FEAR - An der Schaubühne Berlin schickt Falk Richter seine Darsteller in die linksintellektuelle Blase
Lachen über Pegida
von Georg Kasch
Berlin, 25. Oktober 2015. "We are the others", sagt Frank Willens zum Schluss, wir sind die Anderen. "Ich weiß, es klingt pathetisch." Stimmt. Es sieht auch so aus: Da haben sich die Schauspieler auf der Schaubühnen-Bühne längst in ihre Prinzessinnengarten-Oase mit transportablen Tomatenpflanzen, Erbsen und Möhren zurückgezogen, singen Sufjan Stevens und feiern ihre Individualität.
Soll das jetzt tatsächlich der Gegenentwurf sein zu den besorgten Bürgern, Pegidisten und AfDlern, die in den zwei Stunden zuvor als Zombies über die Bühne geisterten? Der Rückzug ins Unpolitische? In eine diffuse Wohlfühl-Welt? Ist das eine ironische Volte Falk Richters oder nur ein Eingeständnis seines Scheiterns? "FEAR" heißt Richters neue Stückentwicklung: Es geht um die Angst der "besorgten Bürger" und Bildungsplangegner vor dem Fremden und Diffusen. Und auch ein klein bisschen um unsere Angst vor ihnen.
Abstürzen aus der Zivilisation
Der Text wirkt, als hätte sich der Autor, angespornt vom Erfolg seines Rants in Small Town Boy, den Thomas Wodianka sich so überzeugend überzog, jetzt ganz auf die satirisch zugespitzte Wutrede verlegt. Seine Textfläche mit wenigen Alibi-Dialogen hat er auf fünf Schauspieler und drei Tänzer aufgeteilt, die sich auf die Reise ins Herz der Finsternis machen, nach Dunkeldeutschland, wo die Zombies wohnen. Während elektronische Musik in Endlosschleifen pulsiert, stellen die Schauspieler Pappkameraden auf, kleben die Gesichter von Eva Herrmann, Beatrix von Storch und Birgit Kelle drauf und auf die kühle Podest- und Steglandschaft, mit der Katrin Hoffmann die hintere Bühne füllt, Protestslogans wie "Abendland in Christenhand".
Während die Tänzer Denis Kuhnert, Frank Willens und Jakob Jaw zusammen mit einigen Schauspielern die Bühne als Parkourlandschaft ausmessen, zuweilen sich heftig verkrampfen und über die Bühne geschleudert werden wie von einer fremden, bösen Macht, bleiben die Schauspieler meist Sprachrohr. Das ist durchaus unterhaltsam, wenn Alina Stiegler mit blonder Langhaarperücke und im blauen Glitzerfummel unter Ganzkörpereinsatz als eine wirre Mischung all der rechten Horror-Frauen ihre Weltverschwulungstheorien vom Balkon herabbellt. Wenn Kay Bartholomäus Schulze über sein Wundern darüber, was mit den Menschen im Osten in den letzten 25 Jahren passiert ist, selbst gegen Flüchtlinge zu hetzen beginnt – der Firnis der Zivilisation ist dünn. Wenn alle das Leben der Beatrix von Storch als Horror-Klamauk nachspielen.
Dokument der Ratlosigkeit
Die Schauspieler wirken allesamt angenehm befreit in dieser Stemann-haften Nummernrevue, wobei Revue es auch inhaltlich trifft: Zu oft reiht sich das Naheliegende aneinander. Keine Analyse, nirgends, stattdessen halbgares Kabarett, nahezu ungefiltert aus den Nachrichten überführt. Ist das wirklich alles, was Falk Richter zum Thema eingefallen ist? Da hat man bei der "Heute Show" und der "Anstalt" mehr gelacht und mehr gelernt. Kurz wird einmal sein ewiges Thema, die (Un-)Fähigkeit zu lieben, angerissen. Aber was ist mit den soziopolitischen Bedingungen für Pegida und die AfD? Mit den wirtschaftlichen Hintergründen, die die frustrierten Ossis und die Abstiegsangst der Mittelschicht erst ermöglichen? Warum wird Heinz Bude im Programmheft zitiert, werden seine Thesen aber für die Bühne nicht fruchtbar gemacht? Warum wird Heiner Müller als Schutzheiliger der (Ost-)Intellektuellen angerufen, aber als Autor nicht genutzt? Einmal zitiert Richter Müllers Diktum von Woyzeck als "offener Wunde" – da hätte man doch was draus machen können!
Letztlich ist "FEAR" ein Dokument der Hilf- und Ratlosigkeit. Wie blass das alles bleibt, merkt man immer dann, wenn Original-Stimmen der Wutbürger und Pegidisten eingespielt und rhythmisch gesampelt werden zum Farb- und Trommeldröhnen. Der hysterische Egoismus, der einem da entgegenschwappt, der diffuse Nationalstolz, die dummdreiste Wut der Zukurzgekommenen, ist so viel vitaler und damit so viel erschreckender als alles, was sonst in "FEAR" passiert. Es ist leicht, das Fratzenhafte dieser Menschen zu vergröbern, bis es sich über die Freaks lachen lässt – gerade auch, um die eigene Angst überschaubar zu halten. Das allerdings passt wunderbar zu jener linksintellektuellen Blase, als die sich der Glaskasten mit Marken-Laptop und Zimmerpflanzen interpretieren lässt, in den sich die Protagonisten regelmäßig zurückziehen. Wenn das die Mehrheitsheitsreaktion in Deutschland ist auf Kelle und Co, na dann gute Nacht.
FEAR
von Falk Richter
Uraufführung
Text, Regie und Choreographie: Falk Richter (Choreographie in Zusammenarbeit mit Denis Kuhnert, Frank Willens und Jakob Yaw), Bühne: Katrin Hoffmann, Kostüme: Daniela Selig, Musik: Malte Beckenbach, Video: Bjørn Melhus, Dramaturgie: Nils Haarmann, Licht: Carsten Sander.
