Schatten (Eurydike sagt) - Matthias Hartmann inszeniert im Wiener Akademietheater sein erstes Jelinek-Stück
Die Unterwelt als Über-Brettl
von Reinhard Kriechbaum
Wien, 17. Januar 2013. Mitkommen mit dem selbstverliebten Sänger, wieder einen Körper annehmen, wieder Frau eines von Groupies umschwirrten Monomanen sein müssen?
Bloß nicht! "Auf seinem Soundtrack eilt er dahin", der singende Halbgöttergatte, bis ins Schattenreich. Kleiner Abstecher in die Unterwelt, um das Ego zu befriedigen. Verzichten hat er nicht gelernt, auf eine Frau schon gar nicht. Bisher ist es ja meist um Orpheus gegangen, und keiner hat Eurydike ernsthaft gefragt, ob sie eigentlich zurück will mit ihm, zu ihm. Da hat erst Elfriede Jelinek kommen müssen. Die hat nach den vier Prinzessinnen-Dramen genügend einschlägige Erfahrung mit männerbezogenen Typinnen von Schneewittchen bis Lady Di. Eurydike passt bestens in die Reihe.
Es war ursprünglich ein Kontra-Text für eine Schauspielerin, für ein multi-künstlerisches Projekt in der Philharmonie Essen, mit Ballett und Oper (jener von Monteverdi). Dort wurde "Schatten (Eurydike sagt)" im Juni des Vorjahres durch Johanna Wokalek uraufgeführt. Nun hat Matthias Hartmann in Wien den ausufernden Fließtext als "Uraufführung der Theaterfassung" auf die Bühne des Akademietheaters gehievt.
Eurydike mal sieben plus eine
Er kommt nicht mit einer Eurydike aus, sondern verschleißt deren sieben. Ältere und jüngere, markantere und weniger auffällige. Die meisten mainstream-blond, aber auch zwei Rotschöpfe darunter. Eine der Frauen ist umgeben von Einkaufstüten, in denen sie bisher aus Boutiquen eine Kleiderkreation nach der anderen heim getragen hat. Es steht aber nicht der Name der Designer-Marke auf dem Papier, sondern das Wort "Angst" in vielen Sprachen. Eine andere macht auf pausbäckiges Püppchen. Auf dem Laufband hält sie sich fit und macht schon was her im Babydoll. So hat eine jede ihre Macken, wie sie uns schon dann und wann untergekommen sind in der Damenwelt.
Und dann ist da noch eine: Die Dichterin selbst. Der junge Kabarettist, Schau- und Puppenspieler Nikolaus Habjan leiht der Elfriede Jelinek als lebensgroße Puppen-Büste einen Arm und seine Stimme. Eurydike hat es (gleich am Anfang erfahren wir das) im echten Leben nämlich nicht nur mit Ehefrau-Sein, sondern auch mit Dichten versucht. Das ist aber nichts geworden neben dem übermächtigen Pop-Barden. Jetzt blättert die Jelinek-Puppe mit markanter Physiognomie und strenger schwarz gerandeter Brille in ihrem Manuskript, als Mittlerin an der Bühnenrampe zwischen dem hektischen Schwarm der sieben Eurydiken, dem Schnulzen singenden Orpheus hinten auf seiner Showtreppe und dem Publikum. Sie ist ironische Begleiterin des Spektakels und Stichwortbringerin. Matthias Hartmann hat nämlich messerscharf erkannt: In diesem Text mit starker theatraler Option gibt die Dichterin nicht wenig von sich selbst preis.
Hartmanniade statt Jelinek-Fluss
Gibt sie aber wirklich das preis, was der Regisseur und Burgtheaterdirektor herausliest? Dankenswerterweise ist der Text im Programmheft vollständig abgedruckt, und da sieht man auf den ersten Blick, dass Hartmann heftigst gestrichen hat. Das ist legitim und notwendig. Hartmann hat es aber sehr nach eigenem Gutdünken getan. Der Text offenbart beim Lesen einen ruhigen, fast lyrischen Fluss.
