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Den Geist der Jugend töten

von Martin Pesl

Wien, 24. Mai 2011. Ivo van Hove ist in Benelux als Regisseur bekannt geworden, der seine Technik im Griff hat. Einer, der beweisen kann, dass Videowände und Kameras in einer Inszenierung nicht bloßer Firlefanz sind. Dieses Können kam auch schon an deutschen Häusern zum Einsatz (beim Menschenfeind in Berlin, Ludwig II. in München) und geriet unter die Räder der Kritik. Nach einer Absage 2009 wird nun seine fünf Jahre alte Filmadaptation "Opening Night" mit der Toneelgroep Amsterdam doch bei den Wiener Festwochen und somit erstmals im deutschsprachigen Raum gezeigt.

opening_night_03janversweyveldJohn Cassavetes’ Film von 1977 handelt vom Theater: Mit Direct Cinema wollte er zeigen, wie künstlerisch frei dieser Ort im Gegensatz zum kommerziellen Hollywoodfilm noch ist. Erzählt werden die Endproben zu einem Stück über eine alternde Frau. Hauptdarstellerin Myrtle Gordon will sich partout nicht mit der Rolle identifizieren, sperrt sich gegen gutes Zureden, hadert, trinkt, ändert in Voraufführungen willkürlich ihren Text – bis zur Opening Night, der Premiere eben. Diesen Stoff auf eine Theaterbühne zu bringen, ist reizvoll, wurde auch schon in Frankfurt von Armin Petras versucht. Aber die Kongruenz von Form und Inhalt birgt Fallen, eben da, wo sie zu allzu nahe liegenden Dopplungen einlädt: der Vorhang ein Vorhang, die Zuschauer echte Zuschauer, und so weiter.

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© Jan Versweyveld
Videoverzettelt

Die meisten Interferenzen hat van Hove gut umgangen: Die Grenzen zwischen Spiel (in Anführungszeichen) und Realität (dito) sind fließend, und nur ein kleiner Teil des Festwochenpublikums, das rechts auf der Bühne sitzt, wird als Komparserie missbraucht. Die bekommen dafür ihren eigenen Vorhang. Jedoch lässt sich auch nicht leugnen, dass van Hove sich mit seinem Konzept der Videonutzung ausnahmsweise ein wenig verzettelt hat. Aus Theater im Film wollte er Film im Theater machen. Daher dokumentiert ein Filmteam die Proben: eine überflüssige Ausrede dafür, wie im Fußballstadion den Kern der Handlung in Großaufnahme auf Leinwände und Bildschirme zu projizieren (hier nebst deutschen Übertiteln). Das und Mikroports ermöglichen leises Spiel an versteckten Orten, doch meist wird erregt gestritten (à la "Ich kann so nicht arbeiten!"), und gar so verwinkelt ist das Konglomerat aus Bühne, Werkstatt und Garderobe, das Bühnenbildner Jan Versweyveld entworfen hat, nicht.

Intimes mit großem Drama vereint

Wenn hingegen nach zwei von zweieinhalb pausenlosen Stunden die Premiere im Stück beginnt, verschwindet die Videowall unter spektakulärem Musikeinsatz und Myrtle hält mit ihrem Kollegen Maurice (Jacob Derwig) eine stille, private Doppelconférence ab, als gäbe es kein Publikum. Projiziert wird weiterhin, jetzt aber radikal: enorme Gesichter auf die Gesamtbreite der Bühne. Hier ist er, der flämische Regiemeister, wie wir ihn kennen: virtuos das Intime mit dem großen Drama vereinend und Berührendes aus der Welt des Schauspiels erzählend, etwa, dass man erst ganz viel Banales sagen muss, bis einem "Ich liebe dich" wahrhaftig über die Lippen kommen kann.

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Der gröbste Fehltritt der Regie betrifft die Figur der Nancy. Die 17-jährige stirbt gleich zu Beginn bei einem Autounfall, kurz nachdem sie sich von Myrtle ein Autogramm geholt hat. Dass das die Diva traumatisiert, ist klar und zieht sich auch durch den gesamten Cassavetes-Film. Bei van Hove jedoch prangt nicht nur den ganzen Abend lang ein riesiger Blutfleck auf der Glastür; nein, die Verstorbene muss der Schauspielerin auch noch in Gestalt von Hélène Devois immer dann als Geist erscheinen, wenn es um Jugend geht, und einmal an ihrer Statt nackt auf die Bühne gehen. So tötet Myrtle sie in einem kathartischen Akt gleich nochmal. Diese gar simple Symbolik passt nicht in einen herzhaften, aber kitschfreien Abend.