Mit: Bernardo Arias Porras, Denis Kuhnert, Lise Risom Olsen, Kay Bartholomäus Schulze, Alina Stiegler, Tilman Strauß, Frank Willens, Jakob Yaw.
Dauer: 2 Stunden, keine Pause
www.schaubuehne.de
Kritikenrundschau
Falk Richter sorge dafür, "dass die Zuschauer dort abgeholt werden, wo sie vermutlich stehen", schreibt Mounia Meiborg in der Süddeutschen Zeitung (28.10.2015). Man schaue aus der Perspektive eines Großstadt-Hipsters und Urban Gardeners auf "die seltsamen Typen, die sich montags auf dem Dresdener Theaterplatz versammeln", so Meiborg. "Der Blickwinkel mag ehrlich sein. Erkenntnisfördernd ist er nicht." Unbequeme Fragen würden nicht gestellt. "Zum Beispiel, ob die Spaltung der Gesellschaft nicht auch mit der Arroganz des links-bürgerlichen Milieus zu tun hat." Stattdessen gebe es an diesem Abend "ein Wellness-Programm an Selbstvergewisserung: die Nazis, das sind die anderen."
Richter werde in dieser Inszenierung "überraschend konkret", setze reale Akteure in den Fokus und ergründe die Angst hinter Hass und Fremdenfeindlichkeit, schreibt Katharina Röben in der Welt (27.10.2015). Die erste Hälfte von "Fear" verharre in einer exakten Bestandsaufnahme – "aktuell, rhythmisch, bekannt". In dem Moment, in dem eine Antwort, ein Ausblick notwendig wäre, verfalle die Inszenierung "ins Slapstickhafte mit Hippietum im Urban-Gardening-Paradies und Massen von Neonröhren". So werde das dramatische Potenzial der AfD-Politikerin Beatrix von Storch ergründet. "Das liefert zwar keine Antworten, ist aber herrlich komisch, albern und performativ."
"'Fear' ist eine Revue der Verstörung, auf linke Orientierung ist vom Theater derzeit nicht zu hoffen", sagt Eberhard Spreng im Deutschlandfunk (26.10.2015) und hat "eine Nummernfolge voller Monologe" gesehen, "ein Theater der heftigen allergischen Reaktionen und Phobien".
Manchmal wirke "Fear" "auch nur wie die platte Selbstbestätigung der moralischen Überlegenheit (…) für sich und ein ohnehin einverständiges Publikum", schreibt Peter von Becker im Tagesspiegel (27.10.2015). Mitunter aber brächen Zweifel auf, "Verzweiflung oder, in Songs und einem Paradiesgärtlein à la Ökolaube, naive Gegensehnsüchte: nach Stille, Frieden, Schönheit". Vielleicht, so von Becker, könne "Fear" noch zu einem Work in Progress werden. "Scheitern, furchtlos besser scheitern."
"Gegendemo mit Windmaschine in der Schaubühne: Falk Richters aktuell-politische Horror-Collage" lautet die Unterzeile der Kritik von Ulrich Seidler in der Berliner Zeitung (27.10.2015) iund FR-Online (26.10.2015). Auf der Bühne eine Angriffslust, die mit der Inbetriebnahme eines 2.300-Watt-Laubbläsers angemessenen Ausdruck finde. Spätestens seit "Small Town Boy“ wisse man, dass der unermüdliche Gesellschaftskritiker Richter einiges an Geduld eingebüßt und das subventionierte Theater "als Ort für unzimperliche Gegendemonstrationen entdeckt hat". Fazit: "Großer Applaus. Erleichtert zustimmend? Dankbar für den Spiegelblickschreck? Vielleicht können sich einige Zuschauer auch wegen des geweckten Muts und der wiedergefundenen Angriffslust kaum halten. Gut wär’s."
"Nicht viel mehr als unterhaltenden Alarmismus" hat dagegen Astrid Kaminski gesehen und schreibt in der taz (27.10.2015): Der tiefe Griff in die Zitatekiste von Pegida, AfD komme nicht viel weiter als "engagiert dümmliche Positionierungen der Lächerlichkeit zu überführen, fundamentalistische Panikmache zu exzerpieren und mit dramatischen Beats zu unterlegen".
"Eine Materialsammlung, ein Flickenteppich, der unter Überdruck nach einer Haltung, nach einer Verbindlichkeit sucht, die er nicht findet", so beschreibt André Mumot "Fear" auf Deutschlandradio Kultur (25.10.2015). Die Inszenierung sei wohl "das Zeugnis eines Schocks, vielleicht auch der verspäteten, naiven Erkenntnis, dass all das tatsächlich stattfindet in Deutschland, dass dieser Hass tatsächlich existiert und etwas mehr als Handgreifliches hat". Falk Richter mache aus alledem keinen runden Theaterabend, sondern "eine wilde, wirre Gegenrede". Subtil sei das nicht, so Mumot, "aber immer wieder auf mitreißende Weise ehrlich".