Wir aber erleben anderthalb Stunden aufgedreht-popiges Theater im vermeintlichen Reich der huschenden Schatten. Die reden auf der Bühne oft von ihrem Verschwinden, ihrem Aufgehen im Nichts, vom Ausrinnen, vom Verlust der Bodenhaftung: "Das ist alles längst abgegeben, das Ich, ohne dass wir eine Garderobenmarke dafür bekommen hätten ... Wir werden keine unentdeckten Tiefen mehr in uns entdecken, weil wir Tiefe nicht mehr haben ... Wir sind flach, endlich flach, zusammengelegt, zerknüllt, weggeworfen, ausgestreckt, in die Länge gezogen, alles eins."
Dafür führen sie sich recht deftig auf, all die Eurydikes, auch wenn Kostümbildnerin Tina Kloempken alle Gewandkreationen in stilvollem Schwarz gehalten hat. Hartmann aber stößt mit der ihm eigenen Theaterpranke seine Darstellerinnen von einer Kabarettnummer in die andere. Die Unterwelt als Über-Brettl.
Freudscher Holzhammer
Nicht, dass es da nicht genug zum Lachen gäbe. Aber die Pointen der Jelinek träfen mit feinerem Stich. Jelinek äußert beileibe nicht nur Kritik am Mann, sondern es steckt auch viel leiser Selbsthass in der dick angerührten Satzbrühe. Der tut beim Lesen viel mehr weh als in der Bühnen-Verquicklebendigung, bei der die Frauen rasch in unverbindliche Stereotypen abgleiten. Es ist ja nicht so, dass all die Eurydiken ihre menschlichen Schwächen und Defizite mit dem Schlangenbiss ablegen. Das schnöde Fleischliche nagt noch länger in ihnen, es gibt Parteienbildungen im unterwelts-verschattenden Weibervolk. Dass das Aufgehen in begierdeloser Entkörperung ein anzustrebender Zustand sei, setzt sich als Common sense erst allmählich durch. Das könnte man wesentlich dichter, hintergründiger herausarbeiten als mit grellen Knallchargen.
Zwischentöne sind keine Eigenheit dieser Bühnenarbeit. Oft wird psychoanalytisch ausgeholt, das zelebriert die Jelinek ausgiebig. Dann pickt sich eine der Blondinen einen Bart um, setzt eine runde Brille auf und sieht Sigmund Freud wirklich ziemlich ähnlich. Sie hat einen Riesenhammer in Händen und schlägt damit auf ein TV-Gerät, in dem sogleich ein Achtung-Schild mit Porträt oder Schriftzug Freuds aufblitzt. Oder das Höllenfeuer als Atomblitz. Die Psychoanalytik-Keule ironisiert Matthias Hartmann mit dem sprichwörtlichen Holzhammerhumor.
Schatten sollten Körper werden
Wer Kabarett mag wird gut bedient von Elisabeth Augustin, Brigitta Furgler, Sabine Haupt, Alexandra Henkel, Katharina Lorenz, Christiane von Poelnitz, Yohanna Schwertfeger. Eine jede schiebt irgendwann einmal eine starke Nummer. Gemeinsam ziehen sie, in der Unterwelt erst mal heimisch geworden, in Richtung Bühnenkantine (das wird als Video übertragen), aber vor dem singenden Orpheus – Lucas Gregorowicz über weite Strecken im gülden funkelnden Barden-Outfit – gibt es auch dort kein Entrinnen. Die Panik der Schatten ist groß. Bloß nicht wieder Körper werden müssen! "Schatten sollten Körper werfen", heißt es einmal, aber so leicht tut man sich als ungefragte jenseitige Frau auch mit solchen Wundern nicht. Was hintersinnige Pointe ist, wird an dem Abend rasch Kalauer. Das hat das Premierenpublikum, scheint's, kaum gestört. Viel Begeisterung am Schluss.
Schatten (Eurydike sagt)
von Elfriede Jelinek
Regie: Matthias Hartmann, Bühne: Johannes Schütz, Kostüme: Tina Kloempken, Musik: Karsten Riedel, Lucas Gregorowicz, Licht: Peter Bandl, Dramaturgie: Amely Joana Haag.
