Luziwuzi - Rabenhof Theater Wien
Ein Star am Hof
16. Februar 2024. Erzherzog Ludwig Victor, jüngster Bruder des Habsburger-Kaisers Franz Joseph, also known as Luziwuzi: Wegen seiner (nicht offen gelebten) Homosexualität wurde er vom Hof verbannt und ist heute eine queere Kultfigur. Am Rabenhof Theater wird er nun verkörpert von Tom Neuwirth, also known as Conchita Wurst.
Von Martin Thomas Pesl
16. Februar 2024. Zehn Jahre ist es jetzt bald her, dass Tom Neuwirth alias Conchita Wurst für Österreich den Eurovision Song Contest gewann, die Diva im Abendkleid, aber eben auch mit dem schwarzen Vollbart. Rückblickend wirkt es, als hätte an diesem Tag die Gesellschaft begonnen, über Geschlechter als etwas Komplexes nachzudenken. Im Jahr darauf inszenierte sich Wien mit dem Song Contest als queere Hauptstadt Europas.
Und Conchita Wurst? Ist seither mal als Conchita, mal als WURST aufgetreten, hat gesungen und moderiert, war Aushängeschild für Offenheit. Jetzt versucht es der 1988 geborene Künstler mit Schauspiel und verschafft damit dem Wiener Rabenhof einen sicheren Hit. Dabei ist die in einem Gemeindebau (also sozialen Wohnbau) angesiedelte Bühne sowieso erfolgsverwöhnt. Ein Mix aus Kabarett, Literatur und poppigem Kindertheater umrahmt hier eigenwillige Theaterprojekte, die sich aus den Kernelementen Urwiener Unterhaltung zusammensetzen. Stefanie Sargnagel wurde hier mit Voodoo Jürgens gepaart, die Band Kreisky mit Handke und Sibylle Berg.
Kaiserliche Kultfigur
Der Unterschied bei "Luziwuzi – Ich bin die Kaiserin": Tom Neuwirth ist explizit nicht als Musik-Act "dazugebucht" – Komposition, Arrangements und multiinstrumentelle Live-Musik besorgt Kyrre Kvam –, er spielt die Titelrolle. Mehr noch: Kaum wagt es Klein-Luzi, bei der Gedichtrezitation für Muttern die Stimme zum Gesang entgleiten zu lassen, zieht ihm die strenge Erzieherin eins über. Etikette sei das Wichtigste bei Hofe, heißt es von Anfang an. Sogar weibliche Tiere seien vor lauter Anständigkeit aus dem Zoo zu entfernen.
Das hatten sie dann davon. Luziwuzi war ein Spitzname von Erzherzog Ludwig Victor, dem jüngsten Bruder des Habsburger-Kaisers Franz Joseph. Historisch unbedeutend, gilt er in der queeren Szene heute als Kultfigur. Er lebte seine Homosexualität nicht offiziell, aber offen aus und galt als wichtiger Kulturförderer. Da er seine Tagebücher verbrannte, gibt es lediglich Zeugnisse anderer über ihn – von Leuten, die ihn nicht mochten.
Verbannung nach Salzburg
Für ihre biografische Szenenfolge konnten Regisseurin Ruth Brauer-Kvam und Rabenhof-Dramaturg Fabian Pfleger also ihre Fantasie spielen lassen. Allzu weit von Belegbarem wollten sie sich aber wohl nicht entfernen, was zur Folge hat, dass die Geschichte vom exzentrischen Adeligen über weite Strecken nicht besonders exzentrisch ist, eher ein bisschen fad. Luzi hat seine Mama lieb, findet Schwägerin Sisi schön, zerreißt sich über andere gern das Maul und lehnt die von seinen Brüdern nach dem Motto "Tu felix Austria nube" an ihn herangetragenen Verheiratungspläne ab. Seine Strafe, als Eskapaden an die Öffentlichkeit kommen: Er wird nach Salzburg verbannt. Huch! An Exzesse eines Ludwig II. oder Caligula kommt Luziwuzi nicht heran.
