"Ich bin hier der Arzt!"

30. März 2022. Wer sagt eigentlich, was "krank" ist – und was "gesund"? Als Götter in Weiß hinterfragen das Kollektiv vorschlag:hammer und das Theater Hora vermeintliche Gewissheiten des Gesundheitswesens – und haben dabei viel Spaß.

Von Valeria Heintges

Das Kollektiv vorschlag:hammer und das Theater Hora in "Das kranke Haus" am Fabriktheater Zürich © Mali Lazell

30. März 2022. Da stehen sie vor dem Vorhang. In weißen Arztkitteln. Der ganz links fängt an: "Ich war beim Arzt. Mehr darf ich nicht erzählen. Ärztliche Schweigepflicht." Dann der daneben: "Gianni war beim Arzt. Ärztliche Schweigepflicht. Ich war auch beim Arzt, aber das ist privat." Der nächste wiederholt Gianni Blumers Geschichte, ein bisschen ausführlicher. Dann die von Matthias Grandjean neben ihm. Und auch er fügt seine eigene an: "Ich wurde am Herzen operiert." Das Kinderspiel "Ich packe meinen Koffer" als Ärzteserie. Immer wieder das gleiche, und dann die nächste Folge. Und noch und noch eine – darauf muss man erst mal kommen! Damit ist der Ton gesetzt: Hier geht es um Spitäler. Um Arztserien. Und es geht darum, Spaß zu haben.

Blutdruck und Spardruck

Diese tolle Idee hatte das Kollektiv vorschlag:hammer in Zusammenarbeit mit dem Theater Hora. Schauspieler Stephan Stock ist Mitglied von vorschlag:hammer und gleichzeitig künstlerischer Co-Leiter des Theaters Hora, der Zürcher Kulturwerkstatt für Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung. Für "Das kranke Haus" haben die beiden Teams sich zusammengespannt und noch das Zürcher Fabriktheater ins Boot geholt, wo das Werk jetzt uraufgeführt wurde. "Das kranke Haus" ist nicht nur ein wunderbares Wortspiel, sondern auch ein Stück über Krankenhäuser. Da geht es um Ärzt:innen, Oberärzt:innen, Pfleger:innen und Patient:innen. Wie sagt noch ein Arzt, den sie zitieren: "Ich liebe es, Krankheiten zu behandeln. Die Patienten gehören allerdings zur negativen Seite meines Berufs." Da wird operiert und behandelt, Blutdruck und Fieber gemessen. Und von Spardruck geredet.

DaskrankeHaus3 805 Mali LazellOperieren, Blutdruck checken, Fieber messen: Das Theater Hora und vorschlag:hammer performen Götter in Weiß bei der Arbeit © Mali Lazell

Von der Decke des Fabriktheaters kommt ein Vorhang herunter, der im Quadrat zugezogen werden kann. Ist er offen, sieht man einen OP-Saal und eine OP-Lampe, mit Flaschenhalter und Blutdruckmesser. An den Seiten kleine weiße Möbel, die auch als Sitze im Wartesaal fungieren. Als beinahe permanenter Soundtrack das Piepsen eines EKG. Viel braucht es nicht, um die Assoziationen an Krankenhäuser verlässlich zu wecken. Masken – aber wer assoziiert die noch mit Krankenhaus? Und Arztkittel natürlich, deren dünner Plastikstoff sich als erstaunlich variabel erweist: Mit Ausbuchtungen links und rechts kann er einen Menschen in ein Herzchen verwandeln, und richtig auf dem Rücken doppelt gelegt wird sogar ein geflügelter Engel daraus.

Einfache Mittel, starke Aussage

Die Mittel des "Kranken Hauses" sind simpel – die Aussage allerdings hat es in sich. Denn was denkt das Publikum, wenn da ein Schauspieler mit kognitiver Beeinträchtigung von der Hora-Truppe ihm sagt: "Ich bin hier der Arzt"? Oder ein anderer spricht: "Jeder Mensch hat eine Krankheit. Jeder." Der Abend lebt von dieser subtilen Unterwanderung seines Themas, ohne seine Schauspieler:innen je auszustellen oder zu benutzen. Sie spielen einfach ihre Rollen, sprechen ihren Text, manchmal ein wenig bis sehr unverständlich. Gelegentlich brauchen sie recht viel Zeit dazu, weil sie die eben brauchen. Und während man so zuschaut, kommen die Fragen nach dem Sinn der Kategorien von Gesundheit und Krankheit, von Normalsein und von angeblich nicht Normalsein ganz von allein.

DaskrankeHaus4 805 Mali Lazell Alle mal lächeln fürs Ärzte-Gruppenfoto: Fulminant parodiert sich das Ensemble durch einschlägige Krankenhausserien © Mali Lazell

Doch ist der Abend auch durchsetzt mit zum Schreien komischen Szenen. Natürlich gibt es das obligatorische Arztserien-Gruppenfoto im OP-Saal, alle schick aufgereiht rund um die OP-Liege. Ein Höhepunkt: Die ganze Truppe spielt eine Episode nach aus "Herzflimmern – Die Klinik am See", es könnte auch "Greys Anatomy" sein oder "Emergency Room". Oder doch die angestaubte "Schwarzwaldklinik"? Völlig egal, denn diese Szenen haben sie alle: Der Arzt kommt aus dem OP-Saal, zweifelt, ob die Entscheidung zu operieren die richtige war. Erst sieht es aus, als hätte er den Fehler seines Lebens begangen. Nach bangen, dramatischen Minuten zeigt sich: Die Entscheidung war doch richtig. Sie spielen das großartig schwülstig, zu klimpernder Klaviermusik, bis zum final-fulminanten Satz des dankbaren Angehörigen an den Gott in Weiß: "Ich hätte nie an Ihnen zweifeln dürfen!"

Enthusiasmus und Ironie

Sie spielen überhaupt alle wunderbar: die vorschlag:hammer-Leute Stephan Stock, Kristofer Gudmundsson und Gesine Hohmann mit liebevoller Ironie, die Hora-Leute mit umwerfendem Enthusiasmus und einer Freude, die Robin Gilly und Gianni Blumer unverhüllt-ansteckend zeigen, während Matthias Grandjean, Serafin Michel und Fabienne Villiger überaus ernsthaft ihrer Aufgabe nachgehen. Am Ende berichtet Hohmann von den Qualen einer Frau bei einer Geburt, die den Ärzten nicht ins Schema passt. Derweil liegt Grandjean auf einem mit bizarren gelben Matten belegten Bett wie auf einem Thron. Subtiler kann man die Frage nach der Sinnhaftigkeit von Pränataldiagnostik nicht stellen.

 

Das kranke Haus
Von Theater Hora und vorschlag:hammer
Konzept: vorschlag:hammer – Kristofer Gudmundsson, Gesine Hohmann, Bernhard Ladous, Stephan Stock, Dramaturgie: Hilkje Kempka, Kostüm: Sophie Reble, Bühne: Sabina Winkler, Sound: Bernhard Ladous, Technik/Licht: Lukas Sander, Ensemblebetreuung: Stephan Stock, Produktionsleitung: Manuel Gerst. 
Mit Gianni Blumer, Robin Gilly, Kristofer Gudmundsson, Matthias Grandjean, Gesine Hohmann, Serafin Michel, Stephan Stock, Fabienne Villiger.
Premiere: 29. März 2022
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

www.rotefabrik.ch

 

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