Lösch dich, Menschheit!

13. Juni 2023. Die Welt geht unter, aber vorher gibt's ein rauschendes Fest. Julien Gosselin bringt als deutsch-französische Koproduktion Texte von Thomas Bernhard, Arthur Schnitzler und Hugo von Hoffmansthal auf die Bühne. Ein zu zwei Dritteln grandioser fünfstündiger Abend. Jetzt zum Saisonstart an der Volksbühne Berlin.

Von Gabi Hift

Theater als Maskenball © Simon Gosselin

13. Juni 2023. Aus der Halle E des Museumsquartiers dröhnen Technobeats. Drinnen ein Dancefloor mit zwei DJs am Pult, Videoprojektionen, Bühnennebel, fahles Licht, an einer Bar gibts Bier und Wasser. Ein Rave ist das hier, kein Theater. Sollte das nicht ein Stück auf der Grundlage von Thomas Bernhards Roman "Auslöschung" sein? Manche fragen am Einlass, ob sie hier richtig sind. Die anderen tanzen schon.

Triptychon aus drei unterschiedlichen Teilen

Man ist eingeladen, Teil der feiernden Menge somnambul wippender Körper zu werden, oder sich das Ganze in seiner melancholischen Fremdheit von der Tribüne aus anzusehen. Die Kamera fängt die Gesichter der Tanzenden ein. Nach etwa einer halben Stunde sieht man auf dem Screen eine junge Frau einer anderen ins Ohr schreien, sie solle dringend zu Hause in Wolfsegg anrufen, da sei was passiert. Wolfsegg – der Ort, aus dem Murau, der Protagonist von Bernhards "Auslöschung" stammt. Der Roman beginnt damit, dass er die Nachricht vom tödlichen Autounfall seiner beiden Eltern erhält. Noch wird weiter getanzt, aber gleichzeitig werden Stoffabdeckungen abgenommen, auf einmal ist man in einem Art Deco Badezimmer mit schwarzweißen Kacheln. Pause.

Julien Gosselins monumentales Epos ist ein Triptychon aus drei formal und inhaltlich völlig unterschiedlichen Teilen. Im zweiten Teil steht auf der Bühne das Erdgeschoss eines Wiener Jugendstilvilla. Vor der Tür brennen Gartenfackeln. Hinter hohen Glastüren ein Salon mit festlich gedeckter Tafel, links davon ein Schlafzimmer, rechts das Badezimmer. Noch ist niemand da. Auf der Filmleinwand über dem Salon sieht man in schwarz-weiß ein sommerliches Wäldchen, die Kamera fährt auf den Eingang der Villa zu und in den Salon, aber es ist eine andere Zeit, alles ist verwüstet, die Möbel umgestürzt, Blutspritzer, eine Leiche, ein Messer steckt in einer Brust, noch eine Leiche, ein Erhängter. Das ist der Schauplatz eines grausigen Verbrechens, das vermutlich erst stattfinden wird. 

Französische Frivolität und Wiener Sentimentalität

Dann ist der Film zu Ende, der Salon füllt sich mit Gästen, ab jetzt filmt ein Kamerateam live, und auf dem Screen sieht man alles, was unten passiert, als fertigen schwarz-weiß Film. Gosselin hat eine ganz eigene Bühnenfilmtechnik entwickelt, es gibt ein Storyboard, einen perfekten Live Schnitt, heraus kommt ein Film, den man sofort im Kino zeigen könnte- nur dass man unten in Echtzeit zuschauen kann, wie er gedreht wird. Eine wahre Hochglanzpracht im Stil der 50er Jahre Filme, wie etwa von Max Ophüls, opulent, elegant, changierend zwischen Melodram und Burleske.

