What is death? (Baby don't hurt me)

von Jan Fischer

Braunschweig, 19. August 2016. Den Anfang macht ein Beat, zwei Schläge, immer wieder, monoton, ein Herzschlag fast. Dann wird gestorben: Die drei Performerinnen Ilse Bendin, Stephanie Krah und Romy Weyrauch spielen berühmte Bühnentode. Büchners Marie aus Woyzeck wird erstochen, Maria Stuart geköpft, eine ganze kleine Armee an Shakespeare-Figuren massakriert. Und am Ende dieser bunten Todesparade liegt die 76jährige Bendin selbst auf der Bühne, zugedeckt mit einem weißen Tuch. "Wer war Ilse Bendin?", fragt Weyrauch, und gerade, als sie mit ihrer Grabrede in Fahrt kommt, steht Bendin wieder auf.

Johanna geht auf Johanna zu

Von da aus entspinnen sich Teile der Lebensgeschichte der 76jährigen Schauspielerin, die viele Jahre zum Ensemble des Eduard-von-Winterstein-Theater in Annaberg-Buchholz gehörte. Grob hangelt sich die Erzählung dabei am Verlust entlang, einerseits dem echten, wahren Tod, andererseits dem gespielten auf der Bühne. Bendin erzählt von der Beziehung zu ihrem Ehemann – ebenfalls Schauspieler – und wie sie noch einmal seine kalten Hände berührte, als er im Sarg lag. Krah und Weyrauch kleben mit Klebeband den Grundriss des Bühnenbildes von "Der Prozess der Jeanne d'Arc zu Rouen 1431" auf den Boden, in dem Bendin 1981 die Johanna spielte und stellen die finale Szene nach – die Hinrichtung auf dem Scheiterhaufen. Szenenfotos aus der Inszenierung werden auf eine Leinwand im Hintergrund projiziert. Es folgt eines der schönsten und bewegendsten Bilder des Abends, als Bendin auf das Bild ihres jungen Selbst zuläuft, beide Male als Johanna von Orleans – und am Ende des Weges mit ihrem eigenen Bild verschmilzt.

Das Verstreichen der Zeit

Immer wieder wird das Spiel mit Musik und Soundteppichen unterlegt, die Stephanie Krah für die Inszenierung konzipiert hat. Immer wieder mischt sich der Doppelherzschlagbeat darunter. Immer wieder werden auch Fotos und Dokumente aus Bendins Leben gezeigt. Krah und Weyrauch performen zurückhaltend. Im Zentrum der Aufmerksamkeit steht Bendin, die mit den großen Gesten einer alternden Schauspielerin der ganz alten Schule mal sich selbst spielt, mal sich selbst, wie sie eine Rolle spielt und mal sie selbst ist. Im Zentrum des Abends steht das Altern von Ilse Bendin, die zeitlebens von Bühnentoden und einigen nicht gespielten umgeben war. Und die Unausweichlichtkeit des Todes – vorgeführt am Verstreichen der Zeit in ihrem Leben.

Großes Thema

"Die Kunst zu sterben" ist die erste Regiearbeit von Michael McRae (Co-Regie: Romy Weyrauch) für die freie Theatergrupppe "theatrale subversion". Die Gruppe besteht seit 2003 und hat unter anderem die renommierte "Doppelpass"-Förderung erhalten. Mit "Die Kunst zu sterben" haben sich Regie und Gruppe das große Thema Tod aufgehalst, das aber wiederum  – klug ausgedacht – im Kleinen, am Beispiel nur eines Lebens, erzählt wird. Das Regieteam entscheidet sich dabei für eine bedächtig-behutsame Inszenierung. Alleine die mindestens fünfzehn Bühnentode am Anfang dauern ihre Zeit. In einer Szene tanzen die drei Performerinnen zu Pop-Beats, auch hier nicht nur ein bisschen, sondern eben eine komplette Songlänge lang. Die Geschichten, Worte, Sätze, Szenen, verlaufen an diesem Abend sehr behäbig und schwanken dabei zwischen Situationskomik und schwerem Pathos. Vor allem Ilse Bendin zieht die Pathosschublade gerne auf. Was allerdings dem Thema nicht unangemessen ist.

Stromlinienförmigkeit

Überhaupt ist Ilse Bendin als Expertin eine ausgezeichnete Wahl. Sie ist nicht nur eine resolute Frau, die aus einem bewegten, nicht immer einfachen Leben erzählen kann, sondern bildet mit ihrer Art zu spielen und zu sprechen einen schönen Kontrapunkt zum zurückgenommenen Spiel ihrer Partnerinnen und dem spartanischen Bühnenbild, das nur aus ein paar Tischen, Stühlen und Projekionsflächen besteht. Leider zerfranst – vielleicht gerade dadurch - "Die Kunst zu sterben" ein wenig an den Rändern. Denn oft vergisst die Inszenierung ihr Thema – Tod und Verlust – und wendet sich Bendin zu, die eine Geschichte aus ihrem Leben erzählt, die zwar faszinierend ist, aber dem Themenkomplex nichts zuzufügen hat, während andere Geschichten in den Hintergrund treten und nicht komplett auserzählt werden. Etwas mehr Stromlinienförmigkeit hätte dem Abend gut getan.

Letzendlich ist es trotzdem Ilse Bedin, die alles  trägt – problemlos. Mit ihren Geschichten mäandern Inszenierung und Bendin behutsam auf die Frage nach Bendins eigenen Tod zu, manchmal verlaufen sie sich dabei, aber es sind größtenteils spannende Umwege. Am Ende schafft "Die Kunst zu sterben" es fast, ihr Thema zu stemmen – was bei dem Thema Tod schon eine Leistung ist – und zeigt sich als kleine, feine Arbeit, die manchmal nicht weiß, wo sie hin will. Aber trotzdem ankommt.

 

Die Kunst zu sterben
von theatrale subversion,
Koproduktion: Societaetstheater Dresden
Konzept, Regie: Michael McCrae, Romy Weyrauch; Musik und Sound: Stephanie Krah.
Mit: Ilse Bendin, Romy Weyrauch, Stephanie Krah
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

www.lot-theater.de
www.theatrale-subversion.de

 

 

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