In einem nachgereichten Artikel in der Welt (6.11.2015) bezichtigt Matthias Matussek die Inszenierung des geistigen Brandstiftertums. Matussek beginnt mit seinem Lieblingsthema, mit sich selbst. Die Inszenierung bietet ihm dazu Anlass, weil Falk Richter sein, also Matusseks, Bild unter den Bildern der einschlägigen "Rechten" zeigt. Matussek schreibt als einer, der sich dumm stellt und beschreibt sehr schön, wie die Differenzierung, die die Inszenierung angeblich für die Guten einfordert, den "hässlichen Frauen" von rechts, der ganzen "Mischpoke aus NSU-Mörderinnen und Katholiken und AfD-Wählern und Pegidas und Fremdenfeinden undsoweiter" verweigert wird. Die seien für die Inszenierer nur: "Alles braune Soße." Angesichts der sonstigen Bullerbühaftigkeit auf der Bühne macht sich Matussek weidlich lustig über Kunst und Künstler und entdeckt schließlich sein Konterfei "zwischen lauter NPD-Wahlplakaten in dieser Dia-Show links auf der Bühne" Findet sich vorteilhaft getroffen und findet, dass er ansonsten unter die "hässlichen Frauen" gar nicht passe. Matusseks Fazit: "Man müsste über diesen weithin als missglückt besprochenen Theaterunfug nicht viel Worte verlieren, wenn dieses helle Deutschland ... nicht diese zischelnden Flammenwörter hervorschießen ließe, wenn da nicht vom 'Schuss zwischen die Augen' gesprochen werde, von 'wegmachen' und 'unter die Erde bringen'. Und wenn nicht "wenige Tage nach der Uraufführung des Stückes" das Auto von Beatrix von Storchs "niedergebrannt" worden wäre, und "kurz darauf ein Anschlag auf das Firmengelände von Hedwig von Beverfoerdes Ehemann" verübt worden wäre, zu dem sich "die Antifa" bekannt habe.
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„Fear“ ist eine fulminante Abrechnung mit AfD, Pegida und Co., ganz auf der Höhe der Zeit. Von Akif Pirinçcis „KZ“-Rede, die mittlerweile ein Fall für den Staatsanwalt ist, bis zu Björn Höckes Deutschland-Fahnen-Auftritt bei Jauch wurde bei den Endproben aktuellstes Zitate- und Video-Material aufgenommen.
Schlag auf Schlag geht es von einem Pamphlet zum nächsten Einspieler. Gut recherchiert werden nicht nur die bekannten Köpfe der rechtspopulistischen Bewegung zitiert, sondern Bezüge hergestellt, Netzwerke aufgezeigt und auch einige Namen genannt, die der breiten Öffentlichkeit noch nicht so bekannt sind. Zu Wort kommen natürlich die Demo-Teilnehmer, die treuherzig darauf pochen, dass sie ganz bestimmt keine Nazis seien, aber man müsse doch mal sagen dürfen…
Als diese Auseinandersetzung mit Pegida, AfD und Co. im Sommer von der Schaubühne angekündigt worden war, wähnten sich viele noch in dem Glauben, dass das Randphänomene seien, die sie nichts angingen und bald vergessen seien. Die AfD schien sich in parteiinternen Machtkämpfen vor allem mit sich selbst zu beschäftigen. „Im Sommer noch hätte Veranlassung bestanden, das Ende von Pegida zu prognostizieren. Von einer Bewegung, die Zehntausende zu mobilisieren vermochte, war eine kleine Gruppe dauerprotestierender wütender Bürger übrig geblieben“, leitete Hans Vorländer seine Pegida-Analyse in der FAZ ein.
Falk Richter und seinem Ensemble geht es darum, dass wir genau hinsehen, uns mit dem Denken und der Sprache derer auseinandersetzen, die Ängste schüren, Minderheiten beschimpfen und Hass säen. Wenn Bernardo Arrias Porras zu Beginn die Haltung eines Hipsters karikiert, d er lieber auf Dachterrassen feiere und Serie wie „True Detective“ gucke, weil ihn diese Proteste irgendwo in Dresden oder Heidenau doch nichts angingen, dann wird sehr deutlich: So einfach dürfen wir es uns nicht machen.
Gegen Ende drohte diesem hochtourig rasenden Abend etwas die Luft auszugehen. Aber da musste er offensichtlich noch mal Atem holen, bevor er in einer Travestie-Nummer kulminiert, die ihr Publikum auch weiter polarisieren wird: Tilman Strauß schlüpft in ein Glitzer-Abendkleid und gibt sich als AfD-Europaparlamentarierin Beatrix von Storch aus, die ihre Ahnen ihres Adelsgeschlechts beschwört und auf ihrem Schloss von nächtlichen Angstattacken vor Überfremdung geplagt wird.
Kompletter Text: http://kulturblog.e-politik.de/archives/26385-26385.html
kotzen kann ich auch so, aber vieleicht dann selber, über mich.
ich lass mich beleidigen ;-)
lg
"Unbequeme Fragen würden nicht gestellt. "Zum Beispiel, ob die Spaltung der Gesellschaft nicht auch mit der Arroganz des links-bürgerlichen Milieus zu tun hat."
In wieweit meint sie denn, dass die "Arroganz des links-bürgerlichen Milieus" PEGIDA hervorgebracht hat und für Anschläge auf mittlerweile mehr als 500 Flüchtlingsheime und ein Attentat auf eine Kölner Oberbürgermeisterkandidatin, Morddrohungen gegen Journalisten, tätliche Angifte auf Flüchtlinge verantwortlich sind. Ich denke, es ist eher so dass unser Staat auf dem rechten Auge blind ist, und so gut wie nie gegen rechtsextreme Täter vorgeht - Richter thematisiert in seinem Stück unter anderem den sehr unterschiedlichen Umgang des Staates mit der RAF auf der einen und mit dem NSU auf der anderen Seite - ich selbst erinnre noch mal daran, wie Markus Lanz versucht hat Sarah Wagenknecht in seiner Talkshow fertig zu machen - und wie AfD Politiker im Gegenzug sehr ungestört ihre fremdenfeindlichen homophoben Parolen bei Maischberger und Jauch ausbreiten dürfen - und natürlich wie sich vor allem die CSU den Parolen der AfD oft anschließt und sie damit gesellschaftsfähig macht. Mich würde nun mal interessieren, wie die Rezensentin das sieht (sie führt es ja nicht aus) - inwieweit ist nun die Linke Schuld am Rechtsextremismus? Ich wäre sehr dankbar, darüber ein paar Gedanken zu hören.
