In einer Welt mit Ablaufdatum

12. Februar 2022. She She Pop gelten seit ihrem Mega-Klassiker "Testament" als Expert:innen für Generationenkonflikte. Bei der Premiere am Berliner HAU traf das Kollektiv auf eine Gruppe junger Counterparts, mit der es alterstypische Erfahrungen, Nöte und politische Einstellungen verhandelte. Eine energetische Tanz-Battle.

Von Stephanie Drees

"Dance Me!" von She She Pop am Berliner HAU © Benjamin Krieg

19. Januar 2022. Im letzten Drittel dieses Ritts, da sind viele Körper schon gut benetzt vom Schweiße der Hingabe, wird es ernst. Nicht, dass es das zuvor nie gewesen wäre, wir sind bei She She Pop. Aber jetzt, nach neunzig Minuten Tanz-Battle "Alt gegen Jung", geht es ans Eingemachte. "Ihr sagt: Wir sind keine Generation", hält Lisa Lucassen vom Team "Alt" dem Team "Jung" in einer rührenden Ansprache entgegen, bevor die nächste Einlage der Kontrahent:innen fällig ist. Zu individuell, zu unterschiedlich fühlten sich die Jungen. Aber vielleicht, gibt die ältere Kollegin zu bedenken, stelle sich dieses Gefühl, einer Generation anzugehören, ein, wenn der große Gleichmacher um die Ecke komme, sich die Kalender der Jüngeren mit Todestagen füllen, wenn sich existentielle Erfahrungen wie Geburten und Fehlgeburten häufen, wenn sich plötzlich "Palliativ-Teams" bilden. Dann sei das Verbindende plötzlich näher als das Trennende.

Wettstreit der Generationen

So läuft also der Generationen-Wettstreit in "Dance Me!" am Berliner HAU: 10 Performer:innen, fünf auf beiden Seiten. Die einen, bekannt aus dem Kernkollektiv von She She Pop, sind heute um die fünfzig. In roten Shorts und grauen Leibchen verkörpern sie Turner:innen, deren Style im Gegensatz zur körperbetonten, lässigen Modesexyness der Jungen putzig wirkt.

Auf der anderen Seite: Mit 90er-Jahre-Retro-Codes spielende Menschen Anfang Zwanzig in Batikleggins, Bodies, Rüschenröcken und schimmernden Boxmänteln. Auch in Sachen Diversität scheint Team "Jung" klar die Trümpfe in der angehipsterten Hand zu halten. Doch Vorsicht, doppelter Performance-Boden: Alle spielen hier ein bisschen sich selbst und eine Version dieses Selbst. Auf dem Fußboden lassen bunte Markierungen (zumindest in der mittelalten Kritikerin) Erinnerungen an grausame Völkerballrituale des Sportunterrichts aufkommen. Auf diesem Grund wird sich tanzend gebattelt und in liebevoller Rivalität aneinander abgearbeitet. Das Praktische daran: Man lernt sich gut kennen.

Dance Me2 Benjamin KriegDie Jungen brüllen ihre Lebensfreude raus (die Sorgen kommen später oder sind schon da) © Benjamin Krieg

Um die besten Startvoraussetzungen auszuhandeln, umkreisen sich zu Anfang jeweils zwei Performer:innen aus den Teams im Kurzduell und hauen sich dabei Zuschreibungen um die Ohren, in denen Selbstentlarvendes neben plausiblen Überlegungen steht. "Wir wissen nicht, ob Berit einen Pilz auf seiner Eichel hat", sagt ein junges Teammitglied über eine Person aus Team "Alt", die wohl von vielen Menschen als weiblich gelesen wird. Oder, andersherum: "Wir wissen nicht, ob Eren weiß, welche Probleme ein Beckenboden im Alter machen kann."

Liebe zur Verausgabung

Dann beginnt das Spiel. Jeweils ein Team tanzt zur Musik des anderen, das mal mit Tamburin, E-Gitarre, Live-Gesang eine Rockballade und einen "Protest-Song" (Team "Alt") oder eine schmerzende Akustik-Version von Robyns "Dancing on my own" (Team "Jung") spielt.

In den Tanz-Einlagen dazu liegt viel Liebe zur Verausgabung und choreographischen Verbundenheit, zu Popkultur-Reminiszenzen, charmantem, Macarena-Song-inspiriertem Arm- und Hüftgeschwinge, Trance und Improvisation. Körperkraft und -gewicht werden in den Boden getanzt, repetitive Formationen zu Clubsounds gezeichnet, immer wieder Bewegungsfolgen einzelner Performer:innen in Gruppenbilder übersetzt. Es sind schöne Bilder für Spannungsfelder, auf denen individuelle Lebensentwürfe mit Zeitgeist, Sozialisation und Ökonomie zusammentreffen.

