Ich weiß, dass Du da bist

16. Dezember 2022. Drei Performer:innen und ein Gast ziehen mit ihren Live-Kameras los auf einen Stadt- und Wohnungstrip durchs winterlich-eisige Berlin. Eine neue Episode von Gob Squads Feldforschungen durch die Lebenswelten – der Gruselfaktor ist diesmal inklusive.

Von Simone Kaempf

"Is Anybody Home?" von Gob Squad an der Volksbühne am am Rosa-Luxemburg Platz © David Baltzer

16. Dezember 2022. Eine braune Jacke mit oversized Ärmeln? "It's so me." Das Kuscheltier im Bett? "It's soo mee." Eine Teekanne auf dem Nachttisch? Klaro, "it's soo meee", steigert Simon Will seine Begeisterungs-Rufe ins Stakkato. Der Performer hat es als erstes in die fremde Wohnung irgendwo in Berlin-Neukölln geschafft und feiert euphorisch die Selbstfindung im Alltag des anderen. Er ist aufgebrochen mit dem fremden Wohnungsschlüssel in der Tasche, den ganz großen Fragen an die Zukunft und natürlich mit einer Live-Kamera, um sich einem fremden Leben anzunähern so gut es eben geht.

Expertin ihrer selbst 

Die Bilder laufen via Live-Stream in die "Prater-Studios" in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz oder besser in den großen Saal, der notdürftig umbetitelt ist. Die Premiere war tatsächlich für den Prater in der Kastanienallee geplant. Vor 20 Jahren diente der Saal als "Volksbühnen-Studios" schon einmal für filmische Experimente und war lange Neben-Spielstätte des Haues. Die angekündigte Wiedereröffnung ist verschoben, wegen Corona, wegen Material-Engpässen und gestiegenen Energie- und Baukosten. Eine Bauarbeiten-Drama dieser Tage, das fürs Volksbühnen-Programm ungelegen kommt, aber für die Ausgangsidee von Gob Squad weniger relevant ist. 

In "Is Anybody Home?" ziehen jeweils drei wechselnde Performer:innen mit ihren Live-Kameras los auf einen Stadt- und Wohnungstrip. Jeweils ein Gast ist dabei, zur Premiere Zarah Kofler, Schauspielerin und P14-Spielerin am Haus. Im Pyjama erscheint sie auf der Bühne und macht es sich in einem großen Bett bequem wie an einem Fernsehabend. Das ist noch einmal ein eigener Kniff: einerseits ist sie Zuschauerin, als Akteurin und Expertin ihrer selbst schaltet sie sich in die Handlung ein, wenn Simon Will und Sean Patten es bis in ihre Wohnung geschafft haben.

IsAnybodyHome 1 DavidBaltzer uZuschauerin, Akteurin, Komplizin des Geschehens – und der Eindringling: Zarah Kofler, Simon Will © David Baltzer

Für beide kein leichter Job. Simon Will hat einen verbogenen Schlüssel, Sean Patten hilft nur ein riechender Turnschuh als Wegweiser. Berlin hat bitterkalte Minus-Grade. Vor einem Späti flüchten angesprochene Passanten. Dann findet sich auf der Straße doch jemand, der mitmacht und Teil des Spiels wird. Orakelnd nickt oder schüttelt er den Kopf auf Simon Wills große Fragen, die den Abend durchziehen: Werde ich in zehn Jahren glücklich sein? Werde ich Erfolg haben, von der Kunst leben können? Ein einsamer herausragender Gob-Squad-Spiel-Moment. Vielleicht liegt es am fahlen Berliner Winter, an den Temperaturen - für ihren Midsommernachts-12-Stunden-Trip Show me a good time hatten die Gob Squad Performer:innen ganz andere Rahmenbedingungen. Vielleicht auch daran, dass Will und Patten mit ihrem kajalschwarzen Augen und bleichgeschminkten Gesichtern an stalkende Serialkiller erinnern, die in Abwesenheit die Wohnung ihrer Opfer erkunden. Wie sie sardonisch durchs Treppenhaus schleichen, die Haustür streicheln auf der Suche nach Nähe, möchte man ihnen lieber nicht in der Wirklichkeit begegnen.

Nur einer darf ins Bett

Erst sind Berlins Straßen ziemlich grau. Dann ist die Wohnung, in die erst Will, dann Patten es schaffen, viel zu aufgeräumt, um Überraschungen zu liefern. Auf dem blütenweißen Kopfkissen liegt ein Kuscheltier, neben dem Bett das Tagebuch, das für einen Schreckmoment sorgt. Via Rätsel-Qiuz wird ermittelt, wer Zarahs Leben besser erraten kann, und die falsche Antwort auf den Lieblingssong der Mutter kegelt schließlich Simon Will aus der Wohnung. Denn nur einer darf sich am Ende ins fremde Bett kuscheln und mit der Nähe zu einer anderen Existenz in den Schlaf führen lassen. Über Nähe, Distanz und die Verwandlung in jemand anderen erzählt der Abend jedoch viel zu weitschweifig.