Die Kritikerin monierte, dass wichtige Fragen nicht gestellt wurden. Die eigenen Antworten zu liefern, ist nicht Aufgabe der Kritk (sie hat auch nur ein paar Spalten und nicht über zwei Stunden). Aber Antworten könnten sein:
1. Das Abtun von Pegida als Nazis und Ewiggestrige ist nicht nur bequem, sondern auch falsch. Es sind lebendige Menschen, die ihre Ängste und Probleme von heute artikulieren - in Ländern mit und ohne Nazi-Vergangenheit. Das sind keine Zombies aus dem Remake eines schlechten Films, damit macht man es sich zu leicht.
2. Das spricht Verfassungsschutz, CSU etc. nicht von eigener Verantwortung frei, das macht die Interviews von Markus Lanz nicht besser ... Die Aufrechnerei ist Blödsinn.
3. Wer gegen Pegida & Co. etwas tun will, muss sie ernst nehmen. Sonst ist jeder Dialog, jede Bewegung von vornherein unmöglich, Verachtung steht gegen Verachtung. Sich über Rechtschreibfehler und hässliche Gesichter lustig zu machen, ist eine Weile okay. Aber es reicht nicht. Ich glaube, das wird auch vom bürgerlichen Milieu - jedenfalls großen Teilen - mittlerweile erkannt.
Es geht nicht um "Aufrechnen" - es geht darum, dass der Staat und eben auch weite Teile der Presse die rechte Gefahr nicht ernst nehmen. Wenn Die SZ nun also auch noch die "bürgerliche Linke" verantwortlich machen will, für rechtsextreme Gewalt, dann zeigt das doch sehr gut, wie abstrus diese "Vorwürfe" und diese Unfähigkeit, klar Stellung gegen die neuen rechtsnationalen zu beziehen, allmählich werden.
in der Inszenierung fehlt mir eine differenzierte Auseinandersetzung mit Pegida. Darum geht es in meiner Kritik. (Ich weiß nicht ob Sie tatsächlich den Text gelesen haben oder nur die Zusammenfassung.) Über Pegida erfahre ich nichts Neues. Im Gegenteil. Es werden Stereotype über Pegida-Anhänger reproduziert, zum Beispiel das des abgehängten, arbeitslosen Ostdeutschen. Das vermittelt ein stark vereinfachtes, wenn nicht sogar falsches Bild von dieser Gruppierung. Das sehen soweit ich weiß alle Wissenschaftler so, die sich ernsthaft mit dem Thema beschäftigen. Das Göttinger Institut für Demokratieforschung hat 500 Pegida-Anhänger befragt; 35 Prozent von ihnen hatten einen Hochschulabschluss.
Über Pegida erfahre ich in der Inszenierung also nichts Neues – dafür gibt es Anzeichen, dass es auch um das großstädtische, linksliberale Milieu gehen soll (im anfänglichen Monolog von Bernardo Arias Porras und in den Urban-Gardening-Szenen am Schluss.) Wenn man sich damit beschäftigt wäre eine mögliche Frage gewesen, wie es passieren konnte, dass sich ein Teil der Gesellschaft von den etablierten Parteien und Medien nicht mehr repräsentiert fühlt. Das ist ja nicht über Nacht passiert. Diese Tendenz gibt es – zum Beispiel in ländlichen Regionen im Osten, aber teilweise auch im Westen – seit Jahren. Es ist, unter anderem vom links-bürgerlichen Milieu, jahrelang ignoriert worden, was ich als arrogant empfinde.
Von einer linken Schuld an rechtsextremen Gewalttaten spreche ich an keiner Stelle. Das wäre absurd. Der Beobachtung in Ihrem ersten Kommentar, dass viele Menschen nicht willens oder fähig sind, Rechtspopulisten und Rechtsextremisten angemessen entgegen zu treten, stimme ich zu. Und, ja: Leider gehören dazu manchmal auch Journalisten. Der Auftritt von Björn Höcke bei Günther Jauch war ein trauriges Beispiel dafür.
All das mag es sein, was irgendwann zu dem Gedanken führt, dass sich der Hass der Pegidisten vielleicht nicht nur an Ausländern und sozial Schwächeren sondern vielleicht auch an genau diesem selbstgerechten links-liberalen, urbanen Wohlstands-Milieu entzündet, das hier zelebriert wird. Und hier bietet zumindest dieser Abend wenig Gründe, warum das eigentlich nicht so sein sollte. Dass es sich bei diesem Milieu nich um "die Linke" handelt, ist indes zu hoffen.
http://www.berliner-zeitung.de/kultur/pegida--afd-und-co--woher-kommt-die-wendestimmung-im-osten-,10809150,32240218.html
Zunächst ist man am Anfang noch ganz wohlgesonnen, ein bisschen Kritik am Bürgertum, das gern die Augen verschließt und sich damit vielleicht auch ein ganz kleines bisschen schuldig macht? Weit gefehlt, am Ende ist genau diese Abkehr vom Politischen und der Welt in den eigenen Garten und zu uns super schönen kleinen individuellen Pflanzen die Antwort auf die bösen Zombies.
Und hat man die Zeiten nicht vielleicht überwunden, in denen es als Argument reicht, dass die über, die man sich ärgert "fette, hässliche Frauen" sind? Echt jetzt?
Die Angst und der Hass, die Pauschalerklärung für die Verwirrung der Zombies, ist genau das, was der liberale, alle Menschen liebene und akzeptierene Bürger diesen "Untermenschen" gegenüber empfinden soll.
Und da wird die Hetze der Pegida und co. angeklagt, während gleichzeitig Frau von Storch vierfach auf großer Leinwand projeziert wird. Sie, die in einem (zugegeben anfangs ganz lustigen) geistigen Korpulationsakt mit ihrem Großvater die "toten" Ideen eingespritzt bekommt. Und sind es tote Ideen vorgetragen von Zombies? Kann man sich nicht auch fragen, wieviel Vorurteile und Resentiments in dem "lebendigen, netten, schönen, gebildeten" Bürger stecken und wenn auch nur jene gegenüber Minderpriveligierten in sozial schwachen Regionen. Von einer tieferen Analyse will man gar nicht zu träumen wagen.