Und da sind Momente der tiefen, von Lebenserfahrung durchstochenen Wahrhaftigkeit. "Wir sind fucking krank", wirft Eren M. Güvercin in einer kurzen Rede über seine, die so genannte "Generation Z" in den Raum. Tatsächlich: In keiner anderen Alterskohorte war die Zahl der psychischen Erkrankungen bislang so hoch. Allerdings steigt auch die Bereitschaft, sich professionelle Hilfe zu suchen.

Mit Sorgen und Buzzwords

Wenn diese Selbst- und Fremdzuschreibungen rund um das Generationending (für das She She Pop irgendwann Expert:innen geworden sind, vielleicht, weil sie mit dem Avantgarde-Schild um den Hals auch als Stellvertreter:innen für ihre gelten) nicht durch den Raum fliegen, sprechen die Körper. Schlussendlich gibt es keine wirklichen Sieger:innen – nur "Energie"-Balken auf einer Anzeigetafel, die bei den Älteren schneller abbauen als bei den Jungen.

Dance Me4 Benjamin KriegMit dem Flair einer Automatenspielhölle: She She Pop und ihre jungen Counterparts im Tanzlokal © Benjamin Krieg

Der She-She-Pop-typische Methodenkoffer aus biographischen Verweisen und Vergleichen öffnet sich auch an diesem Abend. In eine "Welt mit Ablaufdatum" seien sie hineingeboren worden, rufen die Jungen in Richtung der Alten. Schönen Dank auch. Atomkraft, Ozonloch, Wettrüsten und Menschenketten "von Stuttgart bis Neu-Ulm": Auch ihre, diese Generation X, geben die Alten liebevoll ironisch ummantelt zu bedenken, sei eine gewesen, die sich "viele Sorgen" gemacht habe.

Das stimmt: Sie war eine der ersten, die die Auswirkungen ökonomischer und ökologischer Sünden ihrer Vorgängergenerationen unmittelbar zu spüren bekam. Und auf die gleichzeitig Konsum- und Lustversessenheit, Individualismus und Verantwortungslosigkeit projiziert wurden.

Die Frage, wie viel Zerrspiegel die eine Generation für die andere sein kann und umgekehrt, ist spannend, vielleicht die spannendste des Abends. Doch über die bekannten Diskurs-Buzzwords hinaus geht der Abend ihr nicht nach. Vielleicht hätte er dafür von der Generationenansicht zu den individuellen Geschichten seiner Performer:innen schwenken müssen. Die, das sei noch bemerkt, durchweg charmant und auratisch sind. Selbst dann und besonders dann, wenn sie – mit Orangen zwischen sich balancierend – einen Paartanz geben.

 

Dance Me!
Konzept, Idee: She She Pop, (die Besetzung wechselt jeden Abend)
Künstlerische Mitarbeit: Laia Ribera Cañénguez, Rodrigo Zorzanelli Cavalcanti, Bühne: Jan Brokof, Kostüm: Lea Søvsø, Mitarbeit Kostüm, Marie Göhler, Gabi Bartels, Lichtdesign: Andreas Harder, Mitarbeit Lichtdesign: Vito Walter, Choreografische Beratung: Jill Emerson, Ton: Xavier Perrone, Technische Leitung: Sven Nichterlein, Produktionsleitung: Valeria Germain, Produktionsassistenz (jung): Sarah Mounia Kachiri.
Von und mit (alt): Sebastian Bark, Dan Belasco Rogers, Santiago Blaum, Johanna Freiburg, Fanni Halmburger, Lisa Lucassen, Mieke Matzke, Ilia Papatheodorou, Tatiana Saphir, Claudia Splitt, Berit Stumpf.
Von und mit (jung): Hiyam Biary, Eren M. Güvercin, Jan Nwattu, Şimal Nil Şahin, Nikolas Stäudte, Béla Arnaud Weimar-Dittmar, Zelal Yesilyurt, Sindi Zeneli.
Premiere am 18. Januar 2022
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

www.hebbel-am-ufer.de

 

Kritikenrundschau

Von einem "insgesamt sehr charmanten und mitreißenden Abend" berichtet André Mumot auf Deutschlandfunk Kultur (18.1.2022). Auch, wenn der eigentliche Generationen-Battle über den Tanz ausgefochten werde, gebe es einiges, was die Teams Jung und Alt einander zu sagen hätten. Die Gräben zwischen den Generationen würden deutlich. "Ein kleines bisschen schade" findet der Kritiker, dass sich beide Teams unabhängig voneinander auf die Produktion vorbereitet hätten. Vor allem die tollen, talentierten jungen Darsteller:innen, die noch am Anfang ihrer Berufslaufbahn stehen, hätten seiner Meinung nach von gemeinsamen Proben mit den erfahrenen Kolleg:innen profitieren und dem Team Alt dann auf der Bühne möglicherweise noch besser "Paroli bieten" können.