Das Personal der Abendgesellschaft kommt aus Schnitzlers "Komödie der Verführung", aus "Fräulein Else" und aus der "Traumnovelle". Die Texte sind virtuos miteinander verflochten. Das Ensemble setzt sich aus Gosselins französischer Truppe und aus Schauspieler:innen der koproduzierenden Berliner Volksbühne zusammen. Gesprochen wird mal deutsch, mal französisch, in selbstverständlichem, verspieltem Wechsel. Französische Frivolität und schlamperte Wiener Sentimentalität harmonieren wunderbar – beide ironisch, beide leicht bis in den Tod. 

Extinction1 805 SimonGosselinMarie Rosa Tietjen an der Weltuntergangstafel © Simon Gosselin

Wenn Zarah Koflers Fräulein Else im Veronalnebel zum Arzt sagt: "Schö temm!" (Je t’aime), dann ist das das bezauberndste Französisch, das man sich denken kann. Überhaupt sind alle Figuren hochinteressant, ziehen sämtliche Register von melodramatisch über kokett bis zu hysterisch und dann wieder ganz schlicht. Es gibt einen Reigen von Verführungen, Verwerfungen, düsteren Todessehnsüchten und clownesken Auftritten. Alle wollen sie einander gefallen, und alle verführen sie das Publikum. Zwischen Carine Goron als Albertine und Denis Eyriey als Fridolin ist der Sex weit heißer, der Abgrund erschreckender als bei Nicole Kidman und Tom Cruise in denselben Szenen in "Eyes wide shut". Marie Rosa Tietjen brilliert als Schauspielerin mit burschikosem Understatement und schamloser Eitelkeit. Wie sie bei Tisch den Chandos- Brief von Hofmannsthal als Grotesktanz performt, ist ein Glanzstück des Abends. 

Thomas Bernhard und Die Letzte Generation

Obwohl dieser zweite Teil sehr lang ist, zweieinhalb Stunden, will man nichts verpassen. Es gibt eine Unzahl von kleinen Momenten zu entdecken, ein Kaleidoskop von Lebendigkeiten. Zwar kommt es einem immer verrückter vor, wie fiebrig all diese Menschen in ihren erotischen Verstrickungen zucken und dabei vollkommen blind für die Katastrophe sind, die vor der Tür steht – es ist Juni 1914. Und doch spürt man eine Faszination, hat Lust, selbst dabei zu sein bei diesem Rave in den Abgrund vor über hundert Jahren. Bis dann urplötzlich die Apokalypse hereinbricht. Auf einmal geht die Welt unter, mit Dröhnen und Heulen und Zähneknirschen – genau wie in "Melancholia" von Lars von Trier, und das macht Sinn, denn für diese Gesellschaft kommt der Untergang so unerwartet, als ob ein Komet einschlüge. Diese Blindheit ist ja gerade das Unglaubliche. 

Extinction2 805 SimonGosselinRosa Lembeck im dritten Teil des Abends © Simon Gosselin

Der dritte Teil ist wieder ein völliger Bruch. Rosa Lembeck sitzt allein an einem kleinen Tisch auf ansonsten leerer Bühne und spricht über ihre Eltern, die gerade bei einem Unfall gestorben sind. Es ist eine klassische Bernhard'sche Hass-Suada gegen die Nazimitläufer. Aber leider geht Gosselin hier das Verständnis für die Stärken des Texts ab. Die Idee, die dahintersteckt, Murnau von einer jungen Frau spielen zu lassen ist klar: Gosselins (Jahrgang 1987) eigene Generation hat wilde Raves gefeiert – blind für die knapp bevorstehende Apokalypse – ganz ähnlich wie die Kultur und Bildungsbürger am Anfang des 20. Jahrhunderts.

