Stolz und Vorurteil* (*oder so) - Staatstheater Braunschweig
Girls wollen einfach Spaß
7. Mai 2023. Isobel MacArthurs Theaterstück zu Jane Austens "Stolz und Vorurteil" ist der Bühnenhit zurzeit. Weil hier ein rein weibliches Ensemble mit viel Partymucke den Saal rocken kann, weil die Liebesverwicklungen eh die Herzen höher schlagen lassen, und weil Cyndi Lauper auch nach vierzig Jahren noch fetzig klingt.
Von Jan Fischer
7. Mai 2023. "Man kann keine stürmische Romanze führen ohne saubere Bettwäsche", das ist ein sehr schöner Satz direkt zu Anfang, als das Dienstpersonal rauchend herumsteht oder versucht, die Party-Überreste der Herrschaften aufzuwischen oder Telefonanrufe zu beantworten. Denn, klar, bei all diesem Verlieben und Entlieben fällt eine Menge Dreck an.
Im Staatstheater Braunschweig steht das Personal auf einer schwarz-weiß-gefliesten Fläche, die zunächst noch von Vorhängen aus weißer Gaze umspannt ist. Die Fläche zeigt das Wohnzimmer der Familie Bennet: fünf unverheiratete Töchter, ein schweigender Vater, eine Mutter, die unbedingt ihre Töchter verheiraten will.
Die größten Hits der 80er, 90er und das Beste von heute
Und so entspinnt sich Jane Austens Liebeshandlung um Mr. Darcy und Elizabeth Bennet nebst Charles Bingley und Jane Bennet – mit weiteren komplexen Beziehungsvielecken. Das Geschehen ist auch in Isobel Mac Arthurs Bühnenfassung "Stolz und Vorurteil * (*oder so)" nicht wesentlich anders als in Jane Austens Vorlage: Am Ende wird zum größtmöglichen Happy End geheiratet, dass die sich Balken biegen.
Aber der Weg ist das Ziel. Und der besteht in Julia Prechsls Inszenierung der 2019 uraufgeführten und derzeit auf vielen Spielplänen stehenden Jane-Austen-Aktualisierung aus Musik. Und zwar den größten Hits der 80er, 90er und dem Besten von heute. Carly Simons "You're so vain" hat einen Auftritt, zu "Slumber Party" von Ashnikko werden Hintern, Hüften und Staubwedel geschwungen, zu Bonnie Tylers "I need a hero" sind die Bennet-Frauen sogar eine Band, mit Jane am Bass. Und am Ende singen sie alle "Survivor" von Destiny‘s Child.
Zwischendrin wird die weiße Gaze zu blau-glänzendem, gerüschtem Stoff, manchmal mit angedeuteten Fenstern. Immer mal schaltet sich das Personal ein, diskutiert über die Übersetzung des ersten Satzes des Romanes, gerne auch über die vierte Wand hinaus. Eine neue Ebene bekommt der Austen-Wahnsinn dann noch dadurch, dass die sechs Schauspielerinnen des rein weiblichen Ensembles insgesamt 19 Rollen einnehmen. Dazu spielt Live-Musikerin Thari Kaan, die auch eine der Bennet-Schwestern sowie Mr. Bennet verkörpert, Klavier und Gitarre.
Es werden im Braunschweiger "Stolz und Vorurteil*(*oder so)" also ständig in Windeseile Kostüme gewechselt, und irgendwo zwischen der Karaoke-Show passieren auch noch so um die zweieinhalb Liebesgeschichten. Kurz gesagt also: Ein wilder Ritt, gerade auch im Vergleich zum eher gemächlichen Roman. Das ganze Chaos lebt sehr vom Ensemble, das sichtlich Spaß an der ganzen Sache hat – Saskia Petzold, Julia Niemann, Nina Wolf, Nora Schulte und Saskia Taeger entwickeln zusammen mit der Ein-Frau-Band Kaan einen Flow voll Austen-Irrsinns, der immer voll auf die Zwölf zielt und da auch gerne landet.
