Bunbury - Burgtheater Wien
Im Spaß-Stau
von Theresa Luise Gindlstrasser
Wien, 23. Mai 2021. Miss Prism macht ihrem Namen alle Ehre. Lichtbrechung kann die locker, immerhin schafft sie es auch, aus einem Text einen Menschen zu machen oder jedenfalls das eine mit dem anderen zu vertauschen. Dann liegt ihr dreibändiger Roman im Kinderwagen und anstatt dessen Baby Jack aka Earnest John in der Handtasche – und Oscar Wildes "The Importance of Being Earnest" kann sich daran machen, dieser Dispersion von Sinn auf die Schliche zu kommen. Für das Akademietheater versucht's Regisseur Antonio Latella und lässt keinerlei Zweifel aufkommen, dass zwar oft die Rede von "Ernst", aber alles unernst ist, eine bloße Spielerei.
Herzeigen der eigenen Gemachtheit
Insofern bleibt das Licht im Publikum an und die Bühne leer. Und wenn Bühnenbildnerin Annelisa Zaccheria doch mal eine überdimensionale Rose aus dem Boden wachsen lässt, dann bestätigt die Geste die Künstlichkeit der theatralen Situation: Es ist ein Abend, der sich die meiste Zeit mit dem Herzeigen der eigenen Gemachtheit aufhält. So sind die Orte der Handlung auf Tafeln auf einem Notenständer markiert und wenn Florian Teichtmeister als Jack zu Besuch bei Tim Werths als Algernon seine vielen Handschuhe nicht schnell genug auszieht, dann wird die Regieanweisung von Marcel Heupermann unfreundlicher, immer unfreundlicher vorgelesen.
Bei diesem Besuch im ersten Akt fachsimpeln Jack und Algernon übers "Bunburysieren", also das Erfinden von zu besuchenden Personen, um wahlweise aufs Land oder in die Stadt, aber jedenfalls ins Vergnügen flüchten zu können. Auftritt Lady Bracknell und Jacks love interest Gwendolen! Bei Latella gleich fünf Mal. Also Auftritt, Auftritt, etcetera. Es dauert an diesem lang dauernden Abend alles ewig, ein bisschen unmotivierter Klamauk an der Ballettstange hier, ein bisschen unmotivierter Klamauk aus der Unterbühne da. Vor lauter Trödelei und Blödelei kommt die Komödie nicht von der Stelle, irgendwann fahren ferngesteuerte Ratten im Kreis herum.
Alle Register gleichzeitig
Schauspielerisch zieht das Ensemble alle Register, alle gleichzeitig! Regina Fritsch lässt ihre Lady Bracknell zwischen himmelhoch-jauchzend und zu-Tode-betrübt ungefähr alles aufführen, Mavie Hörbiger hält sich die Rolle der Gwendolen mit ironischem Desinteresse auf Distanz und Werths spricht mit sich überschlagender Stimme in den wippenden Showgirl-Fuß von Andrea Wenzl hinein, aja, Algernon und Cecily, da hat es auch sowas wie love. Und am Ende? Darf das Publikum von Tafeln ablesen: "zum ersten Mal in meinem Leben klargeworden, wie entscheidend wichtig es ist, ernst zu sein".
Dass die Inszenierung so sehr auf Vergnügen, auf Show baut, dem Aberwitz des Textes inszenatorische Entscheidungen aus dem Nichts drauf setzt, das macht zwar Sinn, aber weil sich der Unernst von keinem Ernst absetzen kann, macht es vor allem müd. Dabei wäre, basierend auf den Verzwillichungs-Kostümen für die beiden Pärchen von Graziella Pepe, vielleicht doch ein bisschen seriöses Nachdenken über prismatische Verhältnisse drin gewesen. War aber nicht. Andererseits: Die schauspielerischen Mätzchen machen mitunter Freude, was sag ich, sind großes Theater.