Mit: Elisabeth Augustin, Brigitta Furgler, Sabine Haupt, Alexandra Henkel, Katharina Lorenz, Christiane von Poelnitz, Yohanna Schwertfeger, Lucas Gregorowicz und Nikolaus Habjan (Puppenspieler).
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause
www.burgtheater.at
Kritikenrundschau
Ulrich Fischer sagte in der Premierennacht in "Fazit" auf Deutschlandradio Kultur (17.1.2012, laut dem podcast der Sendung): der Hades sehe "ziemlich abstrakt" aus in der Akademie, das "Wichtigste" sei eine Show-Treppe für den "ziemlich heruntergekommenen" Sänger Orpheus, einen Kerl von heute. Jelinek berichtige die "alte Sage" und zwar ziemlich komisch. Die Frau und die Liebe sei Orpheus nicht wichtig, nur sein Ruf, dass er die Götter "umdrehen könne". Der Puppenspieler mit der Jelinek-Puppe sei eine ganz tolle Idee von Hartmann, die ganze Geschichte sei eine Farce. Die Damen spielten verschiedene Aspekte der Eurydike, die Konsumidiotin, die Psychoanalytikerin, eine Vielfalt von Frauen, die sich in ihr wiedererkennen können.
Es gibt schon eine kurze Nachtkritik in der Wiener Zeitung Der Standard, die Ronald Pohl anderthalb Stunden nach Premierenende (17.1.2013, 22:44 Uhr) online gestellt hat. Er schreibt: Als "begehbare Installation mit wechselnden Sprechern" sei der Abend "ebenso sinnfällig wie leider absolut blutleer". Das Texttheater der Elfriede Jelinek bedürfe "heftiger Erschütterungen von außen". Doch Hartmann lasse den Text "gut gelaunt exekutieren". Das schlüge keine Funken, "das erweckt falsches Einverständnis". Eurydikes "skandalöser Wunsch" nach Vergessen und Vergehen werde zu "Virtuosinnenfutter kleingeredet und -geschrotet".
Tags darauf legt Ronald Pohl im Standard (online 18.1.2013) nach: Es gebe nichts, was man Hartmanns "arg bemühten, brav gedachten und keck bebilderten Inszenierung ernstlich zum Vorwurf machen könnte". "Sie verhält sich zu den großen Jelinek-Unternehmungen von Einar Schleef, Jossi Wieler oder Nicolas Stemann – to name a few – wie ein schnittiger Sportwagennachbau. Sie ist erschreckend harmlos." Jelineks Texte werde "in Fingerhüte umgegossen". Einzig der "zündenden" Christiane von Poelnitz gelinge es, "Hartmanns Inszenierung minutenlang unter Strom zu setzen".
Einem "reichhaltigen, 90-minütigen, atemlosen Spektakel" folgte Norbert Mayer von der Presse (online 18.1.2013) im Burgtheater. Eurydike werde "von sieben Frauen komplex dargestellt, die ihren Monolog über Phobien, Einsamkeit, Sex, Verachtung und ein bisschen Liebe abspielen. Was für ein Glück, solch ein Septett an Darstellerinnen zur Verfügung zu haben." Noch aus dem "Chor der Kreischenden" gehe "neuer Reiz aus Jelineks Tiraden vor". Hartmann sorge "zwanghaft dafür, dass die Bilderflut nie versiegt. Er übertreibt schamlos. Denn oft würde es einfach genügen, Brigitta Furglers tieftrauriger Stimme und der reinen Poesie zu lauschen, oder der subtilen Kunst von Elisabeth Augustin, die mit Blindenbrille durchs Dunkle tappt, um das Schicksal der Verlassenen auf den Punkt zu bringen."
"Von Dramaturgin Amely Joana Haag klug verdichtet, münden die sarkastischen Textkaskaden" von Elfriede Jelinek "in ein Hysterienspiel von Deutungen und Häutungen", schreibt Michael Tschida in der Kleinen Zeitung (online 18.1.2013). Hartmann lasse "eine schrille, viele Lacher gestattende Revue über die Bühne gehen". Aber der Abend sei nicht nur auf Entertainment angelegt. Die Inszenierung "weiß die tumultuarischen Bilder auch ernst zu brechen: Da liest Christiane von Poelnitz, neben Katharina Lorenz und Brigitta Furgler herausragend, Passagen pur als Dacapo. Dort lotet am Ende quasi ein Textabspann den Tiefgang in Jelineks Furor und ihre Intention aus: Wenn es einen Mythos zu zerstören gilt, dann den: Die Frau ist das Problem. Der Mann ist die (Er)Lösung."
