Männer, die mit Äpfeln schmeißen

15. März 2024. Geheimnisvolle Stätte: Im neuen Stück von Caren Jeß wird eine Industrieruine zum Ort von Begegnungen, die aus der Zeit fallen. Wie jene zwischen Malin und Joost. Regisseur Branko Janack hat die unwahrscheinliche Annäherung zwischen der Videobloggerin und dem Speedjunkie jetzt uraufgeführt.

Von Andreas Thamm

"Ave Joost" von Caren Jeß, Uraufführung am Staatstheater Nürnberg © Konrad Fersterer

15. März 2024. Gelbes Licht leuchtet hinter durchscheinenden Lamellen-Lappen. Die kurze Bühne endet an einer grauen Mauer wie aus Beton. Eine Erzählerin tritt auf, Anette Büschelberger im geblümten Kleid, sie trägt ein Gewehr und raucht. Und sie erzählt etwas von einem Wanderer auf dem Hügel über der Molkerei, der einen Apfel isst. 

Dann taucht ein Typ in einem Graffiti-artig bemalten Jogginganzug auf. Das sei der Joost, weiß die Erzählerin. "Der Staubsaugerbeutel unter den Wundertüten." Und dass der es nicht leicht hatte, im Heim aufgewachsen sei, nachdem die Pflegeeltern ihn nicht mehr wollten. Und dann tauchen nochmal zwei Typen auf, einer im blauen Jogginganzug und einer ganz gelb, Marcus und Bastl, Vater und Sohn. Sie treffen sich zum Rumballern in der Ruine der Molkerei.

Nah an der Eskalation gebaut

"Ave Joost" heißt die erste Arbeit von Caren Jeß, die am Nürnberger Staatstheater aufgeführt wird, eine Auftragsarbeit, inszeniert von Branko Janack. Ein Stück über Klasse hatten sich die Nürnberger gewünscht, aber wenn man das nicht weiß, und auch sonst, wird lange nichts klar an dieser Situation, in die man hier hineingesetzt wurde: Drei Männer werfen mit Äpfeln nach einer Mauer, das Obst zerschmettert wirkungsvoll, was ihren Schusswaffengebrauch symbolisiert. Und mit jedem Treffer donnert die Anlage und schickt noch ein Feedback-Fiepen nach.

Dazwischen werden erste Konfliktlinien offenbar. Dieser dreitagebärtige Vokuhila-Joost ist ein Speedjunkie und nah an der Eskalation gebaut. Bastl wünscht sich die Aufmerksamkeit seines Vaters, die aber der Joost bekommt. Zwischen diesen drei Jogginganzügen herrscht eine ungesunde Dynamik, doch aus irgendwelchen Gründen kümmert sich Marcus um das ehemalige Heimkind und den frisch arbeitslosen Hausmeister Joost. Kümmern auf diese Männer-Art halt, gemeinsam Rumballern und Unmengen Bier trinken in einer Industriebrache.

Ballern in der Industriebrache: Amadeus Köhli, Justus Pfankuch, Joshua Kliefert, Annette Büschelberger © Konrad Fersterer

Als Malin auftaucht, die mit der Taschenlampe durch plötzliche Dunkelheit funzelt, werden die offenen Fragen nicht weniger. Malin, das erfährt man wiederum von der unermüdlich rauchenden Erzählerin, ist so um die 14 und nicht sehr beliebt. Sie trägt sehr hohe Plateauschuhe und einen pinken, baumelnden Kraken-Ohrhänger. Und erzählt nun eine ganz andere Geschichte: Von Amalie und Amalia, die einstmals hier lebten und beide Skoliose hatten vom sich gegenseitig die Haare Flechten.

Ungleiche Annäherung

Wenn Malin diese Geschichte erzählt, spricht sie meist in eine wuchtige Fernsehkamera, zu ihren Followern nämlich, auch wenn es nur 27 sind. Ihr Gesicht wird auf die Wand projiziert. Sie wähnt sich, jugendsprachlich plappernd, allein, bis ein bärtiger Mann auftaucht, Joost. Zwischen diesen beiden ungleichen Charakteren, darum scheint es der Autorin zu gehen, entspinnt sich, der Ungleichheit zum Trotz, so etwas wie eine Annäherung.

Das alles ist in seiner Anlage eigentlich total interessant. Aber genau das ist vielleicht das Problem. Das Setting, eine verlassene Molkerei: toll, aber warum? Die Dynamik zwischen den drei Jogginganzügen, das Mädchen, das im Internet nach Anbindung sucht und dann im real life einen verhauten Follower findet, die Backstory von Marcus und Bastl obendrauf, in der es um die verstorbene Tochter bzw. Schwester und die, mal wieder, Unfähigkeit der Männer geht, ihren Gefühlen auf gesunde Weise Ausdruck zu verleihen.

Gereimt auf Joost und Toast

Nur wird am Ende kein Stück daraus. Caren Jeß und Branko Janack haben Versatzstücke zusammengeschaufelt und irgendwie verbunden. Man soll schon immer skeptisch sein, wenn irgendwas länger als 90 Minuten dauert. In diesem Fall wird viel gefüllt. Einmal mit Äpfeln, nochmal und nochmal schmetternd gegen die Wand gepfeffert, zweitens mit Irritationsmomenten, Brüchen.