Schlenker ins Splatter-Genre

Nun gibt es eine neue Generation, die sich "die letzte" nennt. Und die ist wütend, die hasst, die muss und will zerstören. Und dafür will Gosselin die Bernhard’sche Wutenergie fruchtbar machen. Aber diese alten weißen Männer bei Bernhard beziehen ihre Kraft aus der Überzeugheit der eigenen Großartigkeit. Sie sind schamlos scheußlich, und deshalb kann man über sie lachen, und dann auch die Lust an der Wut erleben, die sie ausspucken. Was diesem Typus als Bühnenfigur den Garaus macht, ist Unsicherheit, zarte Gefühle, die durch die raue Oberfläche durchscheinen. Und leider versucht Rosa Lembeck genau das. Sie hat Tränen in den Augen und schnieft immer wieder diskret. Wenn Murau über sich sagt: "Ich habe bei mir keinerlei Sentimentalität zu fürchten", dann lässt sie Ihre Stimme zittern und straft sich selbst Lügen. Aber wenn man denken muss, dass der arme Mensch eben doch leidet, auch wenn sie das Gegenteil behauptet, dann geht der Hass-Suada die Kraft verloren. 

Aber, dem Wutgott sei Dank, hat Gosselin uns den anarchischen Spaß an der Vernichtung, der im dritten Teil nicht zünden will, schon am Ende des zweiten verschafft. Nach dem plötzlichen Weltuntergang ist es nämlich noch nicht zu Ende, sondern alle stehen auf einmal in bunten Folkloretrachte im Kreis und tanzen einen Schuhplattler. Eine zählt "Oaaaans. Zwooooa" – dann gehen sie mit dem Hackebeil auf das erste Opfer los. Blut spritzt, getanzt wird, dann kommt der nächste dran. Dieser plötzliche wilde Schlenker ins Splatter-Genre bringt wilden Schrecken und lautes Lachen. Und da ist sie, die Lust an Auslöschung und Hass, die sich bei Bernhard dann nicht einstellen will. Insgesamt also ein zu zwei Dritteln grandioser Abend. Dass das Ende leider nicht aufgeht, kann man verzeihen, weil man versteht, wie es gemeint ist. 

Extinction
nach Texten von Thomas Bernhard, Arthur Schnitzler und Hugo von Hofmannsthal
Adaption, Regie Julien Gosselin, Bühne: Lisetta Buccellato, Dramaturgie: Eddy d’Aranjo, Johanna Höhmann, Musik: Guillaume Bachelé, Maxence Vandevelde, Licht: Nicolas Joubert, Video: Jérémie Bernaert, Pierre Martin Oriol, Sounddesign: Julien Feryn, Übersetzung: Francesca Spinazzi (Panthea), Kostüme: Caroline Tavernier mit Unterstützung von Marjolaine Mansot, Kamera: Jérémie Bernaert, Baudouin Rencurel, Regieassistenz: Sarah Cohen, Max Pross.
Mit: Guillaume Bachelé, Joseph Drouet, Denis Eyriey, Carine Goron, Zarah Kofler, Rosa Lembeck, Victoria Quesnel, Marie Rosa Tietjen, Maxence Vandevelde, Max von Mechow.
Premiere im Deutschsprachigen Raum am 12. Juni 2023
Dauer: 5 Stunden, 2 Pausen

www.festwochen.at
www.volksbuehne.berlin

Kritikenrundschau

Um "Fremdschäm-Mitmachtheater" handele es sich hier nicht, so Erik Zielke im nd (13.6.2023), "eher schon um ein durchaus aufschlussreiches Experiment über die Trennung von Zuschauern und Darstellern und über deren Aufhebung". Der zweite Teil der Inszenierung entpuppe sich als "fein komponierte" Montage verschiedener literarischer Vorlagen. Der junge französische Theatermacher überzeugt für den Rezensenten nicht nur durch seinen Zugriff auf die Wiener Moderne, sondern wisse sich auch filmisch Ausdruck zu verschaffen: "Das Publikum ist bald im netflixgleichen Sog und darf munter Zitate aus der Filmgeschichte erkennen". Es sei ein kühner Einfall Gosselins, der Vorkriegsdekadenz einen humanistischen Vernichtungswillen gegenüberzustellen, so Zielke. "Möglicherweise verbirgt sich in diesem düsteren Abend mehr 'positive Energie', als man zu ahnen glaubt", resümiert der Autor.

