hier die Eheleute Lucien und Yvonne einander Gemeinheiten und Verdächtigungen an den Kopf werfen, um sich gleich darauf wieder in die Arme zu fallen.

Glueckliche Tage Herzliches Beileid3 1200 Rita Newman uIm Schwank von anno dazumal: Michael von Au und Anika Pages als Feydeaus Eheleute Lucien und Yvonne © Rita Newman

Von Dieter Dorn erwartet man sich ein Schauspielerfest, gut geöltes Erzähltheater alter Schule, gewiss keine kühnen Neudeutungen, dafür aber gutes Handwerk, bei dem Timing und Abläufe stimmen. Der 87-Jährige zählt zur Garde der textreuen Regisseure, prägte das Theater seit den 1970er Jahren und wirkte in München über drei Jahrzehnte hinweg als Intendant; bekannt sind Dorns große Shakespeare-Abenteuer und seine stilprägenden Botho-Strauß-Inszenierungen. Dieter Dorn ist eine Theaterlegende, die Josefstadt-Direktor Herbert Föttinger bevorzugt einlädt. Theaterlegenden-Buddy Claus Peymann hat ebenfalls bereits mehrfach in der Josefstadt inszeniert.

Beckett veralbert, Feydeau verernstet

Bedauerlicherweise geht die Rechnung nicht auf. Der Abend will sich partout nicht zu einem überzeugenden Ganzen fügen: Beckett wird veralbert, Feydeau verernstet. So kommen weder die zarten Momente noch die derben Pointen zum Tragen. Dabei konnte Dorn sogar mit seinen eigenen Schauspielerinnen und Schauspielern arbeiten: Anika Pages und Michael von Au übernehmen in Wien als Gäste die Hauptrollen, beide waren seit den 1990er Jahren bei Dorn in München engagiert. Vor allem Anika Pages findet als Winnie keinen passenden Tonfall, sie ist einen Tick zu überdreht und zu grell, spielt mit zu viel Nachdruck, sodass man ihr weder das existenzielle Leid abnimmt – noch die leise Freude am Leben zu sein. "For God's sake, don't act!", so korrigierte Beckett in seinen Regiearbeiten häufig die Akteure. Wiederholt hätte er dies in dieser Aufführung fordern können!

Michael von Au tritt als Willie bei Beckett bekanntlich kaum in Aktion. Man sieht ihn in Wien in den einzelnen Szenen selten, ab und zu knurrt er ein Wort in Winnies Richtung. Bei Feydeau findet von Au eine Form für den egomanischen Ehemann, Anika Pages überdrehtes Spiel passt ebenfalls besser zum Schwank als zu Becketts schöner Schwere. Allerdings wird Feydeau so ungebrochen vom Blatt gespielt, dass man es förmlich knistern hört. Werktreue dient im Fall von Feydeaus Altherrenwitzen und dem antiquierten Frauenbild dem Spiel in Wien nicht wirklich. Johanna Mahaffy landet als Dienstmädchen Annette immerhin ein paar Pointen, Tobias Reinthaller ist punktsicher der tumbe Bote. Aber wozu das alles? Eine Antwort darauf bleibt die Aufführung schuldig. Lieber unter einer Decke verkriechen.

 

Glückliche Tage
von Samuel Beckett
Deutsch von Erika und Elmar Tophoven
Herzliches Beileid
von Georges Feydeau
Deutsch von Georg Holzer
Regie: Dieter Dorn, Bühne: Julia Schultheis, Kostüm: Monika Staykova.
Mit: Anika Pages, Michael von Au, Tobias Reinthaller, Johanna Mahaffy.
Premiere am 27. April 2023
Dauer: 2 Stunden 55 Minuten, eine Pause

www.josefstadt.org

 

Kritkenrundschau

Die Kategorie "museal" sei für diesen Abend unangemessen, schreibt Egbert Tholl in der Süddeutschen Zeitung (28.4.2023). Denn: "Ein Museum versucht, irgendeine Beziehung zu den Menschen herzustellen, die es besuchen. Das trifft auf diesen Abend nicht zu." Die "Nostalgiker, die können sich freuen, weil nichts von der Sprache ablenkt, die geformt und durchdacht ist, wie immer bei Dorn, bestes Sprechhandwerk. Aber die beiden sprechen halt Feydeau und Beckett, mit jedem Punkt, jedem Komma, am besten noch mit jeder Regieanweisung. Und das hält man heute nicht mehr aus."

Auf Jürgen Kaube wirkte der "recht lange Abend wie eine fixe oder Schnapsidee des Regisseurs, die er und seine Schauspieler uns aber nicht erklären können, und zwar noch weniger dadurch, dass sie den doch sehr disparaten Texten brav folgen. Aus dem Beckett schwindet so die Boshaftigkeit und viel vom Leid, aus dem Feydeau schwindet der Slapstick", schreibt Kaube in der FAZ (29.4.2023). "Das Ganze ist weniger als die Summe seiner Teile."

"Dieter Dorn, fast 90, spürt sie noch genau, die Absurdität jeglicher Existenz", schreibt Joachim Lottmann in der Welt (29.4.2023). Lottmann hat eine "erst zähe und dann beispiellos kurzweilige, und damit denkwürdige Vorstellung" und findet, das Theater an der Josefstadt habe mit Dorn "das große Los gezogen".

Der Abend erreiche einige Male tragikomische Momente, schreibt Margarete Affenzeller in Der Standard (28.4.2023), gleiche aber insgesamt "einem Blick zurück in eine abgelaufene Zeit, in der ganz andere Fragen als heute gestellt wurden".

In der Wiener Zeitung (28.4.2023) kritisiert Edwin Baumgartner die Zusammenstellung der beiden Stücke als "ungenießbares Menü" und bezeichnet Feydeaus "Herzliches Beileid" als "grotesk schlechtes Stück". Die Inszenierung sehe aus, "als würde ein Vorstadttheater Klamotte spielen".

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