Als Ereignis in einer "an Höhepunkten eher armen Spielzeit an Burg- und Akademietheater" nimmt Martin Lhotzky diesen Abend in der Neuen Zürcher Zeitung (19.1.2013) wahr. "Bei seinem ersten Versuch mit einer Vorlage der Nobelpreisträgerin stürzt sich Hartmann gleich darauf, die teilweise wüsten Assoziationsketten zu sezieren: erstaunlich schiefe Bilder, die wie im klassischen Sketch von Loriot aber stets tiefere Wahrheiten freilegen; und, auch sie gehören immer dazu, Banalitäten und Obszönitäten." Man werde in dieser Inszenierung zum Mitfühlen mit Eurydike geführt und das sei "einfach bezaubernd".
In der Frankfurter Rundschau (19.1.2013) schreibt Stephan Hilpold: Jelinek habe ein "kalauerndes, abschweifendes, theoretisierendes, hyperventilierendes Textungetüm" geschaffen, Hartmann habe das Ganze "für seine Zwecke zurechtgebogen". "Aus einer sich windenden, sich permanent selbst in Frage stellenden Textfläche, macht er einen pointensicheren, selbstzufriedenen Schlagabtausch ..." - "Eintönig" sei die Theaterfassung, die der Regisseur erstellt habe. Was sich quer legen könnte, das wird großräumig umschifft. "So vergnüglich die Jelineksche Selbstauslöschungsmaschinerie auch vor sich hin schnurrt: So klein ist sie an diesem Abend gedacht."
Hartmann orientiere sich bei seiner ersten Jelinek-Inszenierung "an den prägenden Jelinek-Regisseuren der letzten Jahre, an Nicolas Stemann und Karin Beier", schreibt Peter Kümmel in der Zeit (24.1.2013). "Das bedeutet: Verteilung des Textes auf mehrere (hier: auf sieben) Darstellerinnen, offener Anfang des Spiels, Unübersichtlichkeit, Effekte, die einander wie die Gebote auf dem Parkett einer Börse übertreffen und unterlaufen, symbolische Anwesenheit und rituelle Verspottung der weltberühmten Autorin auf der Bühne". Allerdings mache es Hartmann sich und uns in dem Unheil, das Jelinek schildere, eher gemütlich: "Seine Inszenierung hat das Aufgekratzte, Glanzvolle einer Boutiqueneröffnung in einem ehemaligen Problemviertel: Von hier geht keine Gefahr mehr aus. Es herrscht darin eine Leere, wie sie Jelinek aller Unterhaltung unterstellt."
Matthias Hartmann mache Zampano-Theater. "Das heißt, er vertieft sich nicht ins schwarze Loch der Trübsal, arbeitet nicht die vielen Anspielungen im Text auf Ovid und die diversen Weiterverarbeitungen des Mythos heraus, es sei denn, sie taugen für einen Witz", schreibt Egbert Tholl in der Süddeutschen Zeitung (29.1.2013). Zwei Aspekte würden Hartmann an Jelineks Text besonders interessieren: "des Sängers Groupies und Mode - alles, was zur Farce taugt". Eineinhalb Stunden brauche Hartmann für sein Turbounterhaltungstheater, das die Oberfläche von Jelineks Text sehr gut treffe. Doch ganz am Ende scheine Hartmann zu spüren, dass das doch alles nicht so lustig ist, was Jelinek da aufgeschrieben hat, "doch da hat er keine Mittel mehr".
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Komplette Kritik: http://stagescreen.wordpress.com/2013/06/14/lost-in-groupieland/
Genau. Wenn ich kein Gespür für den Text habe, streiche ich die Hälfte und haue den Rest mit dem Ironiehammer platt. Wird in jedem Fall ein toller, bunter Abend. Passt scho!