Vorstellung einer Zukunft

27. Januar 2024. Rätselhafte Objekte, ein neuer Planet. Dazu Menschen und Humanoide, die kaum voneinander zu unterscheiden sind. Denn wo beginnt, wo endet Menschlichkeit? Das ist eine zentrale Frage in Olga Ravns Roman. Alexander Giesche macht ein in Bildern delirierendes Gesamtkunstwerk daraus. Zumutung oder Ereignis?

Von Gabi Hift

"Die Angestellten" von Olga Ravn am Volkstheater Wien © Marcel Urlaub

27. Januar 2024. "Es ist, als kämen sie aus unseren Träumen." – "Es ist nicht schwer sie sauber zu machen, ich nehme normalerweise eine kleine Bürste." – "Ich kann nicht verstehen, warum ich das Gefühl habe, sie berühren zu müssen." – "Da ist etwas Bekanntes an ihnen, auch wenn man sie nie zuvor gesehen hat. Wie eine Erinnerung ohne Sprache." Die rätselhaften Objekte, von denen hier die Rede ist, sind schon durch eine ganze Reihe verschiedener Kunstformen gewandert, bevor sie hier in der Aufführung am Wiener Volkstheater ganz neue Gefühle in Menschen und Humanoiden wecken.

Neuartiges Romangebilde

Erschaffen wurden sie ursprünglich von der dänischen Künstlerin Lea Guldditte Hestelund für eine Ausstellung mit dem Titel Consumed Future spewed out as Present (dt. Konsumierte Zukunft, ausgespien als Gegenwart). Die Künstlerin bat ihre Freundin, die Dichterin Olga Ravn, um ein paar begleitende Texte dazu. Was als Miniaturen für den Katalog gedacht war, wuchs zu einem komplexen, neuartigen Romangebilde, das es auf die Shortlist für den International Booker Prize schaffte. "Die Angestellten" besteht aus über hundert Zeugenaussagen, aus denen sich nach und nach eine Geschichte herauskristallisiert: die rätselhaften Objekte, die auf einem neuentdeckten Planeten gefunden werden, verändern alle, die mit ihnen in Kontakt kommen – und das führt zu einer Katastrophe.

Diese Geschichte hat nun den Reggisseur Alexander Giesche inspiriert, der seine Werke als "Visual poems" bezeichnet. Es geht ihm mehr um das Erzeugen von Gefühlstableaus, von Räumen aus Bild und Sound als um Theater im klassischen Sinn. Die eigensinnigen Objekte sind also der Phantasie einer bildenden Künstlerin entsprungen, haben von dort einen Roman inspiriert, der nun wiederum als Installation auf die Bühne kommt.

Mondrianartige Flächen, abstrakte Videokunst

Hier sind die Objekte nun in zwei Räume eines Raumschiffs verstaut und die Mitglieder der Crew versuchen zu begreifen, was mit ihnen passiert. Die sieben Personen auf der Bühne erscheinen zunächst als eingespieltes Arbeitskollektiv: in Arbeitskleidung, einfachen Röcken, Hosen und Hemden aus dünnem Latex, in flächigem gelb, rosa, blau und grün (Kostüm: Felix Siwiński), unter ihnen dreht sich langsam ein schwarzer Boden.

Auf einem riesigen Screen an der Hinterwand sieht man etwas, das wie eine öde Steinwüste aussieht. Noch zwei weitere Screens begrenzen den ovalen Raum. Dann erkennt man in dem vermeintlichen Felsboden den stark vergrößerten Bodenbelag und sieht, wo die Bilder herkommen: Ein meterhoher dreigliedriger Roboterarm mit Kameraauge bewegt sich hin und her und filmt das Geschehen auf der Bühne. Die Aufnahmen der Schauspielerinnen sind nur kurz real, dann werden sie gedehnt, verzogen, die mondrianartigen Farbflächen ziehen in Schlieren ineinander, bis ein sich stetig veränderndes Band aus abstrakter Videokunst entsteht (Video Art: Luis August Krawen).

