Halt Dich an Deinem Handy fest!

7. Oktober 2023. Das Wiener "Werk X" heißt jetzt "Theater am Werk". Zum Start der neuen Intendanz verlegt Multimedia-Theatermacherin Cosmea Spelleken Shakespeare ins Instagram-Universum. Stilecht mit Herzens-Emoji: "Romeo <3 Julia".

Von Andrea Heinz

"Romeo 3 Julia" von Cosmea Spelleken im Theater am Werk in Wien © Igor Ripak

7. Oktober 2023. Das Werk X in Wien ist Geschichte, unter der Intendanz von Esther Holland-Merten firmieren die beiden Spielstätten Kabelwerk (in Wien Meidling vulgo am Arsch der Welt) und Petersplatz nunmehr unter dem Namen "Theater am Werk". Das Kabelwerk eröffnete am 5. Oktober Maria Sendlhofers Österreichische Erstaufführung von Ewald Palmetshofers "Die Verlorenen". Ein ambitionierter Abend, der wohlwollende, aber zwiespältige Kritiken erhielt.

Mittendrin im Instagram-Maskenball

Ambitioniert kann man auch die Produktion nennen, mit der einen Tag später die zweite, umgebaute Spielstätte am Petersplatz eröffnet wurde. Cosmea Spelleken, der mit werther.live ein Pandemie-Hit gelang (ausgewählt fürs nachtkritik-Theatertreffen 2021 und eingeladen unter anderem zu "radikal jung"), macht aus Shakespeares ikonischer Liebestragödie ein Stück für die Generation Insta: "Romeo <3 Julia". Als Baz Luhrmanns aufgeputschte Verfilmung des Stoffes herauskam, war Spelleken gerade ein Jahr alt, ein bisschen von deren fiebrigem, rauschhaftem Geist vermittelt aber auch ihre Inszenierung – zumindest versucht sie es.

romeo julia 2 igor ripakEindringlinge auf dem Maskenball: Mercutio (Nils Hohenhövel) und Romeo (Liam Noori) © Igor Ripak

Das Publikum versammelt sich zu Beginn im Souterrain rund um die Bar, Getränke werden bestellt, die Lautstärke der elektronischen Musik wird immer unerträglicher, und als man oberhalb der Treppe Romeo und Mercutio ihren Dialog beginnen hört ("also dass wir hier so easy reinkamen..."), wird klar: Wir, das Publikum, befinden uns mittendrin im Maskenball der Capulets. Das Problem ist nur, dass das Publikum sich eben nicht zum Feiern hier befindet, sondern um einem Theaterabend beizuwohnen – dessen Beginn man nur schwer verstehen und auch nicht von allen Positionen im Raum aus wirklich gut sehen kann. Ein handwerklicher Fehler, der sich im Laufe des Abends wiederholen wird.

Lover mit Lavalampe

"Mittendrin statt nur dabei" scheint jedenfalls das Motto zu sein. Nachdem das Liebespaar sich auf der Tanzfläche kennengelernt, augenblicklich verliebt und Insta-Profile ausgetauscht hat, darf das Publikum, aufgeteilt in zwei Gruppen, entweder Romeo (Liam Noori) oder Julia (Luz Kaufman) in ihre Privatgemächer folgen.

In Romeos Kammer, mit Lavalampe und Sex Pistols-Plakat verwirrend anachronistisch ausgestattet, ist auf einem Vorhang zuerst ein Video seines Heimwegs zu sehen, auf dem er noch schnell einen Abstecher zum Take Away macht. Seinem ebenfalls auf die Leinwand projizierten Handybildschirm ist zu entnehmen, dass Mercutio noch in die "Grelle Forelle" geht (für Nicht-Wiener*innen: ein Club am Donaukanal, der vor vielen Jahren mal Club des Jahres war). Es folgt die teilweise zum Schreien komische Kontaktaufnahme von Romeo und Julia via Instagram, wobei hier schon die ersten Zuschauer*innen die Sitzreihen verlassen und sich an das hintere Ende der Wand stellen – weil man von vielen Plätzen aus kaum etwas sieht und der Chat am Bildschirm in diesem Moment die einzige Handlung ist. Es ist auch der erste Moment, in dem man sich fragt, ob man dafür Theater braucht.

romeo julia 3 igor ripakJulia auf dem Handybildschirm: Luz Kaufman © Igor Ripak

Der Genre- und Medienmix ist bestimmendes Stilmittel des Abends – schließlich hat Spelleken an der Wiener Filmakademie studiert: Die Hochzeit Romeo und Julias, zu der sich das Publikum (auf sich allein gestellt und daher etwas zögerlich) erneut im Vorraum versammelt, wird als Film eingespielt, die Eltern der beiden (Serge Falck und Evelyn Ruzicka) sind lediglich als Stimmen durch Lautsprecher zu hören. Das soll womöglich die Distanz der Jugendlichen zur Welt der Erwachsenen widerspiegeln, deren einzige Vertreter Pater Lorenzo (Jens Ole Schmieder) und Julias Amme (Jonny Hoff) zu sein scheinen.

