Wer ist hier der Antiheld?

16. Dezember 2023. Ferdinand Schmalz' "Königinnendrama" macht Karriere und wird auch nach den Nibelungenfestspielen, für die es verfasst wurde, auf Bühnen gebracht. In der Österreichischen Erstaufführung reizt Jan Bosse sein komisches Potential aus. Und dann kippt die Stimmung ...

Von Martin Thomas Pesl

 

"hildensaga" © Marcella Ruiz Cruz

16. Dezember 2023. Im Sommer 2022 gelang Ferdinand Schmalz gewissermaßen die Quadratur des Kreises. Für die Nibelungenfestspiele Worms schrieb der Österreicher seine Version des obligatorischen Stoffes: Mit "hildensaga. ein königinnendrama" (nicht nur der Titel, der ganze Text ist kleingeschrieben) bot er schlachtensattes Schlossspektakel und Feminismus gleichzeitig, ohne dabei Ansprüche an den eigenen Sprachstil zu verraten. 

So ist es durchaus verdient, dass dieses sommerliche Auftragswerk als eines der wenigen seiner Art in den Kanon übergeht. Am Münchner Volkstheater inszenierte Christina Tscharyiski es noch im selben Winter nach. Sie kehrte das große Drama hervor, die zwischenmenschlichen Nöte junger Leute, die gern ehrlich lieben würden, aber von elterlichem Willen und dem Schicksalsfaden der Nornen davon abgehalten werden. 

An der Burg in Wien legt Regisseur Jan Bosse jetzt die Komödiantik von Schmalz' Text frei. Zwar ist die Bühne des Akademietheaters die kleinste, über die die "hildensaga" bisher ging, vom Spektakelhaften sind aber anfangs noch die Seile geblieben, an denen die Spieler:innen in Island aus dem Schnee gehoben und eine steile, weiße Wand entlang zum Fliegen gebracht werden. 

Talent zur Lächerlichkeit

Die Einheimischen, Julia Windischbauer als Brünhild und ihr einäugiger Vater Wotan (Oliver Nägele), tragen der angedeuteten Eiseskälte entsprechend kuschligen Pelz, Siegfried der Drachentöter ist in einer Art Astronautenanzug bis hierher durchgedrungen, unter dem bald darauf Nils Strunk zum Vorschein kommt. In Glitzerleggins. Besonders bei den Männern hat sich Kostümbildnerin Kathrin Platz ausgetobt. Die Burgunder Partie rund um Kriemhild (Katharina Lorenz) und ihren Bruder, König Gunther (Dietmar König), sind Helden in Strumpfhosen, aber auch im Brokatteppichkleid und im Edelnegligé. Überhaupt lebt der Abend die längste Zeit von der Bereitschaft und dem Talent männlicher Burgschauspieler zur Lächerlichkeit. 

Orangene Nornen: Zeynep Buyraç, Julia Windischbauer, Nina Siewert, Elisa Plüss © Marcella Ruiz Cruz

Fremdkörper im Winterwunderland sind mit ihren grellorangen Multifunktions-Morphsuits die für Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zuständigen Nornen: Zeynep Buyraç, Elisa Plüss und Nina Siewert. Selten chorisch sprechend, öfter einander das Wort aus dem Mund nehmend, manipulieren die drei das Geschehen. So endet ein klischeehafter Divenstreit der Hilden um den Vortritt in den Palast in der "korrigierten" Variante mit deren Verschwesterung. Diese äußert sich auch optisch: In Blümchenkleid und Kurzhaarfrisur sind sie kaum noch zu unterscheiden. 

Erst Eiswand, dann goldener Käfig

Der hohe Norden hat sich da längst ins trockene Burgund verwandelt. Noch während Wotan das Publikum in die Pause schickte, begannen die Bühnenarbeiter mit dem Schneeschaufeln. Die Eiswand wich einem Gittergerüst, einem goldenen Käfig für die im Wettkampf ausgetrickste Brünhild. Dank Tarnkappe unsichtbar, trat Siegfried gegen sie an, es sah aus, als hätte Gunther sie besiegt. Ihn muss sie daher heiraten. Doch statt die Ehe zu vollziehen, nagelt Brünhild den König buchstäblich an die Wand. Siegfried – der zur Belohnung die schüchterne Kriemhild zur Frau erhielt – muss ihm wieder heimlich zur Hilfe eilen und sie, wie es im Text heißt, "überwältigen".

hildensaga c 3 Marcella Ruiz CruzBrünhilde im goldenen Käfig: Julia Windischbauer © Marcella Ruiz Cruz

Hier nun ist abrupt Schluss mit lustig. Und Julia Windischbauer kann in ihrer ersten Rolle am Burgtheater zeigen, dass sie am richtigen Ort ist. Wie Brünhild nach ihrer praktisch vom gesamten Hof orchestrierten Vergewaltigung die versammelte Mannschaft runterputzt und nebenbei dem Publikum für seine Heldenverehrung die Leviten liest ("eure helden sind viel schlimmer noch als ihr, weil sie der schlechtigkeit der welt noch einen rosa anstrich geben"), ist ein starker Abgang, nach dem erst mal für ein paar Schocksekunden das Licht ausgeht.