Missglückt wie der Inhalt ist das Bühnenbild. Ein Glaskasten, ein bisschen Blumen und ein wenig Laufsteg machen noch keinen gesellschaftlichen Raum.
Und Hinfallen, Treppe rauf, Treppe runter und individuelles Gehopse machen noch keinen modernen Tanz.
Und darüber zu reden, das man sich nicht sicher war, wie das Stück weitergehen soll, macht es nicht besser.
Ein ganz paar Lacher bewahren den Abend davor ein komplettes Desaster zu sein, aber die Selbstgefälligkeit, die Frage, ob man sich mit unschönen Ideen und Positionen auseinandersetzen muss, mit "Nein, die sind fett, dumm und hässlich!" beantwortet, ist unerträglich.
Eine gewisse Frauenverachtung ist mir auch schon in früheren Arbeiten F. Richters aufgefallen, etwa in “For the disconnected child” oder einer einer ganzen Reihe ähnlicher Arbeiten: Die arme, einsame Karrierefrau, die ab 40 keinen Mann mehr kriegt und nun verzweifelt in einem Hotelzimmer hockt, fern vom wärmenden Schoß einer Familie, leidend daran, ihre Bestimmung als Hausfrau und Mutter verpasst zu haben... was für ein reaktionäres Frauenbild steht da eigentlich hinter? Überdies mit einer irgendwie klammheimlichen, gehässigen Freude gezeichnet (nach dem Motto: so macht Kapitalismuskritik Spaß). Daran musste ich jetzt bei der fast vollständigen Kaprizierung auf die “hässlichen hassenden (Pegida-)Frauen” als Feindbild in “Fear” wieder denken (als ob AfD und Pegida vor allem Frauen-Bewegungen wären). Ich gehöre nicht zu den Leuten, die es grundsätzlich ablehnen, dass ein Künstler, so er denn ein Problem mit Frauen hat, dieses auch öffentlich austrägt. Es hat aber etwas zutiefst heuchlerisches, wenn dies streberhaft-verschwitzt unter dem Deckelmäntelchen politischer Korrektheit passiert. Wie schon in meinem letzten Kommentar gesagt: die Heuchelei und die Selbstgerechtigkeit sind es, die diesen Abend so unerquicklich und letztlich undiskursiv machen.
Selten hat sich der Begriff der "geistigen Brandstifterei" so zutreffend erwiesen wie hier.
Davon abgesehen, habe aber auch ich meine Zweifel, ob man mit einer so platten Gegenpropaganda (klingt eher wie Halloween-Grusel) statt einer differenzierenden Analyse der Situation weiterkommt. Es ist einfach zu simpel, dass Pegida und Co. jetzt von Regierungsseite (und auch Falk Richter?) her als das personifizierte und projizierte Böse hingestellt werden, ohne die eigene politische Mitverantwortung dafür wahrzunehmen.
Wo die wirkliche Ängste sitzen und wer dafür verantwortlich ist, das hat Schlingensief besser verwurstet. Mit deutlich besserem Humor. Satire als Chance: "Der Spaß hat ein Ende, jetzt beginnt der Markt!":
https://www.youtube.com/watch?v=OM8ZevwUf2A
Komplette Kritik: https://stagescreen.wordpress.com/2015/11/05/karotten-gegen-die-angst/
na ja, berichtigen Sie mich gerne, wenn man die jüngere vergangenheit anschaut hat es Anschläge gegen leitende PolitikerInnen ja eher von rechts gegeben (palme, rabin und jetzt der mordversuch an frau reker). wenn man dann die morde an buergern und schutzsuchenden in unserem land von rechts (bisher über 100) dazunimmt, dann nochmal die geschichtsbücher über die feine Zeit, die die deutschen mit der nsdap hatten, da wurde soviel gemordet, das einem immer noch der Atem stockt. jetzt anzunehmen, das linke wirrköpfe erst durch einen vermutlich teuren schaubühnenbesuch in ihrem handeln den entscheidenden anstoss bekommen, anschläge zu machen haben Sie entweder keine Ahnung, wie die gewaltbereite linke tickt bzw. sind trolle von rechts. die gewaltbereite linke geht vermutlich nicht in die schaubuehne, und wenn doch, würde sie eher dort buttersäure werden, weil wer hat uns verraten? sozialdemokraten. die gedankenarmut dieser inszenierung treibt mit garantie niemanden auf die strasse oder lässt ihn zum feuerzeug greifen. die analyse von links und die zu diskutierende gewaltbereitschaft gegen rechts hat nicht auf herrn richter gewartet und lässt ihn vermutlich sowieso links liegen. wie Ihre zwei beiträge schön zeigen, ist es vorallem die gedankenschwäche auf der rechten seite, die 'einfache' oder grundrassistische menschen zur gewalt greifen lässt. einen schönen tag noch.
Pikant ist aber natürlich, daß diese Veranstaltung mit dem üblichen hämischen Furor der moralisch erhabenen Edel(theater)menschen für die gerechte Sache mißliebige Andersdenkende als Zombies (also Nicht-Menschen) denunziert und mit dem kaum mißverständlichen Satz: "Der Zombie stirbt nur, wenn man ihm direkt ins Gehirn schießt" zur Gewalt gegen dieselben aufruft. Ins Gehirn geschossen gehören nach Auffassung der Theaterkünstler also offenbar die Zombies Bettina Röhl, Birgit Kelle, Eva Herman, Gabriele Kuby, Frauke Petry, Hedwig von Beverfoerde und Beatrix von Storch - immerhin Mitglied des EU-Parlamentes. Die Adresse von v. Beverfoerdes Büro wird bei der Aufführung direkt genannt. Es geht ja moralisch gegen Rechts, und in diesem aufrechten, antifaschistischem Kampf sind bekanntlich alle Mittel erlaubt.