Doch die Abwesenheit der Welt "da draußen" macht es völlig unglaubwürdig, wenn ständig vom "System" und der "Gesellschaft" gesprochen wird – wir erinnern uns, es geht in "Romeo und Julia" ja nicht zuletzt um die alles verheerende Fehde zweier Familien. Heutzutage würde man eventuell sagen: Clankriminalität. Und so kommt es auch hier zum Doppelmord, erst Tybalts (Joshua Bader) an Mercutio (Nils Hohenhövel), dann Romeos an Tybalt.

Fechtkämpfe in der Wiener Vorstadt

Spätestens hier driftet der Abend immer wieder ins Zusammenhanglose, fast unfreiwillig Komische ab: Zwar ist der Text sehr frei interpretiert und wird immer wieder auch improvisiert, doch die Grundhandlung der Tragödie bleibt. Und damit so archaische Versatzstücke wie Fechtkämpfe, Todesurteile und Verbannungen, die so gar nicht passen zu diesen harmlosen Vorstadt-Jugendlichen, die sich halb-witzige Nachrichten schicken. Dazwischen teilt Julias Amme via Chatnachricht mit, dass "Straßenkampf" sei und es Tote gäbe, lässt der Pater verlauten, dass er früher "Steine auf Bullen" geworfen hätte und läuft in Romeos Zimmer Ton Steine Scherben. Wo sind wir hier, wann – und vor allem: warum?

Das tolle Ensemble trägt trotz einiger Längen durch den zweistündigen Abend. Spellekens Zugang aber, der am Bildschirm noch so reizvoll war, verfängt im realen Wiener Theaterraum nicht.

 

Romeo <3 Julia
von Cosmea Spelleken nach William Shakespeare
Regie: Cosmea Spelleken, Bühne und Kostüme: Anna Kreinecker, Licht: Leonard Wölfl, Dramaturgische Beratung: Jonny Hoff.
Mit: Joshua Bader, Jonny Hoff, Nils Hohenhövel, Luz Kaufman, Liam Noori, Jens Ole Schmieder.
Uraufführung am 6. Oktober im Theater am Werk / Petersplatz.
Dauer: 2 Stunden, keine Pause

www.theater-am-werk.at

 

Kritikenrundschau

"Eine Mischung aus Medien-, Mitmach- und Stationentheater, die sich gut im 'Theater der Jugend'-Abo machen würde" hat der:die Korrespondent:in des Oberösterreichischen Volksblatts (7.10.2023) gesehen und schreibt: "Das alles ist sympathisch und ambitioniert gemacht, ohne wirklich zu berühren. Überraschungen, wie etwa einmal ein Happy End zu wagen, werden nicht geboten."

"Regisseurin Cosmea Spelleken hat in zwei kurzweiligen Stunden ein reizendes, stellenweise auch komisches Stück Jugendtheater gebaut, das sich moderner Mittel bedient. Das Ensemble spielt hervorragend", schreibt Guido Tartarotti im Kurier (8.10.2023).

