Form über Inhalt

3. April 2022. Herbert Fritsch inszeniert den zynischen Weltuntergangstext von Thomas Bernhard inklusive Spaßfaktor. Das groteske Spiel stellt die elementare Frage des Lebens: Stecken wir in einer Komödie oder in einer Tragödie? Ein typischer Fritsch-Abend, der nicht ganz zündet.

Von Katrin Ullmann

"Die Jagdgesellschaft" nach Thomas Bernhard in der Regie und Bühne von Herbert Fritsch © Matthias Horn

3. April 2022. "Handelt es sich um eine Tragödie / behauptet er / eine Komödie sei es / und ist es eine Komödie behauptet er / eine Tragödie", konstatiert der General süffisant. Mit "er" ist der Schriftsteller gemeint, womöglich Thomas Bernhard selbst. Sicher aber ist er eine Figur in dessen "Jagdgesellschaft". Uraufgeführt wurde das Stück, das Bernhard mehrmals als eine seiner gelungensten Arbeiten bezeichnete, 1974 am Wiener Burgtheater. In dieser Endzeitparabel ist alles hohl, morsch oder zerfressen. Borkenkäfer zerstören den riesigen Wald rund um das Jagdhaus des Generals, Krankheiten wüten in den Figuren, oder lauern darauf, auszubrechen.

Was ist das Leben?

Die Generalin und der Schriftsteller warten im Jagdhaus auf die Ankunft des Generals: ein Kriegsveteranen, Jäger und hochrangiger Politiker mit einflussreichem Netzwerk. Die Gespräche der beiden drehen sich natürlich um Untergang und Zerstörung. Und während es draußen schneit, wird drinnen kräftig eingeheizt, wird wie besessen Karten gespielt und monologisch philosophiert. Das Menschenleben sei nur erträglich, so formuliert es der Schriftsteller im Stück einmal, "weil wir im Grunde aus nichts anderem zusammengesetzt sind / als aus dem Tode". Und was ist es denn eigentlich, das Menschenleben? Eine Komödie oder eine Tragödie?

Deutsches SchauSpielHaus Hamburg: „Die Jagdgesellschaft“ von Thomas BernhardSchreien, Kreischen, Schielen, Röcheln, Zucken, Zappeln: "Die Jagdgesellschaft" am Deutschen Schauspielhaus Hamburg zeigt sich als typische Fritsch-Inszenierung © Matthias Horn

Bernhard begegnete der menschlichen Existenz bekanntlich vor allem mit Zynismus. Am Hamburger Schauspielhaus begegnet Herbert Fritsch dem österreichischen Parade-Zyniker vor allem mit Musik. Und zwar in einem Bühnenbild, das der Steinzeithöhle der Feuersteins nachempfunden scheint. Natürlich als luxuriöse High-End-Ausgabe: mit zwei edelschwarzen, amorphen Sesseln, einem knuddelig bauchigen Ofen, einem riesigen Panoramafenster in Richtung Schneetreiben und einem Krickelkrakel-Wald gegenüber.

Illustrierende Akkorde

Folglich sitzt Fritschs langjähriger Weggenosse, der Komponist und Musiker Ingo Günther, den ganzen Abend am Flügel. Er spielt großartig und manchmal fast silbengenau, gerade so als gälte es einen Stummfilm zu begleiten: perlende Melodien, lässigen Jazz, illustrierende Akkorde, schnelle Rhythmen. Entsprechend scheinen die Schauspieler:innen mehr zu singen als zu sprechen, wenn sie sich in die Bernhard'schen Texttiraden ergießen. Sie jubilieren sich fast durch die Monologe, während ihre Körper das tun, was sie bei Fritsch-Inszenierungen eigentlich immer tun: sie überdehnen und verrenken sich, tänzeln gekonnt über die Bühne, gleiten weich davon, gestikulieren mit weit ausgebreiteten Armen, verrutschen immer wieder sanft und slapstickartig auf den Sesseln, bringen Perlenketten zum Hula-Hoop-Schwingen, zünden Fehlschüsse aus Gewehren, schreien und kreischen, schielen grotesk, röcheln, zucken, zappeln und mischen fantastisch pantomimisch Karten. Oft mit weit aufgerissenen Augen, meist voll grotesker Übertreibung. So auch Angelika Richter als überdrehte Generalin und Bastian Reiber als verdrehter Schriftsteller – in faszinierender Exaktheit und Körperlichkeit. Auf halber Strecke gesellt sich Michael Wittenborn zu ihnen, als bornierter, wunderbar steifer, trockener und selbstredend autoritärer Gegenpart.

Bastian Reiber, Angelika RichterBastian Reiber und Angelika Richter in der Fritschen Feuerstein-Höhle © Matthias Horn

Auch diese Fritsch-Inszenierung kombiniert also gekonnt Timing, Übertreibung und Groteske, lässt die Schauspieler:innen großartiges Puppentheater spielen. Spaßfaktor stets inklusive. Allein, die Fritsch-Bernhard-Kombi will einfach nicht zünden. Da färbt die überzeichnende Groteske den endlos-rumphilosophieren-aber-nichts-ändern-Inhalt einfach noch schwarzweißer, da verlieren sich wunderbare Texte ungehört im Raum, wird die Gesellschaftskritik weggelacht. Da springt die Form so weit über den Inhalt, als gälte es die Leichtathletikweltmeisterschaften zu gewinnen.

