Paradise Now - Konradin Kunze adaptiert den umstrittenen Filmstoff am Jungen Schauspielhaus
Imagination des Schreckens
von Katrin Ullmann
Hamburg, 4. Juni 2008. Der Aufführungsort ist eine szenige Bar in einem szenigen Viertel, der Stoff eine Debatte für sich. Der Film "Paradise Now" kam im Herbst 2005 in die Kinos, wurde preisgekrönt, für den Oscar nominiert – und höchst kontrovers diskutiert. Die einen empfanden Hany Abu-Assads und Bero Beyers Geschichte über zwei jugendliche palästinensische Selbstmordattentäter als eindringlich, psychologisch und nicht zwischen Gut und Böse wertend, die anderen hielten das Werk für höchst antisemitisch und lasen es als palästinensische Propaganda.
Konradin Kunze, ein meist schauspielerndes Ensemblemitglied des Jungen Schauspielhauses, hat den brisanten Stoff nun für die Bühne adaptiert und seine Fassung in der "Hamburger Botschaft" uraufgeführt. Ein absichtlich öffentlicher Ort für eine psychologische, gut gearbeitete Inszenierung.
Innen- und Außenschauplätze
Die großflächigen, zunächst mit weißer Plastikfolie verhängten Panoramafenster der Bar bieten Raum für Innen- und Außenschauplätze, für "Kinotheater", wie es in der Ankündigung heißt. Doch bevor der Kinostoff auch nur einen Schritt in den neu definierten Theaterraum getan hat, machen sich Proteste breit: "Schluss mit dem Theater! Paradise No!" titelt ein Handzettel. Eine Organisation, die sich „Kritikmaximierung Hamburg" nennt, demonstriert mit einer zweiseitigen, dicht betexteten Erklärung gegen die Theaterinszenierung, demonstriert sogar schon gegen die Ankündigung derselben.
Der Kauf einer "Paradise Now"-Eintrittskarte" wäre eine der dümmsten Optionen des Warentauschs" heißt es da, und später kommt der Vorwurf zu Papier, das Schauspielhaus inszeniere "wider besseren Wissens eine Selbstmordattentäter-Apologie". Ob die papierstarken Vertreter der "Kritikmaximierung" die Inszenierung besucht haben, ist ungewiss, allerdings eher unwahrscheinlich. Denn das Eintrittskartengeld, so der Ratschlag des Pamphlets, solle man lieber für "ein Buch oder eine Flasche guten Wein" ausgeben.
Von Mauern und Zäunen
Doch das Eintrittsgeld, so der Ratschlag der Kritikerin, kann man gut und gerne für diese Aufführung ausgeben: Eine hoch spannende Aufführung, die die Filmgeschichte nie konkret verortet, sondern den Fokus auf die beiden Freunde Said (Renato Schuch) und Khaled (Johannes Nehlsen) richtet, ihren Alltag, ihre Liebe und ihre Perspektiven. Kein einziges Mal wird Israel, Palästina oder das Westjordanland genannt. Stattdessen ist die Rede von besetzten Gebieten, Grenzkontrollen, Flüchtlingslagern, von Mauern und Zäunen. Der ins Ungefähre gerückte Nah-Ost-Konflikt, schafft einen noch viel größeren Schrecken: Seine Merkmale sind – auch ohne Ländernennung – eindeutig.
In Jeans und Trainingsjacke sitzen die beiden Freunde auf zwei weißen Plastikstuhltürmen (Ausstattung: Léa Dietrich) reden über den Job in der Autowerkstatt – den Khaled gerade verloren hat – über Musik und über eine ganz bestimmte Frau. Diese, die engagierte Tochter eines heldenhaften Vaters, heißt Suha (überzeugend pazifistisch: Laura de Weck) und verliebt sich in Said. Dass diese Liebe nicht lange leben wird, ist klar.
Gott erwartet Euch
Bald bestellt Jamal die Freunde zum Selbstmordattenat – Hermann Books Auftritt als wegweisender Lehrer ist recht unvermittelt. Knapp dröhnt er die Mission von der Empore und die beiden folgen. Ein eindringliches "Gott erwartet Euch!" des geistigen Führers Abu Kharem scheppert aus einem altmodischen Megaphon, Said und Khaled folgen ihm mit einem vorformulierten Abschiedsmonolog. Ganz klein und sehnsuchtsvoll sind sie dabei, ihr Bekennen, ihr Fanatismus brüchig. Es ist ein sehr berührender Moment, in der die Aussage "das Jenseits ist besser als das Diesseits" zur mutmachenden Formel zweier verunsicherter, orientierungsloser Teenager wird.
Auch später gelingt Konradin Kunze eine enorme Spannung, als die Freunde mit scharf gemachten Sensoren um den Leib, den geschützten Barraum verlassen. Als lebende Bomben gehen sie vorbei an parkenden Autos und Passanten, bevor eine schrille, lang anhaltende Alarmsirene die Aktion scheitern lässt. Said wird später der Fanatischere der beiden sein, der trotz seiner Liebe zu Suha, wieder nach draußen und in den Selbstmord geht. Dann erzählen Kinderstimmen von Kampf, von immerwährender Rache ohne Vergebung, von Feinden und Freunden. So nebensächlich wie eindringlich.
Said ist da schon längst außer Sichtweite, nur sein entschiedener Schritt halt noch lange, langsam leiser werdend via Lautsprecher in den Theaterraum. Keine Explosion, kein Knall, nur die fürchterliche Imagination des Schreckens, der andernorts Teil des Alltag ist.
Paradise Now
nach dem Film von Hany Abu-Assad und Bero Beyer
Fassung von Konradin Kunze
Regie: Konradin Kunze, Ausstattung: Léa Dietrich, Musik: Jan S. Beyer, Jörg Wockenfuß.
Mit: Hermann Book, Laura de Weck, Johannes Nehlsen und Renato Schuch.
www.schauspielhaus.de
Kritikenrundschau
Ein mit "wend" kürzelnder Kritiker zeigt sich im Hamburger Abendblatt (6.6.2008) von diesem Abend bewegt und angeregt. Die "vielen Lautsprecher im kargen Raum" signalisieren ihm klar, dass "in dieser Welt fast jede Äußerung Agitation ist". Auch findet er gut und richtig, daß Konradin Kunze in seiner Inszenierung die "Gleichgültigkeit der Drahtzieher" gegenüber den jungen Männern, die sie mit "hohlem Pathos zur Selbstaufopferung auffordern", unterstreicht. Auch den Schauspielern bescheinigt er Intensität.
Für Elske Brault im Deutschlandradio (5.6.2008) ist das größte Problem des Abends der Spielort, eine Szenekneipe im Hamburger Schanzenviertel. Das sollte Authentizität vermitteln, eine Rechnung die aus ihrer Sicht jedoch nicht auf- sondern nach hinten losgeht. Denn statt dass damit die Bedrohung der Zivilgesellschaft durch den Terror auch in Hamburg verdeutlicht werde, sauge das friedliche Leben drumherum die Bedrohung quasi auf. Auf einer echten Bühne wäre das möglicherweise anders gewesen. Zumal die Kritikerin dem Abend bescheinigt, "gut gespielt" zu sein und wohl auch die Entscheidung stimmig findet, statt von Israelis und Palästinensern von "Flüchtlingen" und "Besatzern" zu sprechen.
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