Eingeschlagene Scheiben bei den beiden letzteren Frauen, Farbbeutel und Brandanschläge auf deren Autos haben selbstverständlich mit dieser künstlerischen FEAR-Aussage als freier Meinungsäußerung nicht das geringste zu tun, das versteht sich.
Das ist vermutlich das Elend, unter dem diese Künstler leiden: Sie sind so läppisch, daß ihnen nicht einmal der Staatsanwalt wg. Volksverhetzung und Aufruf zur Gewalt auf die Bude rückt, nicht einmal ein richtiger Skandal wurde es - geschweige denn, daß die faschistischen Antifaschisten mit den realen Mollis ihnen für ihre guten Ideen gedankt hätten. Was dieser engagierten Künstlertruppe vermutlich leid tut; da hätten sie sicher gerne mehr Praktisch-Politisches bewirkt. Aber es sind halt nur Theaterclowns.
Daß Sie diesen edlen Aufruf zur Gewalt mit rechter Gewalt bis zurück zur NSDAP zu relativieren versuchen, liebes Röschen, zeigt ein klein bißchen Gedankenschwäche seitens der exkulpatorischen Linken: Für die ist linke Gewalt ja schon immer ethisch höherwertiger als rechte Gewalt.
"Na ja, "Andersdenkende" im Sinne Rosa Luxemburgs (?) mit der AfD in einen Zusammenhang zu bringen, das ist thematisch dann wohl auch ein wenig daneben gegriffen. Denn die AfD ist doch wohl eher das parteipolitische Steuer der Pegidisten und hat mit Kommunismus à la Luxemburg wirklich nichts zu tun. "
Au Backe, liebe Inga: der beliebte Rosa-Luxemburg-Satz von der Freiheit des Andersdenkenden gilt - wenn er irgendeinen politisch-philosophischen Wert haben soll - natürlich für ALLE,für Kommunisten wie für Rechte. Er ist nicht nur spezialisiert für die Freiheit der Kommunisten "im Sinne Rosa Luxemburgs"zu verstehen.
Allerdings wird er lustigerweise in der Tat gerne nur für die Freiheit der EIGENEN Peergroup in die Debatte geworfen, unter AUSSCHLUSS der jeweils Andersdenkenden - genauso, wie Sie das hier machen. Durchaus erheiternd!
Ja aber klar doch - nirgends wurde in FEAR zum Scheibeneinschmeißen und Autoabfackeln aufgerufen. Woraus sich glasklar ergibt, daß das nichts miteinander zu tun hat, logo. Es wurde nur auf die Möglichkeit zum Gehirnschuß hingewiesen, aber das wird man ja wohl noch kritisch sagen dürfen, nicht wahr?
In diesem Sinne ist meines Erachtens übrigens auch schon der Titel dieser Inszenierung irgendwie falsch gewählt. Freiheit statt Angst, so müsste es stattdessen heissen. Denn Angst verkauft sich medial und sicherheitspolitisch gesehen besser. Es fördert aber leider nicht die genaue Analyse.
"Nein, so hat Rosa Luxemburg das sicher nicht gemeint. Ihr ging es um die Freiheit jeden Bürgers in seiner Entscheidung hin zu nur einem Ziel: der "linken Sache". Und ausserdem, warum wurde sie dann von rechten Freikorpssoldaten ermordet, wenn sie auch in deren Namen gesprochen hätte? Erklären Sie mir das mal."
Das tu ich gerne, so gut ich kann. Sie haben einerseits halbwegs recht, andererseits unrecht.
Unrecht haben Sie deswegen: Sie haben eine kleine Kautele in meinem Beitrag zum mythischen und in der Tat fundamentalen Luxemburg-Satz übersehen, nämlich: "- wenn er irgendeinen politisch-philosophischen Wert haben soll". Den hat der Satz tatsächlich nur dann, wenn er wirklich politisch allgemeingültig sein soll, also für alle Andersdenkenden gelten soll. Und genau so, als allgemeingültig, wird er heute moralisch verstanden, genau so wird gehandelt, genau so wird er verkauft, in genau dieser Interpretation ist er zum geltenden Mythos GEWORDEN, vergleichbar etwa dem Voltaire zugeschriebenen Diktum (frei zitiert): "Ich bin radikal anderer Meinung als Sie, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, daß Sie sie sagen dürfen".
Insbesondere die Linke (und natürlich die LINKE) stellt ihn auf diese Art dar, wenn sie ihn gerade so brauchen kann: Rosa Luxemburg als in der Wolle gefärbte Urdemokratin, die die pluralistische parlamentarische Demokratie hochhielt, die radikal für die Meinungsfreiheit kämpfte, und die auch in der sozialistischen Gesellschaft die Freiheit des radikal anderen Denkens und die Freiheit der andersorientierten politischen Aktivität zuließ. Drum meint der arglose Bürger, und so wird es ihm mit diesem berühmen ethisch eindrucksvollen Satz suggeriert, sie habe die Freiheit des Andersdenken auch dem ideologischen Gegner, den Konservativen, den Liberalen, den Bourgeois, den Monarchisten etc. zugestanden - und heute, was die Folgerung wäre, gelte er auch für die AfD. Allgemeingültig, bürgerlich, liberal, geradezu sozialdemokratisch: So meint man, habe Rosa Luxemburg es gemeint. In diesem Sinne wird heute der Satz gebraucht und verstanden - ein geschichtlich GEWORDENER Sinn. Auf den bezog ich mich.
Und hier haben Sie recht: So hat sie es offenbar NICHT gemeint. "Die Freiheit des Andersdenkenden" bezog sich für sie auf eine revolutionsinterne Meinungsdifferenz zu Lenin und den Bolschewiken.
ff
Und hier haben Sie recht: So hat sie es offenbar NICHT gemeint. "Die Freiheit des Andersdenkenden" bezog sich für sie auf eine revolutionsinterne Meinungsdifferenz zu Lenin und den Bolschewiken.