"Stars wie Denis Eyriey, Carine Goron, Zarah Kofler oder Marie Rosa Tietjen habe starke Momente, aber all die raffinierten Text-Unikate werden ohne Maß und Ziel zum dicken Eintopf", schreibt Norbert Mayer in der Presse (13.6.2023). Weit vor Mitte des Mittelteils setze Erschöpfung ein, "die auch daran zu erkennen ist, dass sich bereits nach der zweiten Pause die Hälfte des Publikums verabschiedet hat", berichtet der Kritiker. "Postmodern-preußisch-pariserisch gesagt: Dieser Wien-Trip war eine vergebene Dekonstruktion", schließt Mayer seine Besprechung.

"Gosselin treibt viel Aufwand für diesen auseinanderklaffenden und doch soghaften, sich bis zum Schluss hin gedanklich errichtenden Abend, dem schätzungsweise drei Viertel des Publikums bis kurz nach Mitternacht die Treue hielten", berichtet Margarete Affenzeller im Standard (14.6.2023). Ihr Fazit: "Viel Stoff, ein wenig Kitsch, große Sprünge, satte Technik – ein Abend, der am Ende aber in sich stimmig wird und der zeigt, wie notwendig es ist, mit Literatur freihändig umzugehen."

"Gosselin beugt die Vorlagen, um 'eine Gesellschaft, die noch nicht weiß, dass sie bereits tot ist, auf eine kosmische Katastrophe treffen' zu lassen", referiert Thomas Trenkler im Kurier (14.6.2023). In der Volksbühnen-Koproduktion redeten die einen sehr deutsch, die anderen französisch. "Das ist mit der Zeit lähmend, besonders nervt die exaltierte Darbietung des Chandos-Briefs von Hugo von Hofmannsthal." Und das Erdbeben-Finale gerate unerträglich plump.

"Auf die Idee, dass Arthur Schnitzler, Hugo von Hofmannsthal und Thomas Bernhard zusammen gehören, konnte wahrscheinlich nur ein Fremder kommen", schreibt Wolfgang Kralicek in der Süddeutschen Zeitung (15.6.2023). "Wobei Julien Gosselin offen lässt, was genau sie verbindet." Grundsätzlich stünden die drei Teile von "Extinction" ziemlich unverbunden nebeneinander. "In der Spannung, die sich aus dieser disparaten Dramaturgie ergibt, liegen die Kraft und das Geheimnis dieser außergewöhnlichen Inszenierung."

Von Gosselins "perfekt inszenierten und ausgeleuchteten" Video-Bildern fühlte sich Barbara Behrendt von rbb|24 (8.9.2023) bei der Berliner Premiere "ungeheuer in den Bann" gezogen."Dem hinreißenden Ensemble kommt man so auf andere Weise nah." Sie sah "komplexe Frauenporträts" und verfolgte einen "furiosen" Solo-Auftritt von Rosa Lemberg mit Text von Thomas Bernhard." Ganz anders als Gosselins Deutschland-Debüt 'Sturm und Drang', das vergangenes Jahr an der Volksbühne floppte, gelinge dem 36-jährigen französischen Star-Regisseur hier "eine kluge Mischung aus Hochglanz-Bildungstheater und bildgewaltigem Live-Film, mit außergewöhnlich gutem Ensemble," schreibt Barbara Behrendt in der taz (11.9.2023). "Wie Menschen zu unterschiedlichen Zeiten das nahende Ende ihrer Welt lauthals beschweigen – das führt dieses fünfstündige Mammut-Theater eindrücklich vor."

Was der 36-jährige französische Regisseur Gosselin hier zeige, "ist wirklich absolut außergewöhnlich", findet Christine Wahl im Tagesspiegel (9.9.2023). Anders als in "Sturm und Drang" wirke hier nichts epigonal: "'Extinction' ist der Abend, der auch dem Berliner Publikum vollumfänglich erschließen dürfte, wofür der junge Regisseur international gefeiert wird." Kurz: "in Gegenwartskommentar, der sein Publikum mit verschiedenen historischen Folien – und auch Kulturtechniken – der 'Auslöschung' konfrontiert, vergangene und gegenwärtige dabei in eine spannungsreiche Beziehung setzt und auf den verschiedensten Ebenen zu inspirierender Entschlüsselungsarbeit einlädt."