Aufstand der Bilder und Zeichen auf der Bühne von Alexander Giesche und Matthias Singer © Marcel Urlaub

In diesem psychedelischen Raum richten die Figuren ihre Aussagen mal in den Raum, mal an ein unsichtbares Gegenüber. Dass es sich um Verhöre durch eine externe Untersuchungskommission handelt, erfährt man nur aus dem Programmheft. Durch den Mund der sieben Darstellerinnen sprechen immer andere Personen, das macht alles ein wenig verschwommen, und man fühlt sich auf nicht unangenehme Weise desorientiert. Aus den Aussagen geht hervor, dass einige der Angestellten menschlich sind, andere sind gezeugte Humanoide, mit einem Körper aus Fleisch und Blut, der von dem der Menschen äußerlich nicht zu unterscheiden ist.

Schmerz der Entfremdung

Nach und nach kristallisiert sich heraus, dass der Kontakt mit den Objekten die Angestellten verändert. Wünsche, Träume und Sehnsüchte brechen hervor, allerdings sind es bei den Menschen andere als bei den Humanoiden. Die Menschen werden nostalgisch, vermissen die Erde, denken nur noch an die Vergangenheit und werden depressiv. Sie fühlen sich als Arbeitsmaschinen, die sich selbst verloren haben. In den Humanoiden wächst hingegen die Sehnsucht, zu echten Menschen zu werden. Dabei entwickeln sie Träume, die an die naiven Träume der Hippies erinnern: "Alles, was ich will, ist, dass mir jemand Blumen ins Haar flicht, ich will mit dem Auto einen Kontinent durchqueren, Staub aufwirbeln, meine Nase mit dem Duft der Wüste füllen, mit jemandem zusammenziehen, heiraten, ein Instrument erlernen, Walzer tanzen."

Der Schmerz der Entfremdung in der Arbeitswelt wird hier mit einer Ernsthaftigkeit angesprochen, der man so seit dem Ende der Studentenrevolte der 1968er kaum noch begegnet. Damals stützte man sich auf die Frühschriften von Marx, in denen es heißt, das Wesen des Menschen sei es, sich in der Arbeit selbst zu verwirklichen. Und diese Natur des Menschen werde durch den Kapitalismus zerstört. Dass Marx selbst das bald darauf als Idealismus verworfen hat, wurde oft unter den Tisch gekehrt, zu wunderbar war die Hoffnung, mit dem Kampf gegen den Kapitalismus auch aus dem ganz persönlichen Unglück entkommen zu können. Eine solche – naive – Hoffnung, dass der Klassenkampf automatisch auch zur Menschwerdung und damit zur spirituellen Befreiung von jeglicher Entfremdung führen müsse, wird hier jetzt nicht mehr durch Menschen vertreten, sondern durch die Klasse der Humanoiden.

ANGESTELLTEN2 1200 c Marcel UrlaubNoch Menschen oder schon Humanoide? In den Kostümen von Felix Siwiński  © Marcel Urlaub

So kommt es mit der Zeit zur Frontenbildung zwischen Menschen und Humanoiden. Alexander Giesche liegt aber nichts an einem Anheizen der Spannung. Er will die vielen Schichten der Gefühle in der Schwebe halten. Und er entschleunigt durch mutwilligen Stillstand. Einmal testen die Schauspielerinnen Geruchsproben in kleinen Phiolen, sprechen über private Erinnerungen, die sie mit den Gerüchen verbinden. Dann spielen sie Memory mit Emoji- karten. Das ist sehr lustig und dauert dann schier endlos – eine Provokation die einige Zuschauerinnen aus dem Saal treibt, andere fast zum Ausrasten bringt. Der behäbige Herr an meiner Seite gähnt wiederholt so laut, dass er wie ein Löwe im Käfig klingt. Die Damen an der anderen Seite zieht den Reißverschluss ihrer Handtasche so lange heftig auf und zu, bis er sich verhakt. Sich zwischen den beiden auf die meditative Stimmung einzulassen ist fast unmöglich.

Bilder von berauschender Schönheit

Erst ganz am Ende, als es zu einem Aufstand der Humanoiden gekommen ist und die Oberen auf der Homebase die "biologische Terminierung“ beschlossen haben – was bedeutet, dass alle Menschen sterben, aber auch die Körper der Humanoiden – diese aber später an anderem Ort wieder hochgeladen werden können. Erst in diesen letzten Momenten beschenkt die Aufführung das Publikum mit Bildern, die von solcher Schönheit sind, dass die davor teils quälende Langeweile völlig vergessen ist.