Zum Beispiel: Spielt Mehmet Ateşçi̇ die heimliche Hauptrolle Miss Prism als gelte es nachzuholen, was alles nicht gespielt werden konnte an den so und so vielen, viel zu vielen Lockdown Abenden. Ihre circa drei Minuten of fame am Ende des Stücks kostet diese Prism aus bis daraus 15 werden. Ateşçi̇ wirft sich von einem Scheinwerferkegel in den nächsten, hinter ihm ein Kasten mit Aufschrift "Handtasche", sackt in Ohnmacht vor überwältigender Überraschung, diesen ganzen Unernst überhaupt in Gang gesetzt zu haben, nur um sich sogleich wieder aufzurichten, weil das Spiel ja weitergehen soll. Spiel macht Spaß! Nämlich im Ernst.
Bunbury
von Oscar Wilde, Deutsch von Rainer Kohlmayer
Regie: Antonio Latella, Bühne: Annelisa Zaccheria, Kostüme: Graziella Pepe, Musik: Franco Visioli, Choreographie: Francesco Manetti, Videodesign: Lucio Fiorentino, Licht: Marcus Loran, Dramaturgie: Federico Bellini / Andreas Karlaganis.
Mit: Florian Teichtmeister, Tim Werths, Max Gindorff, Marcel Heuperman, Regina Fritsch, Mavie Hörbiger, Andrea Wenzl, Mehmet Ateşçi̇.
Premiere am 24. Mai 2021
Dauer: 2 Stunden 45 Minuten, eine Pause
www.burgtheater.at
Natürlich müsse man Oscar Wilde für seine Kulinarik ins Herz schließen, schreib Ronald Pohl in der Wiener Tageszeitung Der Standard (25. 5. 2021) "Die angeblich gute Gesellschaft rächte sich an ihm, der ein sexuelles Doppelleben führte, bekanntlich mit sozialer Ächtung. Hatte er ihr doch vorgeführt, dass er den besseren Geschmack besaß. Latella hingegen hat Bunbury jetzt in eine Theater-Mortadella verwandelt. Das bedeutet: Von Wildes Witz können sich acht wundervolle Schauspielerinnen und Schauspieler jeweils eine Scheibe abschneiden. Diese dürfen sie hernach so lange drehen und wenden, bis alle schmutzige Finger haben und sonst mit leeren Händen dastehen." Pohls Fazit: "Kein Wilde, kein Witz. Nur lauter furchtbar ungeschlachte Komödiendilettanten."
"Sie alle buhlen hier um Aufmerksamkeit, spielen gern alles drei Nummern zu groß. Das passt in gewisser Weise zur Programmatik des Autors, auch wenn dessen Stück dabei doch an vielen Stellen zerfasert. Wilde erhob die Entfaltung der eigenen Persönlichkeit zum Ziel des Menschen, dem Dandy ging es um Individualität. Latellas Inszenierung bringt, so schrill sie auch mitunter daherkommt, ein wenig von jener Tragik auf die Bühne, die diese Maxime in sich trägt. Denn Individualität, als der Auftritt des Eigenen, kommt hier nur im Modus des Gesehen-Werdens vor“, schreibt Michael Wolf im ND (26.5.2021). "Wenn das Eigene aber nur durch den Blick der anderen zum Ausdruck kommt, ist jede Individualität immer schon fremdbestimmt. Dann gibt es nichts im Kern eines Menschen außer dem Wunsch nach Anerkennung einer leeren Hülle."
Martin Lhotzky von der FAZ (26.5.2021) bezeichnet die Arbeit als Tiefpunkt dieses ersten Wiener Premierenreigens nach Corona. Als Bühnenbild reichten zwei Theatersitze am Bühnenrand, eine tragbare Ballettstange, eventuell eine Bodenluke, "und den Rest kann sich das Publikum ja wohl selbst vorstellen!" Und weiter: "Text ist letztendlich auch nicht so wichtig, man kann ja die Schauspielerinnen und Schauspieler anweisen, einzelne Sequenzen drei- bis fünfmal in jeweils gesteigerter Lautstärke zu wiederholen." Warum sich dies das Ensemble gefallen lasse, bleibe den ganzen, "überlangen" Abend rätselhaft.
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