Der Revisor - Bühnen Bern
Alles geschmiert
27. Oktober 2024. Auch die Schweiz hat ihre Korruptionsfälle. Was jüngst ans Licht kam, baut Regisseur Roger Vontobel in seine Inszenierung von Nikolai Gogols "Der Revisor" ein und schafft eine Komödie at its Best, in der sich die Habgier nackt macht.
Von Andreas Klaeui
27. Oktober 2024. Es ist ja nur eine Znüni-Banane auf der amtlichen Spesenabrechnung. Oder gepanschter spanischer Wein in Flaschen mit Walliser Etikette. An realer Anschauung mangelt es nicht, soll Nikolai Gogols Komödienklassiker von 1835 nicht bloß noch als Märchen gelesen werden. So kommen sie hier denn mit genüsslichster Beiläufigkeit alle zur Aufzählung, die Skandale und Affären, die – wer hätte das geglaubt – die Schweiz gerade am Laufen hat. Das Programmheft sekundiert mit einem Manual zu Korruption made in Switzerland.
Rutschiges Parkett
Auf einer abschüssigen Ebene siedelt Bühnenbildnerin Claudia Rohner Gogols Gesellschaft in Bern an. Ein poliertes Parkett, wer drauf ist, kann lachen, wer darunter kommt, ist der Loser. Nach Talahon-Art rappt Lucia Kotikova in der Rolle des angeblichen Revisors Chlestakow "Ich hab Geld", nachdem sie sich kurz zuvor am Unterboden im engen Kämmerlein noch den Kopf angeschlagen hat. "Über wen lacht ihr?", fragt Claudius Körbers Stadtpräsident Skwosnik-Dmuchanowski zuletzt mit dem tragischen Pathos ins Publikum, wie es nur ein zugrunde gehendes Würstchen aufbringen kann.
Claudius Körber ist ein Stadtpräsident von virtuoser Erbärmlichkeit, ein despotischer Jammerlappen und ein Zappelbürokrat, nicht erst am Ende stolpert er selbsttrunken vom Parkett. Der Berner Schauspielleiter Roger Vontobel setzt in seiner Inszenierung neben dem helvetischen Lokalkolorit in erster Linie auf die Eigenwirkung des Stücks. Sie lässt ihn nicht im Stich.
Aushebelung des Systems
Die Qualität von Text und Inszenierung erweist sich in der Übertreibung, im erbarmungslosen Ausreizen der Groteske mit allen zur Verfügung stehenden Stilmitteln, auch denen von Slapstick und Boulevard. Will heißen: Zuspitzen und präzises Timing. Der Cellist Matthias Herrmann gibt von der Seitenbühne den Rhythmus vor.
Lucia Kotikova ist ein Chlestakow mit der Nonchalance und der Chuzpe der juvenilen Präpotenz, es ist ausgesprochen lustig mitzuverfolgen, wie sie das System zu ihren Gunsten aushebelt und sich einkrustet. Aber auch die Bürgerheuchler haben sich gewaschen. Isabelle Menkes Gesundheitsdirektorin Semljanika in der Haltung einer Kobra in Denkerpose. Jonathan Loosli, der den Richter Ljapkin-Tjapkin anlegt wie ein zu groß gewordenes Hundebaby.
Die akrobatischen Clowns Bobtschinski und Dobtschinski von Linus Schütz und Kilian Land. Die knarzige Postmeisterin, die Jeanne Devos mit verkanteter Verschlagenheit spielt. Milva Starks Politikergattin, die die ganze Insolenz der Neureichen zur Schau stellt; Lou Haltinner als staksige Teenagerin. Kostümbildnerin Ellen Hofmann hat sie in Anzüge eingekleidet, die aus Banknoten (wie man in der Schweiz sagt) zusammengenäht sind, rosa, grün, blau wie die 20er, 50er, Hunderterscheine.
Kabinettstückchen
Wenn sie damit den vermeintlichen Revisor bestechen wollen, ziehen sie sich folgerichtig aus bis auf die Unterhosen. Das ist ein schönes Bild; und jeder Strip ein furioses Kabinettstücklein für sich. Als bravouröses Ensemblestück inszeniert Roger Vontobel den "Revisor" in Bern, als böses Schweizer Märchen: Es läuft wie geschmiert.
Der Revisor
von Nikolai Gogol
Fassung von Felicitas Zürcher auf der Grundlage der Übersetzung von Ulrike Zemme
Regie: Roger Vontobel, Bühne: Claudia Rohner, Kostüme: Ellen Hofmann, Licht: Bernhard Bieri, Dramaturgie: Felizitas Zürcher, Live-Musik: Matthias Herrmann.
Mit: Jeanne Devos, Lou Haltinner, Claudius Körber, Lucia Kotikova, Kilian Land, Jonathan Loosli, Isabelle Menke, Linus Schütz, Milva Stark, Lia Walter / Ville Vontobel (Kinder).
Premiere am 26. Oktober 2024
Dauer: 2 Stunden 30 Minuten, eine Pause
www.buehnenbern.ch
Kritikenrundschau
Von "naheliegenden Einfällen" berichtet Lena Rittmeyer in der Berner Zeitung wie auch im Bund (27.10.2024). Die Rapszene kurz vor der Pause ist "einer der wenigen Momente, in denen die Regie das sichere Terrain der gut geölten Verwechslungskomödie verlässt und Überraschendes wagt." Gesamturteil: "Nicht immer passen Gegenwartsbezüge auf die Bühne, nicht jeder Theatertext braucht eine überdeutliche Aktualisierung. Sich beim Inszenieren hin und wieder selbst herauszufordern, kann aber bestimmt nicht schaden."
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