Eine Nebelmaschine zieht eine dünne Decke über den gesamten Zuschauerraum. Darauf entfalten sich mittels Laserprojektion gleißende, über den hellen Himmel jagende Wolken. Der Himmel über dem Kopf ist dabei zum Greifen nah, hinten auf der Bühne geht es nun ins Offene, helles blau über blau, Himmel und Ozean, die letzten noch lebenden Humanoiden sieht man von hinten, wie sie hinausschauen ins Blaue: Is this the dawning of the age of Aquarius? Und eine sagt: "Ich glaube an die Zukunft. Ich glaube daran, dass man sich eine Zukunft vorstellen soll und in ihr leben. Ich glaube daran, dass ich einer großen Liebe begegnen werde."

Die Angestellten
von Olga Ravn
Regie und Bühne: Alexander Giesche, Bühne und Lightdesign: Matthias Singer, Kostüm: Felix Siwiński, Komposition: Ludwig Abraham, Video Art: Luis August Krawen, Dramaturgie: Matthias Seier.
Mit: Elias Eilinghoff, Frank Genser, Hasti Molavian, Lavinia Nowak, Nick Romeo Reimann, Uwe Rohbeck, Birgit Unterweger.
Premiere am 26. Januar 2024
Dauer: 2 Stunden 30 Minuten, keine Pause

www.volkstheater.at

Kritikenrundschau

Faszinierendes Bildertheater, das sich ganz dem ruhigen Schauen verschreibt, aber "mit strapaziös langen Kontemplativschleifen den Rezeptionseifer des Wiener Publikums hart auf die Probe stellt", schreibt Margarete Affenzeller im Standard (online 27.1.2024). Die Bilder seien wichtig, "das macht Giesche in langen Murmelpassagen deutlich, in denen sich die Belegschaft zusammenrottet". Einmal zum Emoji-Memory-Spiel, "das überspannt den zeitlichen Bogen spürbar, so viel Entschleunigung ist kaum auszuhalten – ein hoher Preis, den die Inszenierung da kassiert. Und die damit doch Recht behält".

"Bilder von betörender und sinnlicher Schönheit, wie man sie selten im Theater erlebt", sah auch Julia Schafferhofer in der Kleinen Zeitung (online 27.1.2024).

Und dito schreibt auch Thomas Kramar in der Presse (29.1.2024): "Überhaupt zeichnet Alexander Giesche oft schöne, meist melancholische Bilder. Die manchmal an Popkonzert-Inszenierungen erinnern. Das kann er." Leider sei die Minimal Music, die er zuspielen lasse, nicht von entsprechender Faszinationskraft. "Aber vielleicht ist das ja gewollt? Wer Fadesse darstellen will, muss mit allen Mitteln arbeiten. Das Ergebnis ist dann eben – fad."

Kommentare  
Die Angestellten, Wien: Produkt: 10/10 - Substanz: 0/10
Abgedroschene science fiction Inhalte werden hier lauwarm präsentiert. (Stanley Kubrik, die Wachowski Zwillinge, etc haben all diese Themen schon lange vorher in der Popkultur durchleuchtet.) Das Stück ist so generisch wie die von WhatsApp kopierten Emojis auf den Memorykarten. Die Chance wirklich neues zu Transhumanismus a la vibrant matter auszusagen wird leider verpasst. Auch die Videoinstallation ist ein alter Hut wenn man sie mit kontemporären arbeiten von der angewandten/ ars Electronica vergleicht. Wirklich ärgerlich wenn man bedenkt wie viele Ressourcen/ talentierter cast hier offensichtlich herangezogen wurden. Man meint fast es wurde versucht mit Technologie (bis hin zum leblos eingesetzten kleinen 5-Achsen Roboter) die Substanzlosigkeit zu vernebeln.
Die Angestellten, Wien: Bad Art
Hallo Frau Hift,

Was sie als abstrakte Videokunst bezeichnen (von Luis August Krawen) ist ein vor 3 Jahren in den sozialen Medien tot gespielter Filter von TikTok names „time warp scan“. Was hier genau der kreative Beitrag von Herrn Krawen außer einer vergrößerten Umsetzung ist, lässt sich schwer sagen. Leider ist diese fade Kopie das center piece des „Visual poem“.

Dass dann auch noch billie eilish Melodien zur sonst gut gelungenen Musik einfließen mussten bringt das Fass der Einfallslosigkeit dann irgendwann zu überlaufen.
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