Reservierter formuliert Simon Strauss in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (9.9.2023): "In der szenischen Umsetzung noch zu stark an Katie Mitchell und Alvis Hermanis orientiert, muss Gosselin ein wenig mehr Mut zur Eigenart fassen, um sein verheißungsvolles Programm einer theatralischen Emotionsgeschichte praktisch umzusetzen. Dann allerdings könnte er für das deutsche Theater eine neue Regiehoffnung werden." Rosa Lembecks "Auslöschung"-Monolg hat ihn fasziniert. "Aber trotz aller wunderbar dargebotenen Aversion gegen 'Selbstgestricktes und Selbstgemachtes' kann der Monolog nicht das heimholen, was der Abend dramaturgisch will, nämlich die Epochen des Nihilismus und die des Wutausbruchs kollidieren zu lassen."

"Wirklich nicht leicht durchzuhalten" findet Ulrich Seidler in der Berliner Zeitung (9.9.2023) den unironischen Schlussmonolog. Grundsätzlich seien die Handlungsstränge und Figuren nur angerissen, "es geht auch nicht um die Entwicklung von Konflikten, sondern um das Ausmalen des kurz-vor-toten Zustandes, in dem sich diese Gesellschaft befindet, die dann der Vollständigkeit halber von einer Apokalypse ausgelöscht wird".

 

Kommentare  
Extinction, Wien: 1913
Ein grandioser Abend, den ich auch gestern sehen durfte! Auch der dritte Teil ging für mich hervorragend auf und war der glanzvolle Schlusspunkt dieses wirklich fantastischen Theaterabends.

Ich möchte hier nur darauf hinweisen, dass das ganze Setting im Sommer 1913 angesiedelt ist, und nicht - wie in der Kritik geschrieben - 1914, sondern eben genau vor Beginn des ersten Weltkriegs. Was wichtig ist für die ganze Atmosphäre und vor allem Grundvoraussetzung für die Thematik dieses Abends.
Extinction, Wien: Weltuntergangsglaube
"Gosselins (Jahrgang 1987) eigene Generation hat wilde Raves gefeiert – blind für die knapp bevorstehende Apokalypse"
Es macht mich mittlerweise fassungslos, wie sehr der Weltuntergangsglaube mittlerweile unser Denken beherrscht.
Die Aufführung aber würde ich mir gerne ansehen, schade dass Wien so weit weg ist.
Extinction, Wien: Neuer Blick
Ich finde auch, dass gerade der dritte Teil sehr gelungen war und den Abend grandios abschloss. Weil ein neuer Blick auf Bernhard gezeigt wurde, eine neue Möglichkeit, diese Texte zu spielen und zu sprechen, abseits der Bernhard Klischees, die sich auf den Bühnen so etabliert haben.
Extinction, Wien: Kommt noch
@wolfgangk:
U.U. kommt sie noch näher: nämlich nach Berlin an die Volkbühne, Eröffnung der nächsten Spielzeit. :-)
Extinction, Wien: Letzte Generation
"Nun gibt es eine neue Generation, die sich "die letzte" nennt. Und die ist wütend, die hasst, die muss und will zerstören."

Das finde ich ein fatales Missverständnis, setzt sich doch die "letzte Generation" (mit drastischen Mittel) genau für das Gegenteil, für das Ender Planeten-Zerstörung ein.