Sogar als es gegen Ende endlich hot wird – man sichtet Luzi in der Badeanstalt beim Liebesspiel mit einem jungen Mann –, entlockt das dem grandios gelangweilten Kaiser gerade mal ein gequältes Seufzen. Florian Carove spielt ihn souverän ebenso wie alle anderen wichtigen Hoheiten. Routinierte Komiker sind auch Gerhard Kasal und Sebastian Wendelin, die sich, schamlos tief in überzogene Dialekte und polternden Humor ("Fick-tor") eintauchend, die übrigen Rollen teilen.
Erfüllung der Fan-Träume
Wie bei höfischen Aufführungen sind nur Männer auf der Bühne. In Vorausschau auf den großen Badeskandal tragen sie als Grundausstattung altmodische Schwimmanzüge und Strumpfhalter, darüber kommen je nach Bedarf ausladende Reifröcke, Schleier, Kaiseruniformen (aber nur die Jacke!), im Falle Sisis sogar eine 360°-Langhaarperücke mit Horrorfilmcharme – all dies zur Erheiterung des gut gelaunten Premierenpublikums, das sich auch von Kvams teils düsterem Soundtrack nicht beirren lässt.
Gekommen sind eh alle nur, um die Antwort auf eine Frage zu erfahren: Kann Tom Neuwirth schauspielern? Sie lautet: Durchaus, verstecken braucht er sich nicht. Im Ausführen von Regieanweisungen ist er wahrscheinlich sogar disziplinierter als seine ungestümen Profikollegen, die keinerlei Anstalten machen, sich zugunsten des Gaststars zurückzuhalten. Da ist nix mit "Die anderen spielen den König".
Dann aber erfüllen sich unverhofft alle Fan-Träume, kurz bevor am Schluss die Moral dieser nie so ganz ihren Rhythmus findenden Historienposse (strenge Normen sind böse) nochmal ausgesprochen wird: Da gibt in einem fetzigen Arrangement der "Fledermaus" Luzi die Rosalinde, sein Liebhaber den Eisenstein. Der Bart, das Kleid, die hohen Töne – das Publikum hat seinen aus der Asche gestiegenen Phoenix und jubelt.
Luziwuzi – Ich bin die Kaiserin
von Ruth Brauer-Kvam und Fabian Pfleger
Regie: Ruth Brauer-Kvam, Bühne: Michaela Mandel, Kostüme: Alfred Mayerhofer, Choreografie: Lukas Strasser, Musik: Kyrre Kvam.
Mit: Florian Carove, Gerhard Kasal, Kyrre Kvam, Tom Neuwirth, Sebastian Wendelin.
Premiere am 15. Februar 2024
Dauer: 1 Stunde 40 Minuten, keine Pause
www.rabenhoftheater.com
Kritikenrundschau
Von einer von einer schillernden, komischen und zwischendurch auch melancholischen Revue spricht Katrin Nussmayr in der Wiener Tageszeitung Die Presse (16.2.2024). In den komischsten Momenten ist 'Luziwuzi' aus ihrer Sicht ein Lustspiel, "erfüllt von Slapstick und queerer Extravaganz". "Wie die allesamt männlichen Darsteller (Florian Carove, Gerhard Kasal, Sebastian Wendelin) in die verschiedensten Rollen schlüpfen (etwa auch Kaiserin Sisi, die vor allem aus Haaren besteht) und dabei exaltiertes Schönbrunner Deutsch mit lustvoller Aufgedonnertheit verquicken", findet die Kritkerin "bemerkenswert". Insbesondere Tom Neuwirth spiele in der Titelrolle seine Stärken voll aus, "das Theatralische lag ihm ja schon als Conchita Wurst bestens."
"Die Darstellenden verstehen es meisterhaft, Emotionen und den Facettenreichtum der Sprache einzufangen“, schreibt Patricia Kornfeld vom Standard (19.2.2023). Tom Neuwirth koppele Dramatik und Komik mit gewohnt ergreifendem Gesang, das fehlende Schauspielstudium vermisse dabei niemand. Der Abend sei eine "prunkvolle Habsburger-Komödie mit politischer Message".
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