Bastl bayert auf einmal heftig herum, intoniert dann sogar Haindlings "Bayern des samma mia", inklusive Schuhplattler, will sogar das Publikum animieren, aber viel mehr als unangenehme Peinlichkeit kommt dabei nicht heraus. Ein Bezug zu irgendwas ist nicht erkennbar. Drittens verschwindet der Kern des Ganzen unter redundanten Motiven und unwahscheinlich viel Gelaber, meistens über Glaube, Liebe und Hoffnung und dann über den fehlenden Trost, was dann wirklich zu oft auf Joost und Toast gereimt wird.

Ave Joost c Konrad Fersterer 0449Viel Redebedarf: Annette Büschelberger, Justus Pfankuch, Pola Jane O' Mara, Amadeus Köhli, Joshua Kliefert © Konrad Fersterer

Das ist schade, insbesondere weil in der Umsetzung, vor allem in der Ausstattung, so tolle Ideen stecken. Die Bühne klappt seitlich auf, wodurch ein Gang entsteht. Im Laufe des Stücks verlagert sich immer mehr Text hinter die Bühne und in die Zwischenräume. Malin wird irgendwann von Bastl in einem Getränkeautomaten entdeckt, mit einem riesigen Delfin, der eigentlich der Anhänger ist, der einmal seiner verstorbenen Schwester… Er selbst findet sich wie eingesponnen in einen enormen Pulli aus Wollwürsten – albern aber irgendwie auch gruselig –, während er beschreibt, wie vorne Joost die Haare geflochten werden, die tatsächlich im Laufe des Stücks, nahezu unbemerkt, immer länger werden.

Diese Dada-Elemente und Gags, sie wollen aber einfach nicht zünden. Vielleicht weil auch das Alberne schließlich irgendeine Fallhöhe, irgendeinen Resonanzraum braucht, in dem es entweder Bedeutung gibt oder Emphase. Und auch wenn insbesondere Justus Pfannkuch als Joost und Joshua Kliefert als Bastl ihre Figuren in ihrer Verzweiflung stark konturiert ausarbeiten, bleibt ihr Schicksal seltsam egal. Es verschwindet unter dem Knäuel des Materials.

Ave Joost (UA)
von Caren Jeß
Regie: Branko Janack, Bühne und Kostüme: Karin Rosemann, Bühne, Video: Maryvonne Riedelsheimer, Sounddesign und Musik: Max Nübling, Licht: Frank Laubenheimer, Kameraführung: Sophia Czerwinski, Maja Wenker, Dramaturgie: Sabrina Bohl.
Mit: Pola Jane O‘Mara, Justus Pfannkuch, Amadeus Köhli, Joshua Liefert, Annette Büschelberger.
Premiere am 14. März 2024
Dauer: 2 Stunden 15 Minuten, keine Pause

www.staatstheater-nuernberg.de

 

Kritikenrundschau

Ein "Amalgam" habe Caren Jeß "abgeliefert", "in dem die gewünschten Themen zwar interessant irisierend durchschimmern, sich aber in der Gesamtanlage verlieren wie die Echos der Schüsse in der alten Molkerei, die als Schauplatz dient", schreibt Christine Dössel in der Süddeutschen Zeitung (€ | 16.3.2024). Das Stück setze programmatisch weniger auf Handlung denn auf Atmosphäre, aber was vorgelegt werde, sei "nicht genug". "Und was die Atmosphäre angeht, verweigert der junge Regisseur Branko Janack den Dienst an der im Stück angelegten Spukschloss-Verwunschenheit ebenso wie am potenziellen Thrill und der Gothic-Romantik."

Für die Nürnberger Zeitung (16.3.2024) schreibt Bernd Noack: "Jeß hat eine Art Hybrid geschaffen: durch viel Prosa, Beschreibendes, durch schöne Porträts der Protagonisten muss man sich lesen, bis man wirklich zum Spiel kommt. Das hat eine poetische Sprache, das geht in Nürnberg aber ein wenig verloren, wie auch die morbide Atmosphäre einer abbruchreifen Molkerei, eines verlorenen Ortes, der hier nur eine blecherne Wand ist (Bühne Karin Rosemann), hinter der später die Kamera verirrt nach Räumen sucht und die Figuren aufstöbert, belauert, ausstellt."

Wolfgang Reitzammer berichtet für die Deutsche Bühne online (15.3.2024): "Man erkennt, dass die Autorin keinesfalls in die Tradition des sozialen Dramas von Franz Xaver Kroetz eintauchen wollte. Stattdessen erprobt sie eine bildreiche, oftmals verrätselte Assoziations-Dramatik der Fake-Realität, verstrickt sich aber zunehmend in sprachlich verworrenes Flechtwerk mit inhaltlichen Längen. Die Suche nach Glaube, Liebe und Hoffnung rekurriert ein bisschen auf das kritische Volkstheater eines Ödön von Horváth."

Regiieur Branko Janack bleibe nah am Text, so Martin Thomas Pesl im Freitag (18.3.2024). Seine über zwei Stunden lange Inszenierung verweigere dem Publikum den Einstieg in die ohnehin sperrige Geschichte. "Gespielt wird so, als wäre außer dem Ensemble niemand da." Das führe zwar zu durchaus überzeugenden Rollengestaltungen. "Darüber hinaus will sich aber kein Mehrwert einstellen."

Kommentare  
Ave Joost, Nürnberg: 90 Minuten
Verstehe den Satz mit den 90 Minuten nicht. Dauern Stücke in Kreis Nürnberg immer 90 Minuten?
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