IsAnyBodyHome 4 DavidBaltzer uAuf der Suche nach Nähe, Distanz, Verwandlung: Simon Will © David Baltzer

Das Setting stimmt, und doch vermag der Einblick in das fremde Leben keine Funken zu schlagen. Aber wie soll einem auch ernsthaft weiterhelfen beim Orakeln darüber, wo man ankommen wird, im Leben, beim Älterwerden, oder auf einem abendlichen Ausflug nach Neukölln. Auf der Bühnenleinwand laufen die Spielszenen über Splitscreen parallel. Um sich der echten Bewohnerin anzunähern, imitieren Will und Patten ihre Gesten und Handbewegungen, das hat künstliche Gruselwirkung, aber letztlich bleiben sie viel zu weit voneinander entfernt.

Mutation zum Mischwesen

Mira Partecke steuert als Spielerin noch ein Beispiel für eine betont düstere Verwandlung bei. Aus der Garderobe kommentiert und moderiert sie das Geschehen, grinst immer wieder diabolisch und bereitet sich auf ihren Auftritt vor. Von mal zu Mal werden die Augenbrauen buschiger, wächst nicht nur ein Bart, sondern ein Backenfell. Eine Mutation zum Mischwesen aus Werwolf und Sandmann mit drohenden letzten Worten: I know you are there. Zur Sehnsucht nach einem anderen Leben, trägt es eines bei: kann auch Alpträume bereiten.

 

Is Anybody Home?
Konzept & Regie: Gob Squad, Sounddesign: Catalina Fernandez, Isabel Gonzalez Toro, Videodesign: Miles Chalcraft, Licht: Frank Novak, Bühne: Nina von Mechow, Gob Squad, Prater Studios: Nina von Mechow, Leonard Neumann, Kostüme: Sarah Thom, Ingken Benesch, Frank Salewski, Dramaturgie: Johanna Höhmann, Christina Runge.
Mit jeweils drei der folgenden Performer:innen: Mira Partecke, Sean Patten, Sharon Smith, Berit Stumpf, Sarah Thom, Bastian Trost, Simon Will. Und (einem:r der folgenden Gäste): Vandross Diogo Valéria Alage, Josefin Fischer, Arda Görkem, Rojin Haddad, Janoushka Kamin, Zarah Kofler, Lilith Krause, Fabio Mazzocchi, Yu Sun.
Premiere am 15. Dezember 2022
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

www.volksbuehne.berlin
www.gobsquad.com

 

Kritikenrundschau 

Ob man die Arbeiten der Gruppe nun banal finde oder darin einen künstlerischen Wert entdecke – daran scheiden sich bei Gob Squad seit jeher die Geister, erzählt Barbara Behrendt im rbb (16.12.2022). "Man müsse sich auf die Reise einlassen und viele Banalitäten wie einen Vorhang zur Seite schieben, um auf berührende kleine Wahrheiten zu stoßen", ist sich die Kritikerin sicher. Der Abend lebe "von diesen philosophischen Momenten zwischen den Alltäglichkeiten. Und von der echten Annäherung zwischen der jungen Zarah und dem doppelt so alten Simon, dem sie ihre Welt öffnet." Der Abend sei eine "kleine, feine Empathieschule, die versucht, das Leben des Gegenübers so gut wie möglich nachzuvollziehen", resümiert die Kritikerin.

Es gehe weit hinaus bis ins nächtliche Neukölln, wo die beiden Vampir-Clowns Simon Will und Sean Patten erst auf der Straße lungern, dann in die Wohnung Zarahs eindringen. "All das geschieht mit einer ausgeklügelten Live-Film-Technik, die wie immer bei Gob Squad die verschiedensten Sphären in einen unmittelbaren Austausch zu bringen versucht", so Doris Meierhenrich in der Berliner Zeitung (17.12.2022) Die grenzgängerische Stärke und ungeplante Außen aber fehle. "Zweifellos streifen sie eine der widersprüchlichsten Lüste des Social-Media-Zeitalters. Doch die eigentlichen Falltüren unter dieser abgebrüht-naiven Privatöffentlichkeit bleiben zu." Als Meister des Atmosphärischen beweisen sich die starken Performer dennoch, indem sie zwischen drei bis vier parallelen Spielorten durchweg eine so unheimliche wie komische Spannung erzeugen.

Kommentare  
Is anybody home, Berlin: Vorweihnachtliche Fingerübung
Mit einer vorweihnachtlichen Fingerübung gastieren Gob Squad, die das Berliner Publikum sonst vor allem im HAU sehen kann, nach längerer Zeit mal wieder an der Volksbühne. Sean Patten und Simon Will, zwei Briten aus dem Gob Squad-Kollektiv, stöbern durch Koflers Wohnung, lesen mit ihrer Erlaubnis im Tagebuch und plaudern über die herumliegenden Gegenstände und Klamotten.

Das ist einerseits sehr intim, andererseits bleibt es doch sehr an der Oberfläche. „Is anybody home?“ ist nicht mehr als ein launiges Intermezzo, die Volksbühne ist denn auch zur Premiere nur halb voll. Wie von früheren Gob Squad-Arbeiten wie „Show me a good time“ gewohnt, gibt es auch noch etwas Small-Talk mit Passanten vor dem Neuköllner Späti, aber an diesem eisigen Winterabend bleiben die meisten kurz angebunden.

Komplette Kritik: https://daskulturblog.com/2022/12/15/is-anybody-home-gob-squad-volksbuhne-kritik/
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