Total party kill

Unter einem Netz aus Schicksalsfäden (in Form oranger Plastiklappen, eindeutig Nornen-Werk) folgt Brünhilds Rache – im Rahmen eines Jagdausflugs kommt es zum "total party kill". Wobei Nils Strunks Siegfried perfide genug ist, einem fast leidzutun – er war immer so lieb und verständnisvoll, hatte seine Gitarre dabei und lud die jeweilige Favoritin zum Duett: "Anti-Hero" von Taylor Swift. Ein Vergewaltiger ist er halt auch – "ich bin eine Naturgewalt", sagt er treuherzig. Eben, rosa Anstrich.

Der krasse Bruch von Bruhaha zu Betroffenheit erweckt den Verdacht, die Inszenierung wolle sich mit Pointen anbiedern, bis es halt nicht mehr geht. Auf beiden Seiten der Zäsur jedoch arbeitet Bosse sauber, bringt das Ensemble zusammen und den fein komponierten Text zur Geltung. Dessen bemerkenswerter Schicksalsfaden spinnt sich somit weiter in Richtung Zukunft.

hildensaga. ein königinnendrama
von Ferdinand Schmalz
Österreichische Erstaufführung
Regie: Jan Bosse, Bühne: Stéphane Laimé, Kostüme: Kathrin Platz, Musik: Arno Kraehahn, Licht: Reinhard Traub, Dramaturgie: Gabrielle Bussacker.
Mit: Zeynep Buyraç, Gunther Eckes, Rainer Galke, Dietmar König, Katharina Lorenz, Oliver Nägele, Elisa Plüss, Nina Siewert, Nils Strunk, Tim Werths, Julia Windischbauer.
Premiere am 15. Dezember 2023 im Akademietheater
Dauer: 2 Stunden 45 Minuten, eine Pause

www.burgtheater.at

 

Kritikenrundschau

Schmalz‘ Hildenlied sei "so vielstimmig wie vielsträngig, oft sehr lustig und letztlich gehörig tragisch", schreibt Thomas Kramar von der Presse (16.12.2023). "Alles offen, niemand tief betroffen: keine Tragikomödie, sondern eine Komitragödie, wenn‘s das gibt. Schnell gespielt, manchmal so schnell, dass man die wilden Wendungen und wüsten Wortspiele des Texts gar nicht gleich mitbekommt."

So rasend feministisch sei das gar nicht, findet Thomas Trenkler vom Kurier (17.12.2023). Außer man sei der Meinung, dass Rache ein weibliches Prinzip wäre. "Ferdinand Schmalz hat in seinen archaisch anmutenden Text ein paar Anspielungen auf den Klimawandel und die Festung Europa eingebaut, die präzise serviert werden." Und weiter: "Nach der Pause zieht es sich ein bisschen (weil es ernster wird), aber es gibt dann noch ein fulminantes Finale."

"Es sind viele kleine Ideen, die Schmalzens Neudichtung zur heiteren Angelegenheit werden lassen“, schreibt Michael Wurmitzer vom Standard (18.12.2023). Mit dem feministischen Anliegen liege auf der zweiten Hälfte aber mehr diskursive Last als am Beginn. "Zugleich hat sich die Dümmlichkeit der Männer als Gag schon totgelaufen - und wird der Abend doch noch lang."

"Mitunter hasten die Szenen zu flott durch den Text, manche Sprachperle bleibt so auf der Strecke. Dennoch verfliegen die knapp drei mit Witz gepfefferten Stunden", schreibt Peter Grubmüller von den Oberösterreichischen Nachrichten (18.12.2023). "An der Spitze dieses eindrucksvollen Ensembles klotzt Julia Windischbauer eine durchlässige Brünhild hin, deren Text nie zur Geste verkommt, sondern wie durchlebt über die Rampe donnert."

"Auch in Schmalz'ens Umdichtung – übrigens in fast durchgängig beneidenswert stilvoller Sprache (...) – sterben am Ende alle den Theatertod. Die Schuld aber tragen hier eindeutig die 'küenen recken' – die Männer halt!", so Martin Lhotzky in der FAZ (21.12.2023). Der Abend gehöre aber zum größten Teil den Damen. Fazit: "Eine berührende Tragödie zeigen uns Jan Bosse und das Ensemble – gemeinsam stürzen sie in weniger als drei Stunden eine ganze alte Welt in den Abgrund."

Kommentare  
hildensaga, Wien: Wo sind die Kritikerinnen?
Alle Kritiker(innen?) die hier ihren Senf dazugeben sind den Namen nach zu urteilen vermutlich männlich. Finde ich ja nicht sehr feministisch, wenn man schon ein angeblich feministisches Theater kritisiert. Wollte mir ein Bild vom Stück machen, weil ich es mir gerne ansehen möchte. Enttäuschend zu sehen, dass die beschriebene feministische Pointe wohl doch an einigen vorbeigegangen ist
Hildensaga, Wien: Zustimmung
Danke Marlene, ich dachte mir das gleiche… FAZ ausgenommen… tolles Stück
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