Mit Gefühl für Theater

Abseits solch kleiner Enttäuschungen einer hohen Erwartung ist "Opening Night" großes, integres Gefühlstheater, das Gefühl fürs Theater vermittelt. Van Hove inszeniert präzise und scharf. Mit Elsie de Brauw hat er eine famose Myrtle, die agiler, kantiger und in vieler Hinsicht präsenter ist als die in sich verlorene Gena Rowlands des Originals und aus der Ferne ebenso besticht wie im Close-up. Das gewohnt knackige Team der Toneelgroep ergänzen u.a. Chris Nietvelt als die ihre narzisstische Kränkung tapfer überwindende Autorin und Fred Goessens als Produzent, der so naiv-harmoniesüchtig ist, dass er aus jeder Diskussion sofort vertrieben wird.

Wiens Premierenpublikum jubelte wie das im Film. In echt und zurecht. Auch wenn man aus einigen deplatzierten Lachern schließen kann, dass ein Teil der Freude dem amüsanten Klang der niederländischen Sprache galt.


Opening Night
nach John Cassavetes, Übersetzung ins Niederländische von Gerardjan Rijnders
Regie: Ivo van Hove, Bühne und Licht: Jan Versweyveld, Dramaturgie: Koen Tachelet, Kostüme: An d’Huys, Sound Design: Marc Meulemans, Video: Erik Lint, Kamera: Judith Hofland, Menke Visser.
Mit: Elsie de Brauw, Jacob Derwig, Oscar van Rompay, Lien de Graeve, Fedja van Huêt, Lien Wildemeersch, Fred Goessens, Marvin Chico Kenzari, Servé Hermans, Chris Nietvelt, Hélène Devos.

Koproduktion Toneelgroep Amsterdam, NT Gent
www.toneelgroepamsterdam.nl
www.ntgent.be

www.festwochen.at

 

Kritikenrundschau

"Die Show bleibt über weite Strecken hektisches Getriebe", findet Norbert Mayer in der Presse (26.5.2011). Van Hoves Dramatisirung könne mit Cassavetes Film nicht mithalten, "obwohl Elsie de Brauw als Myrtle von ihren Fähigkeiten her Rowlands ebenbürtig scheint". Durch die Simultaneität werde die verschachtelte Geschichte schwer durchschaubar: "In der Mitte wird geprobt, an den Rändern kommentiert, dazwischen agieren Techniker, und all das wird von zwei Kameraleuten ständig dokumentiert – ein irres Filmset auf der Bühne also. Wenn van Hove im Gegensatz zum Regisseur im Stück weiß, was er will, dann kann er uns nur eines signalisieren wollen: Theater ist der nackte Wahnsinn."

Ziemlich gelangweilt hat sich Margarete Affenzeller, wie sie im Standard (26.5.2011) schreibt. Aller (technische) Aufwand könne das Innerste des Filmstoffs nicht gänzlich freilegen: "Die Fassung van Hoves fokussiert weniger auf die sich im Alkoholkonsum niederschlagende Existenzkrise der Starschauspielerin Myrtle Gordon als vielmehr auf deren durch die betreffende Rolle akut werdendes Problem mit dem Älterwerden. Ein Thema, dessen Fatalität sich in den verschwommen-trunkenen Bildern Cassavetes schön abzeichnet, doch hier am Theater wirkt es banal." So bleibe am Ende vor allem das visuelle Grundkonzept zu bewundern, die verschachtelten Bildkompositionen aus Projektionen und Realität.

Mitreißend fand hingegen Hilde Haider-Pregler in der Wiener Zeitung (26.5.2011) den Abend:

"Van Hove bezieht die Zuschauer in diesen Theaterkosmos als nolens volens Mitspielende mit ein: Ein Teil von ihnen beobachtet das Geschehen von einer Tribüne auf der rechten Bühnenseite aus. Mitarbeiter der Truppe filmen nicht nur geschäftig die Bühnenhandlung, sondern richten ihre Kameras auch auf den Zuschauerraum. Die Live-Bilder laufen gleichzeitig – in Ausschnitten und Großaufnahmen – auf einem Monitor hoch oben am Bühnenportal ab." Wie selbstverständlich gingen dabei Proben- und Aufführungsszenen, künstlerische und private Diskussionen ineinander über.

Als "großartig" stuft auch Michaela Mottinger den Abend im Kurier (26.5.2011) ein: "Van Hove lässt die Grenzen zwischen Spiel und Spiel im Spiel zerfließen." Die Inszenierung balanciere am Rand der Überforderung, "mitunter sucht man 'live', was man auf der Videowall sieht." Dass van Hoves Hang zu Effekten dennoch nichts Voyeuristisches bekomme, sei ein Verdienst seiner Darsteller.

 
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