Rein weibliches Ensemble
Dass das alles Spaß macht, ist klar – hier ein abstruser Meta-Witz, da ein Hitsong, den das Publikum mit Applaus bedenkt, dazu Austens seifenoperartige Liebeskonstruktionen, garniert mit den parodistisch gezeichneten Figuren, die mit kaum mehr als zwei ausgeprägten Charakterzügen ins Rennen geschickt werden: Das ist sehr lustig, sehr unterhaltend, auch wenn der mehr als dreistündige Abend sich gegen Ende doch ein wenig zieht.
Tatsächlich macht die ganze Sache so viel Spaß, dass man sich fast nicht fragt, warum das eigentlich alles passiert. Dass das Stück für ein rein weibliches Ensemble geschrieben ist, wirkt als Verstärker für eine feministische Lesart von Austens Roman, die dieser ja sowieso anbietet: Was vordergründig eine seichte Liebesgeschichte ist, ist bei näherer Betrachtung die Geschichte von Frauen, die versuchen, wenn schon nicht den Regeln und Normen ihrer Zeit komplett zu entfliehen, dann doch, sie wenigstens ein wenig zu biegen. Da ist auch der leicht ironische Ton des Romans, der sich in Prechsls Inszenierung in den nie so ganz ernst gemeinten Songs und dem Bewusstsein der Inszenierung, dass sie eine Inszenierung ist, niederschlägt.
Wie bei Austen ändert sich aber auch nichts wirklich – am Happy End warten die Hochzeiten. Die gesellschaftlich etablierten Strukturen werden nicht aufgebrochen, sondern verfestigen sich, wenn fast alle einen Mann finden, den sie mögen. Und das Personal, nun, das macht dann auch nicht so besonders viel außer alles wieder weg – seit, so heißt es in dem Stück, 1796.
Staub unterm Spaß
"Stolz und Vorurteil * (*oder so)" ist Jane Austen für heute, nicht mehr, nicht weniger. Kein Transport in grundsätzlich moderne Denkweisen. Unterm Spaß lagert der Staub: Trotz Witz, trotz Spielfreude beim Ensemble und trotz Cyndi Laupers "Girls just wanna have fun" bleibt der Kern der Inszenierung doch ein wenig hohl – sie bietet ein neues Gewand an, erzählt aber am Ende in dem ganzen Spektakel nichts Neues. Es klingt nur neu.
Stolz und Vorurteil* (*oder so)
von Isobel MacArthur nach Jane Austen
Regie: Julia Prechsl, Musikalische Leitung: Thari Kaan, Bühne: Luisa Wandschneider, Kostüme: Olivia Rosendorfer.
Mit: Saskia Petzold, Juli Niemann, Nina Wolf, Nora Schulte, Saskia Taeger, Thari Kaan.
Premiere am 6. Mai 2023
Dauer: 3 Stunden 15 Minuten, eine Pause
www.staatstheater-braunschweig.de
Kritikenrundschau
"Oha, es scheint so, als hätte unser Staatstheater endlich mal wieder einen Knaller im Schauspiel", ruft Martin Jasper in der Braunschweiger Zeitung (€ | 8.5.2023) aus und vermerkt: "Standing Ovations nach drei unterhaltsamen, aber auch nicht ganz unermüdenden Stunden". Auf der Habenseite des Abends: "Es geht quicklebendig, sehr beweglich, zuweilen unbekümmert ulkig zu. Garniert ist das Ganze musicalhaft mit Live-Musik, toll gesungenen Liedern und hübschen Regieideen (...). Die Geschichte von Jane Austen wird zwar sprachlich modernisiert und pointiert, aber getreu erzählt." Allerdings gerieten die Männerfiguren "allesamt zu klischeehaften Knallköppen", schwebe der Abend "phasenweise in der Gefahr der sich dehnenden Verflachung" und sei auch "einfach zu lang".
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