Das hat mit Gosselin nur bedingt zu tun, aber ich wollte es nicht so stehenlassen.
Extinction, Berlin: Quälende Untergangs-Elegie
Gabi Hifts Nachtkritik stimme ich an einer Stelle zu: Der weinerliche Tonfall in Rosa Lembecks Schlussmonolog passt nicht so recht zu Thomas Bernhards Wut-Suada passt, in der er über Österreich, alte und neue Nazis, den Katholizismus und die Eltern-Generation ätzt. Dennoch ist dieser Schluss auf leerer Bühne, den man eher im Studio im 3. Stock als im großen Haus vermuten würde, der Teil des viel zu langen Abends, der mich noch am ehesten überzeugte.

Auf den 40minütigen Rave folgt eine 2,5 Stunden quälend lange Untergangs-Elegie als Live-Theater-Film. s wird geschmachtet, endlos parliert und dem Untergang des 1. Weltkriegs entgegentaumelt. Die Texte sind nicht mehr so geschickt verzahnt wie in Gosselins Volksbühnen-Debüt „Sturm und Drang“, die Motive sind nur angerissen und erschöpfen sich in melodramatischem Weltuntergangs-Einheitsbrei. Allzu plakativ geht die elegisch vor sich hindämmernde Salongesellschaft mit lautem Donnerknall zu Grunde, in einer kurzen Einlage vor der zweiten Pause geht ein Schuhplattler-Tanz in eine Splatter-Orgie über. Das haben viele Gäste der Berliner Premiere nicht mehr miterlebt, da die zähe Live-Film-Produktion von häufigem Türenklappern begleitet wurde.

Komplette Kritik: https://daskulturblog.com/2023/09/08/extinction-volksbuehne-theater-kritik/
Extinction, Berlin: Gelungener Volksbühnenauftakt
Endlich, ein gelungener Auftakt in eine neue Spielzeit an der Volksbühne.
Klar ist man zunächst verwundert, bin ich im Berghain gelandet? Aber der Rave, dieser Tanz auf dem Vulkan geht auf.
Junges, gut aussehendes Publikum nutzt die Chance und bevölkert 30 Minuten die Bühne.
Das war schon einmal interessant.
Dann folgen zwei 1/2 Stunden gutes Theater mit großartigen Schauspielerinnen. Ja, es ist erotisch, ja es ist erneut ein Tanz auf dem Vulkan kurz vor der Apokalypse, die sich dann auch einstellt.
Vor dem ersten Weltkrieg!
Dann ein unglaublich aktueller Text von Bernhard, den ich sehr mag, weil er so kompromisslos ist und aufräumt mit der braunen Brut des 20. Jahrhunderts und ihren Mitläufern.
Nach dem zweiten Weltkrieg!
Genauso radikal, aber nur nicht verbal bleibend ist die "Letzte Generation". Wir haben diesen Menschen in ihrer nachvollziehbaren Wut zu verdanken, dass sie vehement das Problem anspricht.
Eine Abrechnung mit der westlichen Arroganz steht an und vielleicht sind wir auch schon mittendrin.
Aber jetzt gehen meine Gedanken über diesen wichtigen Abend weit hinaus, was nicht hierher gehört.
Wer offen ist, sollte unbedingt wieder einmal in die Berliner Volksbühne gehen. Ich schaue mir diesen Abend mindestens noch einmal an.
Extinction, Berlin: Hinweis
Lieber Olaf! Der letztjährige Spielzeitauftakt an der Volksbühne war Ophelia's got talent.
Extinction, Berlin: Gelungener Spielzeitauftakt
Lieber Jan, das stimmt natürlich! Also schon der zweite gelungene Volksbühnenspielzeitauftakt.
Extinction, Berlin: Mit Wasser und Nüsschen
Man sollte natürlich ausgeschlafen und satt kommen, vielleicht eine Plastikflasche Wasser und Nüsschen dabei haben, da tanzen durstig macht. Geholfen hat auch, mir den Text hier vorher nochmal durchzulesen, damit ich ein bisschen besser wusste, worum es gerade geht. Aber dann wurde es ein vielschichtiges und unvergessliches Theatererlebnis für das man den zahlreichen Akteuren nur danken kann!
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