RLuxemburg trat radikal und eisenhart auf Seiten der Bolschewiken für die Revolution und die Diktatur des Proletariats zwecks Aufbaus des Sozialismus ein - ihr Ziel war "nicht etwa Sicherung der bürgerlichen Demokratie, sondern Diktatur des Proletariats zum Zwecke der Verwirklichung des Sozialismus."
Sozialdemokraten verhöhnte sie als "eingefleischte Zöglinge des parlamentarischen Kretinismus", die meinten, "um etwas durchzusetzen, müsse man erst die Mehrheit haben. Also auch in der Revolution: zuerst werden wir eine "Mehrheit". Die wirkliche Dialektik der Revolutionen stellt aber diese parlamentarische Maulwurfsweisheit auf den Kopf: nicht durch Mehrheit zur revolutionären Taktik, sondern durch revolutionäre Taktik zur Mehrheit geht der Weg."
"Parlamentarischer Kretinismus" widerlegt als Spottbegriff jeden Gedanken, daß RL die Rede- und Meinungsfreiheit in einem pluralistischen demokratischen Rechtsstaat samt liberalem politischen Wettbewerb der besseren Ideen gemeint haben könnte.
RLs kleine Meinungsdifferenz zu Lenin, auf den sich dieser Satz im Kontext bezieht: Es könne nicht funktionieren, nur als Partei elitär "von oben" mit fertigen Konzepten den Aufbau des Sozialismus zu bestimmen; es brauche einen freien Dialog mit den vielfältigen Meinungen der Revolutionäre und den sozialistisch auszubildenden Volksmassen angesichts der großen Aufgaben, für die "intensive politische Schulung" der letzteren erforderlich sei.
Zitat Heinrich August Winkler, (der Historiker, der in diesem Jahr die Bundestagsrede zum 70jährigen Endes 2. Weltkriegs hielt): «… und dieses Wort von der Freiheit der Andersdenkenden bezieht sich auf den sozialistischen Pluralismus, auf die Meinungsvielfalt des revolutionären Lagers. Nicht gemeint ist damit Freiheit für Gegner der Revolution, der – von ihr, von Rosa Luxemburg sogenannten – Halunken in der Mehrheitssozialdemokratie. Nein, dies ist kein liberaler, kein demokratischer Pluralismus, der mit diesem Wort angestrebt wird, es ist ein Plädoyer gegen die Diktatur einer Parteiführung oder auch einer selbsternannten Avantgarde, aber mehr als das ist es nicht. Und insofern wird dieses wunderbare Wort, das jedenfalls so eingängig klingt, meistens falsch interpretiert.»
Der Satz von RL ist von enormer Bedeutung, wenn man ihn als allgemeingültig mit allen Konsequenzen versteht ( wie ich das tatsächlich tue) - versteht man ihn so, wie RL ihn selber ersichtlich gemeint hat, ist er eine heute wertlose Fußnote zu belanglosen Meinungsunterschieden aus einer bestimmten historischen Phase der kommunistischen Bewegung.
Zum Streit darüber siehe z.B. "Sozialistische Positionen"
http://www.sopos.org/aufsaetze/4d55afe2833e8/1.phtml
Stellt man das Zitat von Rosa Luxemburg einmal in einen etwas größeren Textzusammenhang, sieht man sofort, dass diese Frau durchaus in der Lage war, über ihren Konflikt mit Lenin und den Bolschewiki weiter hinaus zu denken. Im Spannungsfeld zwischen „Privileg der Freiheit“ und einem „gerechten Zugang zur Freiheit“ bildet sich etwas mehr ab, als uns Ernst Reinhardt denken lassen will. Luxemburg beschreibt eine Dynamik, die durchaus als belebende und reinigende Kraft auch auf ihre Opposition ausgedehnt werden kann, und nicht nur auf ihr Verhältnis zu Lenin begrenzt werden sollte. Immerhin handelt es sich hierbei um einen historischen Denkmoment, der noch völlig ungeübt war mit den Formen der Demokratie, wie wir sie heute kennen und ist von daher nicht unter zu bewerten.
Was aber keinesfalls gemeint war, war die Freiheit des „Andersdenken“ ihrer Mörder. Denn sie bereiteten nicht den Weg zu einer „demokratischen Freiheit“, sondern beschritten einen Pfad sie zu verhindern. Ihre Mörder und ihr Gedankengut schloss Luxemburg sicherlich nicht mit ein in diesen Satz.
Dies Problem, dass man antidemokratischen Kräften keinen Schutz gewähren kann an der Demokratie teilzunehmen, um sie abzuschaffen, besteht zuteilen auch noch heute.
Darüber hinaus ist das Bestreben einigen hier genannten Pegida- oder Afd- Mitgliedern einen ebenso gleichen Opferstatus zuschreiben zu wollen, wie er Luxemburg und Liebknecht zufällt, degoutant und völlig verfehlt.
Wenn einer EU-Parlamentarierin ihr Auto angesteckt wird, ist das eine kriminelle Handlung, die geahndet werden sollte. Das sie aber durch diese Straftat zu einem Opfer wird, weil sie als „Andersdenkende“ massiv ausgegrenzt und behindert würde, ist absurd. Sie genießt weiterhin volle Bewegungsfreiheit, verliert ihren Sitz nicht, hat einen Pass und wird in ihren Absichten nicht eingeschränkt. Sie nimmt lediglich Schaden an einer kriminellen Handlung, wie so viele andere auch. Ihr nun einen Opferstatus, als womöglich von einer Theateraufführung politisch Verfolgte zuschreiben zu wollen, ähnlich, wie es einer Luxemburg widerfuhr, ist eine schändliche Umbewertung der Verhältnisse, wie man sie nachdem ersten Weltkrieg im deutschen Reich vorfinden konnte.