Kommentare  
Romeo 3 Julia: Generationenkonflikt
Der Abend mag dem bildungsbürgerlichen Blick der Theaterwissenschaft nicht standhalten. Der Abend öffnet aber das Theater einer jungen Generation in ihren Erfahrungswelten und Stilmitteln. Theater von jungen Menschen für junge Menschen. Was hier als stilistisch nicht klar ausgearbeitet (Lavalampe, Sex Pistols Plakat) oder als penetrant laute Musik beschrieben wird, verkennt, dass derartige Relikte Teil dieser Jugendwelt sind und man gewisse Musik einfach auf diesem Pegel hört. Eine hauptsächlich über Streamingdienste kulturalisierte Generation bringt auch eine Ambiguitätstoleranz auf, die nicht fragt, ob ein Fechtkampf mit einem Insta-Chat kompatibel sei.
Was ihr wollt, Mannheim: Eklektizismus vs. Beliebigkeit
Eklektizismus war ja für Shakespeare typisch. Beliebigkeit allerdings eher nicht so. Insofern finde ich die Kritik schon ganz gut nachvollziehbar. Irgendwie zusammenpassen muss es dann doch.
Romeo und Julia, Wien: Verwischung der Grenzen
18- bis 20-Jährige haben kein Problem damit, sich für die Sex Pistols , Lavalampe, laute Musik und viele andere Dinge zu interessieren. Für Kategorisierungen und Abteilungen aber eher nicht.
Genau diese Verwischung der Grenzen macht den Beginn des Stücks interessant, in dem die Zuschauer, ohne es zu wissen, Teil davon sind.
Ebenso wie die Vielzahl der Mittel, die die Regisseurin einsetzt, um das Korsett der frontalen Bühne zu sprengen, vor der der Zuschauer nur eine Möglichkeit hat:dem Verlauf des Stücks zu folgen.
Aus der Linearität auszubrechen, die Begriffe Raum und Zeit (des Stücks, aber auch seiner Beziehung zur Gegenwart) zu erforschen und zu bereichern, ist Teil dieses Wagnisses, zu dem das Kino (vorproduziert), Instagram (live), die drei Räume und natürlich das Spiel der Schauspieler beitragen, um die Zuschauer in eine Geschichte eintauchen zu lassen die alle kennen und die sie dennoch am Ende an der Kehle packt.
Romeo und Julia, Wien: Wie radikal
wenn man hier so die kommentare liest, könnte man fast meinen, diese inszenierung wäre die erste überhaupt, die keine scharfe trennung zwischen publikums- und aufführungsraum vornimmt. wie radikal, wie jung! und das auch noch im petersplatz, wo in den letzten jahren der klassikerkanon ja sonst nur in form von trockenem frontalunterricht hoch und runter gespielt wurde.

dass 18- bis 20jährige keine lust auf schubladen haben, ist völlig nachvollziehbar. sie sind schließlich alle damit beschäftigt, ganz laut sex pistols zu hören, während sie fechtend das wachs in ihren lavalampen bestaunen.
Romeo und Julia, Wien: Meisterleistung
Entgegengesetzt der obigen Kritik empfand ich die Inszenierung als kunstvolle Verwebung verschiedenster digitaler Medien als auch analoger Mittel. Dies und noch mehr hat dazu geführt, dass ich Romeo und Julia das erste Mal auf emotionaler Ebene verstehen konnte. Besonders gefallen hat mir dabei unter anderem, als R&J sich hinter dem Vorhang im Bett liegend nur über Lautsprecher flüsternd austauschen. Sie sprechen über Tybald und Mercuzio, wodurch den beiden Charakteren eine neue Tiefe gegeben wird. Allen Charakteren wird in dieser Inszenierung ein neues Leben eingehaucht, dass sie menschlich und zeitgemäß wirken lässt. Die Amme als Nichtbinäre Person, hat mir („als bereits so-called wokem Teil der Zwischengeneration Zillenials“) mit ihrer friedlich ausgestrahlten Selbstverständlichkeit nochmal einen anderen Zugang zur LGBTG-Szene geschenkt.
Alles in allem merkt man, dass nur eine Meisterleistung des Teamworks und ein feines Regie-Händchen zu einer derart intelligenten Inszenierung führen kann.
Und jeweilige Kritik an mangelndem Mut zur Neuinterpretation empfinde ich als an den Haaren herbeigezogen. Hier geht es darum klassische Stücke zeitgemäß zu erzählen und die Erzählweise des Theaters zu revolutionieren, nicht dessen Inhalte. Dass allerdings eine Spelleken Inszenierung nicht mit den Maßen des klassischen Theaters gemessen werden kann, sollte auf der Hand liegen. Deshalb würde ich die obige Kritik mit „Aufgabe verfehlt“ bewerten. Vielleicht sollten bei folgenden Inszenierungen lieber KritikerInnen der entsprechenden Zielgruppe diese Aufgabe übernehmen.
Romeo und Julia, Wien: Sonderbehandlung
Ich verlange hiermit auch eine Sonderbehandlung für jede Spellecken Inszenierung! In die Josefstadt bitte außerdem künftig Kritiker:innen aus dem Seniorenheim und beim Theater für die Allerkleinsten lassen wir nachher die Zweijährigen ins Mikro lallen, Künstliche Intelligenz übersetzt das dann schon. Im Ernst: Die Theaterkritik hat offensichtlich das Vertrauen der Theaterbranche verscherzt. Wäre es da nicht vielleicht einfacher, die Theater lösten die Medien auf und wählten andere Kritiker:innen?
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