Krieg siegt. Glück ist zu teuer.

von Michael Laages

Dresden, 21. November 2009. Träume von Theater-Pädagogen werden wahr; seit  Beginn der neuen Intendanz von Wilfried Schulz ganz besonders in Dresden. Das Staatsschauspiel dort hat die "Bürgerbühne" etabliert - theaterbegeisterte Dresdnerinnen und Dresdner sind eingeladen, sich auf unterschiedlichste Weise der eigenen Passion zu widmen, und das weit über die allerorten handelsüblichen Strukturen theaterpädagogischer Strategien hinaus. Diese Bürger begleiten die Bühne nicht nur, sie produzieren selbst - nach einer Fassung des "Nibelungen"-Stoffes für sehr junge Mitstreiter dieses Laien-Projektes stellt sich jetzt das ganze Altersspektrum der Gruppe vor: von 10 bis 75. Und sie greifen ziemlich hoch hinaus - zum "Magazin des Glücks", dem 1932 entstandenen (und Fragment gebliebenen) Film-Buch des Dramatikers Ödön von Horváth.

 


Glück scheitert an Kapitalmangel
Das hat es in sich. Immerhin setzt Horváth dem in dieser Zeit zunehmend grassierenden Erlösungswahn des deutschen Nationalsozialismus einen anderen entgegen - im "Magazin des Glücks" eines Zufriedenheits-Apostels namens King Atlas werden dem Kunden alle kleineren und größeren Sorgen aus den Kleidern der Seele gepustet; die Mühseligen und Beladenen sämtlicher Krisen der Zeit werden auf diesem Rummelplatz der Glücksgefühle entlastet und befriedigt. Noch das entlegenste Wehwehchen kann kuriert werden im entlegensten Winkel dieses Magazins, das eine Fundgrube ist für das kleine und das große Glück - der Regisseur Max Reinhardt und die werdende deutsche Diva Marlene Dietrich waren vorgesehen für einen Revuefilm der fundamentalen Sorte.

Nur leider (und so geht die Geschichte weiter) gibt's das Glück nicht umsonst; und leider stürmen das Magazin des Unternehmers King Atlas zwar viele bedürftige Kunden, doch sind die (das ist halt die fundamentalste aller Krisen in dieser Welt!) extrem knapp bei Kasse. Das Magazin ist folglich pleite und müht sich mit der versammelten Energie aller Beteiligten um eine "Prinzessin", die allein das Haus als Sponsor und Finanzier retten könnte.

Die Beteiligungsstrategen reden ihr zugleich ein, dass sich mit der Finanzierung eines Krieges noch einiges mehr an Geld verdienen ließe - und so kommt es denn schließlich tatsächlich so, dass vier Euro und ein paar Zerquetschte den Ausschlag geben: pro Krieg, kontra Glück. Das hat aber auch sein Gutes - denn diese Prinzessin hatte fast schon die Beziehung des Glückskunden Reithofer zu Freundin Lotte zerstört, die in der Magazin-Küche schafft; nun raufen wenigstens die sich zusammen. Das kleine Glück - sagt dieser Schluss - ist machbar irgendwie; das große wird immer scheitern: am Kapital.

Laienspielglück und Kritikerfragen
Schöner, starker Stoff, ganz ohne Zweifel - für die hingebungsvoll engagierten Laien der "Bürgerbühne" allerdings unübersehbar auch ein paar Nummern zu groß. Zumal Projektchefin Miriam Tscholl und Dramaturgin Felicitas Zürcher die Glücksphantasie auch noch mit ein paar von Horváths bekannteren Unglücksrealitäten umgeben haben - mit etwas rabiat bearbeiteten Szenen aus "Kasimir und Karoline" und "Glaube Liebe Hoffnung", "Geschichten aus dem Wienerwald" und "Himmelwärts".

Im Angesicht von Ehe-Elend also und Arbeitsamts-Tristesse klettern wir, das Publikum, Etage um Etage empor im "Kleinen Haus" des Staatstheaters, bis wir ganz oben unterm Dach juchhe Platz nehmen können im eigentlichen Magazin. Dort wird dann eine gehörige Menge szenisch-musikalisch-darstellerischer Phantasie aufgewendet - die aber doch den fundamentalen Konflikt des Laien-Spiels nur bedingt überdecken kann. Denn auch die eingebauten eigenen Geschichten des Personals der "Bürgerbühne" wirken nun akkurat so wie Horváths literarisch erschriebene (und sonst von Profis mit großer Mühe erspielte) Alltäglichkeit; und unterliegen naturgemäß all den handwerklichen Beschränkungen, um die noch die engagiertesten Hobby-Darsteller nie herum kommen.