Groteskes Spiel

Es ist schon klar, dass nicht jede aktuelle Inszenierung auf den Ukraine-Krieg Bezug nehmen kann und muss. Doch findet die Zuschauerwahrnehmung leider vor dieser Folie statt. An diesem Abend scheint es, als streue Fritsch sogar fast fahrig einige Verweise. Etwa indem er die den General umgebenden Minister mit russischen Pelzmützen und fernöstlicher Schminke darstellt (Kostüme: Cosima Wanda Winter). Doch geschieht das aus gesellschaftspolitischem Impuls oder aus reiner Liebe zur Ausstattung? Ist womöglich alles nur ein groteskes Spiel? Lachhaft und tragisch zugleich? Der Abend lässt einen fast zwei Stunden lang auf die eigenen Erwartungen warten und zeigt sich am Ende weder als Komödie noch als Tragödie. Vielleicht ist er, wie Wittenborns General einmal hamburgisch spöttelt, "doch nichts als Operedde".

 

Die Jagdgesellschaft
Von Thomas Bernhard
Regie und Bühne: Herbert Fritsch, Dramaturgie: Ralf Fiedler, Kostüme: Cosmina Wanda Winter, Musik: Ingo Günther, Licht: Annette ter Meulen.
Mit: Eva Bühnen, Charlie Casanova, Sachiko Hara, Jonas Hien, Sasha Rau, Bastian Reiber, Angelika Richter, Daniel Hoevels, Maximilian Scheidt, Bettina Stucky, Michael Wittenborn.
Premiere am 2. April 2022
Dauer: 1 Stunde 45 Minuten, keine Pause

www.schauspielhaus.de

 

Kritikenrundschau

Fritschs Humor passe eher schlecht in diese Kriegszeit, meint Till Briegleb in der SZ (5.4.2022). Es wirke momentan deplaziert bis peinlich, "wenn ein überdrehter Hauptdarsteller sich im quäkenden Ton über Opis Geschichten aus Stalingrad lustig macht, während in der Ukraine gerade Städte ihr 'Stalingrad' durch Russlands Truppen erleben."

"Nein, Bernhards Dramatik lässt sich nicht so einfach ein auf die alles übertünchende Überdrehung, das plätschernde Possen-Parlando der Fritsch-Regie", schreibt Simon Strauß von der FAZ (4.4.2022). Die ständige Entgleisung des Einzelnen sei Fritsch wichtiger als die todbringende Krankheit in jedem von uns. Im Grunde zeige Fritsch mit seinem neuen Expressionismus genau das, was Bernhard verabscheut habe: "das Leben als Unterhaltungsmechanismus".

"Herbert Fritsch und sein Ensemble setzen vor allem auf die Musikalität des Textes und ziehen beinahe rauschhaft durch und damit manchmal über Bernhard hinweg", so Katja Weise vom NDR (3.4.2022). "Doch Fritsch und sein tolles Ensemble finden auch die Balance und bringen die Figuren zum Tanzen."

Das Konzept, mit dem Fritsch die Komödie aus dem Stück herausarbeite, sei eine Wucht, schreibt Stefan Grund von der Welt (4.4.2022). Der Regisseur versammle eine irre Truppe mit der Lizenz zum Töten. Angela Richter "schrillt sich durch die Nacht", Ingo Günter sei "fantastisch", Jonas Hien verbreite "reine Freude".

Der Abend sei nicht so komisch, dass man ihn als Bernhard-Parodie verstehen könnte. Fritsch dringe stattdessen einmal mehr in den ernsten Kern der Bernhard-Phantasien ein, so Michael Laages von Deutschlandfunk Kultur (2.4.2022). 

"Frit­sch führt mit sei­nen Clowns Tho­mas Bern­hard auf. In an­de­ren Wor­ten: Ein Ma­nie­rist über­fällt ei­nen an­de­ren", schreibt Peter Kümmel in der Zeit (7.4.2022). "Die Auf­füh­rung ist ein we­nig so, als ha­be sich ein Trupp Schiff­brü­chi­ger (Frit­schs Schau­spie­ler) auf ei­ne ein­sa­me In­sel (Bern­hards Ös­ter­reich) ge­ret­tet und sich mit den Ein­ge­bo­re­nen (Bern­hards Fi­gu­ren) ge­paart." Der gro­ße Un­sicht­ba­re auf die­ser In­sel sei na­tür­lich Tho­mas Bern­hard selbst. "Ihn fin­det Frit­sch nicht, aber die Art, wie er nach ihm ruft, ist schon ein Er­leb­nis."

Komödie, okay. "Aber muss es solch ein schallendes Gelächter sein?", fragt Lenard Brar Manthey Rojas in der taz (8.4.2022). Keinen Augenblick der Stille gönne Fritsch: "Zwei Stunden lang lacht, schreit und schießt die Jagdgesellschaft ohne Unterlass. Kurz innezuhalten? Unmöglich, ununterbrochen erklingt Klavierbegleitung." Manthey Rojas vermisst zudem jeden Zeitbezug.

Kommentare  
Jagdgesellschaft, Hamburg: Ja, so war’s…
Dass es der Kritik einmal gelingt, meine Meinung 1:1 wiederzugeben. Genau so war’s..,
Jagdgesellschaft, Hamburg: Hintergrund
Etwas anderes: Ich entnehme dem Programmheft bei Fritsch immer, dass es MitarbeiterInnen hinter dem Regisseur gibt, die seine Ideen für ihn umsetzen. Es stimmt mich nachdenklich, dass er zum Applaus, wie bei einem Klassenfoto, vor dem Ensemble liegt, und die fleißigen KünstlerInnen im Hintergrund nicht beim Schlussapplaus erscheinen. In der endlosen Applausordnung wäre dafür viel Platz gewesen.
Jagdgesellschaft, Hamburg: Applausordnung
Ja, die ausgefeilte Applausordnung wird auch in der FAZ hervorgehoben. Es war etwas zäh; ohne sie wäre vorher Schluß gewesen. Begeisterung klingt anders.
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