"Man erfährt leider herzlich wenig über die Generationen – außer, dass die ältere deutlich musikalischer ist, während die jüngere besser tanzt", findet Barbara Behrendt auf rbbKultur (19.1.2022) und fühlt sich insgesamt eher an "Kindergeburtstage vor dreißig Jahren" erinnert. "Richtig bissig" werde der Abend jedenfalls nur ein einziges kurzes Mal. Das wäre alles nicht weiter schlimm, wenn diese Gameshow denn wirklich "Spaß und Unterhaltung" brächte, so die Kritikerin weiter. Aber: "Zehn Minuten können eine Ewigkeit sein, wenn man fünf Menschen bei ihren etwas ungelenken Techno-Moves zuschaut", stöhnt sie.

"Den Generationenkampf im HAU tragen offenbar nicht die allerhellsten Vertreter der jeweiligen Jahrgänge aus", kritisiert Tom Mustroph in der taz (20.1.2022). Den Tanz- und Musikdarbietungen kann der Kritiker einiges abgewinnen, aber die Generationenbeschreibung und Machtanalyse zwischen ihnen sind ihm zu dünn. "Für zukünftige Auftritte ist eine tiefere Analyse dieser Machtverhältnisse zu erhoffen. Auch möge der Selbsterkenntnis, dass es sich bei den vorgestellten Rollenmodellen um privilegierte Generationen im abendländischen Kapitalismus handelt, verbal oder performativ Ausdruck verliehen werden. 'Dance Me' hat Potenzial, die Beteiligten müssen es nur heben wollen."

 

Kommentare  
Dance me, Berlin: Vielversprechendes Intro
Die beiden Mannschaften fixieren sich und setzen in kurzen Wortgefechten erste verbale Kinnhaken: das Team Jung, das sich aus Performer*innen um die 20 rekrutiert, die erste Erfahrungen in der Freien Szene oder im P14-Projekt der Volksbühne gesammelt haben, wirft dem Gegenüber vor, dass sie nicht woke genug sind, nach dem jeweiligen Pronomen zu fragen, dass sie es sich in ihren Altbau-Wohnungen gemütlich gemacht haben, die für die Jungen gar nicht mehr finanzierbar sind, und dass ihre Generation mit ihrem Lebensstil und Ressourcenverbrauch mitverantwortlich ist, dass sich das Klima aufheizt und die Lebensgrundlagen zerstört werden.

Das Intro war durchaus vielversprechend, die kommenden 90 Minuten erschöpfen sich aber in einer Tanz-Battle der beiden Generationen und ein paar Spielchen wie Tauziehen oder Orangen-Engtanz. Die Rede-Duelle über Atomkraft, die Menschenkette 1983 gegen Nachrüstung oder Nonbinarität sind aber meist nur ein schlagfertiger Austausch von Klischees und Buzzwords. In die Tiefe gehen die Dialoge zu selten.

Stattdessen ziehen sich die Tanzeinlagen, die anfangs durchaus ihren Reiz haben, zu sehr. Einige Tage vor der Premiere war eine Länge von bis zu 150 Minuten angekündigt, doch auch die gekürzte 90 Minuten-Fassung hat dramaturgisch noch zu viele durchhängende Passagen. In den besseren Momenten hat „Dance me!“ durchaus Charme, gerade auch den Charme des Unperfekten, aber streckenweise wirkt das Treiben auf der Bühne wie ein Kindergeburtstag.

Komplette Kritik: https://daskulturblog.com/2022/01/19/dance-me-she-she-pop-kritik/
Dance me, Berlin: bitte weitere Kritiken
Gerade bei der Arbeit würden mich noch andere Meinungen interessieren. Haben denn die anderen Berliner Blätter nicht geschrieben? Tagesspiegel? Berliner Zeitung? etc.?
Dance Me, Berlin: Zeitverschwendung
Ich habe schon viel gesehen. Diese Performance war die mit Abstand schlechteste Show, die ich in meinem langen Leben (55) gesehen habe. Kein Talent, keine Schönheit, keine Intelligenz, kein Witz. Die Darsteller haben sich scheinbar selbst gelangweilt in ihrer uninteressanten und uninspirierten Darstellung. Körperverletzung. Zeitverschwendung.
Kommentar schreiben