Insofern ist wohl auch das Handwerk des kritischen Berichterstatters wahrscheinlich gar nicht wirklich gefragt und stört eher; wie so oft in jüngerer Theater-Zeit, wenn (wie zuletzt etwa in Hamburg immer öfter am Schauspielhaus oder zum Neustart auch am Thalia Theater, mit ein paar Dutzend "Hamlet"-Monologen von Menschen wie du und ich) die Wirklichkeit Platz greift auf der Theaterbühne.

Spielen und Auf-der-Bühne-sein ist ja meist schon Glück genug, und niemand verlangt mehr, nicht all die Freunde, Verwandten und Bekannten, und auch nicht die Theaterpädagogen, deren Traum ja schon in Erfüllung ging. Vielleicht wäre ja sogar der Autor (wenn er noch lebte und zufällig zugegen wäre) zunächst mal und vor allem zufrieden: über derart viele liebenswerte, weil im und für das Theater engagierte Menschen.

Vielleicht reicht das ja auch. Und nur das Stück verlangt mehr.

 

Magazin des Glücks
von Ödön von Horváth
(Fassung der "Bürgerbühne" am Staatsschauspiel Dresden)
Regie: Miriam Tscholl, Bühne: Nicola Antonia Schmid, Kostüme: Sabine Hilscher, Musik: Michael Emanuel Bauer.
Mit dem Ensemble der "Bürgerbühne"

www.staatsschauspiel-dresden.de

 

Mehr zum Volkschorwesen auf deutschen Bühnen im nachtkritik-Archiv: zum Beispiel zu Volker Lösch, der 2007 nicht nur in seinem Dresdener Woyzeck, sondern auch in Stuttgart allerlei Echtvolk auf die Bühne brachte, 2009 in Wut oder 2007 in Medea etwa. Vom Hamburger Marat 2008 ganz zu schweigen.

 

 

Kommentare  
Magazin des Glücks in Dresden: Bügerchor und Bürgerbühne
Der Bürgerchor wurde nicht, wie eingangs geschrieben, von der Bürgerbühne "abgelöst", sondern existiert immer noch, nun als Teil der Bürgerbühne.

Vielen Dank für den Hinweis. Ich habe die Anmoderation der Kritik zur Dresdner Bürgerbühne entsprechend geändert.
nikolaus merck
Magazin des Glücks in Dresden: guter Spaß
Diese Inszenierung des "Magazin des Glücks" ist doch recht unterhaltsam, wenn auch stellenweise absolut schlecht gespielt, aber es sind ja Laien. Gäbe es nicht die musikalische Untermalung bzw. die musikalische Verbindung verschiedener Szenen, das Stück würde zu einem Nichts zerfallen. Es ist eine Nummernrevue voller billiger Gags, die den Namen Horvaths nun wirklich nicht verdient. Wenn man aber an all das nicht denkt, dann kann man m.E. doch ganz gut Spaß an diesem "Stück" haben.
Magazin des Glücks in Dresden: das Spezielle im Nicht-Professionellen
Ich schreibe nicht über den Glücks-Abend, sondern über Herrn Laages Unvermögen mit einer anderen Theaterästhetik und -struktur, als der gewohnten umzugehen. Warum schreiben Sie denn nicht über das, was schauspielerisch nicht gut ist, über Regieschwächen oder dramaturgische Fehler? Wie kommt es, dass bei Ihnen Begriffe wie Laien, Hobby oder auch Theaterpädagogik an sich schon zur Kritik werden? Das ist doch keine Auseinandersetzung mit einem Theaterabend. Das klingt im Sub-Text schon eher beleidigt, dass Sie sich mit Geringerem als grossen Namen und exklusiven Begabungen auseinander setzen müssen. Klären sie das doch lieber mit Ihrer redaktion, anstatt eine Kritik zu schreiben, die nicht deswegen schlecht ist, weil Sie das Stück schlecht finden und das argumentativ und theaterdiskursiv untersetzen, sonder weil Sie als Kritiker offensichtlich keine Instrumente im Umgang mit dem Speziellen im Nicht-Professionellen finden. Das ist schade und steht Ihnen einfach nicht - da habe ich schon niveauvolleres von Ihnen gelesen.
Magazin des Glücks in Dresden: begeistert von Figuren
ich wollte eigentlich nur sagen dass ich es genauso komisch finde den begriff theaterpädagogik mehrmals in der kritik zu dieser inszenierung zu benutzen. weil ich gerade die letzte vorstellung gesehen habe und ziemlich begeistert bin von den figuren die (trotz natürlich nicht-professionellem spiel) da auf die bühne kommen und ich beim theatertreffen nicht annähernd spannende und dramatische sachen gesehen habe. andere bühnen denken sich solche sachen aus... dass das laien sind ist einem ja eigentlich klar wenn man in die Bürgerbühne geht. aber vielleicht bin ich ja auch einfach zu jung um so einen großartigen anspruch zu haben,
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