Dann gibt es einen Unterschied zwischen ener politischen Verfolgung, die sich aus klugem und überzeugendem Argumentieren zur Sache vor Massen ergibt und einer von der Interpretation einer Theaterinszenierung sich politisch verfolgt Fühlenden. Das haben Sie richtig erkannt und beschrieben - Deshalb ist es im Moment vordringlich zu fragen: WER bewertet WIE konkret und mit welchen medialen Mitteln um, sodass wir uns erinnert fühlen an uns überlieferte Zustande der einstigen Weimarer Republik??? Diese Fragen stelle ich mir sehr dringend und ich fände es mental hilfreich, wenn jemand wie Sie mir einen Vorschlag für eine mögliche antwort darauf machte...
Die Umbewertung historischer und aktueller Ereignisse nimmt schon die Pegida-Bewegung und Afd selber vor. Im Normalfall bekommt man als fremdenfeindlicher Rechter in der BRD hauptsächlich die Rolle des Täters zugeschrieben. In dieser Rolle ist man nicht mehrheitsfähig. Man kann, an den letzten Jahrzehnten abgelesen, nicht dauerhaft die fünf Prozent Hürde überwinden, und versammelt stets nur eine unerhebliche, winzige Minderheit hinter sich, die zwar laut auftreten, aber, häufig schon allein aus Gründen der Kompetenz und Bildung, nicht nicht wirklich mitregieren kann.
Vorrangiges Ziel der Afd, wie der Pegida muss es also sein, diese Täterrolle abzulegen. Hierzu bietet es sich an, dem gegnerischen politischen Lager ebensolches Verhalten zuzuschreiben, dessen man selber bezichtigt wird. „Geistige Brandstiftung“ und „Aufruf zur Gewalt“ sind hier zwei wichtige Themenblöcke. Zunächst einmal stuft man den politischen Gegner auf das eigene Niveau herab, in dem man ihm ebenso solche Taten nachsagt, beziehungsweise, man relativiert die eigenen Taten und stellt sich mit dem Gegner auf eine Stufe, in dem man ihm nachweist, ebenso zu handeln, wie es einem selbst nachgesagt wird. Hierzu liefert der Abend von Falk Richter in diesem Falle ungewollt das Material. Steht man erst einmal, aus der eigenen Perspektive, strategisch mit der Schaubühne auf einer Stufe, beginnt man allmählich seine absolute Zuschreibung der Rolle des Täters abzulegen.
Der nächste Schritt besteht darin, sich selber als Opfer des linksliberalen Feindes darzustellen und zu inszenieren. Hierzu muss man lediglich ein paar unlautere Verbindungen zu einer Straftat und der Schaubühne herstellen. Und am Ende, unterm Strich, steht man, falls man noch als Täter wahrgenommen wird, zumindest auf der selben Stufe mit Thomas Ostermeier und Falk Richter, und kann, nach der bürgerlichen Logik, kein schwerer rechter Täter mehr sein, da diese beiden zur Mitte der Gesellschaft gehören.
Nun muss man eigentlich nur noch fleißig an seinem Opferstatus arbeiten. Denn nichts kann wirkungsvoller in Szene gesetzt werden als Opfertum. Ihm muss Wiedergutmachung widerfahren. Und so hat man scheinbar ganz unmerklich die Seiten vom Täter zum Opfer gewechselt, einem Opfer, dem man sogar aktiv beistehen sollte. Es ist ein simpler Rollentausch, der dort inszeniert wird, und der zum Erwerb von Opferstolz und Wiedergutmachung führen soll.
Wobei die Verantwortlichkeit für die wahren Taten, nämlich fast 600 rassistische Übergriffe im öffentlichen Raum, weiterhin weitgehend ungeklärt bleiben, nun aber, in dieser Verkehrung der Rollen, nicht mehr einem selber zugeschrieben werden sollen. Es könnte jeder gewesen sein, eben auch die Schaubühne, dieser Eindruck wird lanciert.
Wenn ich mich oder unsere Gesellschaft aber immer mit den Bösen statt mit den guten vergleiche, dann bin ich weiterhin optimistisch. Trotz allem, die Welt wird besser.
wenn mir jemand erklären kann, worin der rationale Kern bei AfD und PEGIDA steckt, wäre ich froh und würde miteinstimmen in die Kritik am Stück, das tatsächlich ratlos ist. Aber ist das unbedingt ein Mangel? Ich finde es seltsam naiv, vom Theater "Lösungen" zu verlangen, Differenziertheit und Polyperspektivität. Die waren doch hier in der Kommentarfunktion nachgereicht.Da haben alle Lösungen, treffenden Analysen.
Nicht alles ist Gold an diesem Abend, aber es scheint mir mindestens genauso wichtig, sich mit den innerdeutschen Entwicklungen zu befassen, wie Flüchtlinge auf die Bühne zu stellen. Nur Letzteres wird dann zum Theatertreffen eingeladen.
Und die Kritiker_innen wie Koch und Co? Naja. Muss es auch geben.
(...)
Das Stück ist ein absoluter Flop: Keine Analyse der politischen Situation, billiges Bühnenbild (dann hängen sie noch fünf Minuten lang Fotokopien auf), peinliches Zombiegetanze ("ich komm die Treppe nicht hoch, ich komm die Treppe nicht hoch", "oh die Wut in mir, die Wut"), schreiende Männer, noch mehr schreiende Männer und schlimme Originaltöne von Nazis, NationalistInnen und stolzen Deutschen. Anstatt darauf zu reagieren kommt das Stroboskop zum Einsatz.
Wäre das Stück von Charlottenburger Gymnasiasten in einem Theaterworkshop geschrieben worden, dann wären wir auch bis zum Ende geblieben. So aber nicht. Wir waren nicht die einzigen.
Fazit: Dummes Stück, schlecht gespielt, Machodiskurse.