Der Allmächtige Baumeister aller Welten - Gintersdorfer/Klaßen feiern am Schauspielhaus Hamburg Tanz-Rituale zur Befragung von Geheimgesellschaften
Fit wie die Freimaurer
von Katrin Ullmann
Hamburg, 17. Februar 2017. "Glaubt Ihr wirklich, dass das alles einfach Zufall ist?" Eric Parfait Francis Taregue ist sich sicher: Die Welt steht unter dem Einfluss von Geheimgesellschaften. Zu 100 Prozent. Und diese wiederum stehen unter dem Einfluss des Bösen.
Eric Parfait Francis Taregue alias SKelly ist einer der Darsteller in "Der Allmächtige Baumeister aller Welten", dem jüngsten Stück von Monika Gintersdorfer und Knut Klaßen. Und der durch und durch spirituelle, ivorische Perfomer ist, so kann man im Programmheft lesen, auch einer der Gründe für dieses Projekt: ein – so lautet der Untertitel – "spekulatives Stück über die Macht der Geheimgesellschaften". Es ist ein Stück über Rituale und Codes, über Freimaurer, Rosenkreuzer, animistische Kulte, ihre Rätsel und ihre Gemeinsamkeiten.
Ritual mit Knoblauch und Babypuder
Gleich zu Beginn des Abends vollführt SKelly ein so sonderbares wie faszinierendes Ritual: Er geht im Kreis, zerdrückt Knoblauch in seinen Händen, verteilt ihn im Raum, stößt spuckende Zischlaute aus und streut anschließend verschwenderische Mengen Babypuder über sich und den Lauch. Er vollzieht das mit großer Ernsthaftigkeit. Gebannt versucht man, die Bedeutung zu dechiffrieren. Ist das ein tatsächlich seriöses, vielleicht sogar weihendes Ritual oder bereits überzeichnetes Klischee, und umso trickreicheres Spiel mit der Erwartungshaltung der Zuschauer? "Diese Szene wird nicht erklärt, so lange die Freimaurer ihre Rituale nicht erklären", kommentiert SKelly selbstbewusst schmunzelnd seinen Auftritt.
Geheimnisvoll gelenkig: Franck Edmond Yao alias Gadoukou la Star. Im Hintergrund: Anne Müller, Gala Othero Winter und Jonas Hien © Knut Klaßen
Und schon ist man mittendrin. Im Dialog, manchmal auch im Gefecht zwischen westlichen Zeremonien und fernen Kulten. In den Überlegungen und Annäherungen, die die Performancegruppe zwei Stunden lang diskutieren und zelebrieren wird. Da werden – allein schon im Titel – die Grundlagen der Freimaurerei angerissen, da wird vom "Tempel der Humanität" erzählt, vom verbindlichen Händedruck der Brüder und von den Ordnungsgraden der Logen. Auch um gleich anschließend eine "Franck-Freimaurerei" zu gründen, die der Performer Franck Edmond Yao mit Vorträgen zur Unterhose als "Stelle des Lebens" untermauert, dann intensiv den wahren eigenen Geruch beschwört, um schließlich seinen Mit-Darsteller Jonas Hien mit einer bizarren Zitronenritual in seiner Loge aufzunehmen. Dazu zucken die Scheinwerfer, ertönen mal Trommeln, mal Flöten, mal Marimba-Klänge.
Das Geheimnis des Kölner Kreuzrippengewölbes
Rein atmosphärisch hat das was. Auch Anne Müllers trockener Vortrag über das Kreuzrippengewölbe des Kölner Doms und die Geburt der Rationalisierung oder Hauke Heumanns Auftritte mit Klingelhandschuh und Fünffach-Zylinder (herrliche Afro-Patchwork-Kostüme von Knut Klaßen und Marc Aschenbrenner). Außerdem hört man von echten Begegnungen, vom Email-Austausch, vom Probenbesuch der Freimaurer – "sie waren echt nett, sie waren cool" – und vom Gegenbesuch der Performer in einer Freimaurerloge – "Ich dachte, das Gebäude sei ein chinesisches Restaurant."
Eine Weile lang sieht man gerne zu bei dieser Suche nach Geheimnissen und Geheimbünden, bei dieser absichtlich offen gelegten Recherche. Und bei dem launigen Wechsel zwischen Ernst und Ironie, zwischen Mystik und Theorie, zwischen Tanz und Vortrag, zwischen Französisch und Deutsch.
Im Afro-Patchwork-Kostüm: Anne Müller. Im Hintergrund: Jan-Peter Kampwirth und Jonas Hien © Knut Klaßen
Doch bei allen auftauchenden Parallelen zwischen Ritualen hier und dort, zwischen Glauben und Aberglauben, zwischen Kreuz und Zirkel, zwischen teuflischen Geistern und elitärer Gemeinschaft: Die von Gintersdorfer/Klaßen breit ausgelegten Fäden finden am Ende nicht zusammen. Im Gegenteil. Da wird noch Alain Badiou zur ewigen Adoleszenz zitiert und von teuflischer DNA gesprochen, da wird über den Symbolkosmos von Musikvideos monologisiert und ein Zusammenhang zwischen tänzelndem Hüftspiel und Pfingstkirchen hergestellt. So amüsant der Abend streckenweise ist, so charmant seine Darsteller performen, so artistisch sie tanzen und so geschickt sie Klischees bedienen: Eine Dringlichkeit, einen Mehrwert oder eine auch nur annähernd hypnotische Wirkung hat er nicht.
Der Allmächtige Baumeister aller Welten
Ein spekulatives Stück über die Macht der Geheimgesellschaften
von Gintersdorfer/Klaßen
Regie: Monika Gintersdorfer, Bühne: Knut Klaßen, Kostüme: Knut Klaßen, Marc Aschenbrenner, Ton und Video: Katja Haase, Boris Preuschmann, Licht: Björn Salzer, Dramaturgie: Sybille Meier.
Mit: Gotta Depri, Hauke Heumann, Jonas Hien, Jan-Peter Kampwirth, Anne Müller, Eric P. F. Taregue, Gala Othero Winter, Franck Edmond Yao.
Dauer: 2 Stunden, keine Pause
www.schauspielhaus.de
"Das meiste bleibt, um es vorweg zu nehmen, Spekulation, gegossen in Tanztheaterrituale, gewürzt mit einer Prise Hokuspokus", schreibt Annette Stiekele im Hamburger Abendblatt (20.2.2017). In der zweiten Stunde laufe sich der Abend warm. "Die Impulse von Gintersdorfer/Klaßen, deren Wurzeln in der Freien Szene liegen, tun dem Schauspielhaus gut, auch wenn die Vermengung beider Welten hier sicher noch etwas Zeit braucht." Klaßen und Marc Aschenbrenner hätten interessante afrikanisch inspirierte Universalkostüme kreiert.
"Die Schauspieler vom Ensemble des Schauspielhauses wirken teilweise uninspiriert und hilflos angesichts der Unwägbarkeiten im Stück. Die ivorischen Darsteller hingegen scheinen diese Freiheiten zu genießen und ihren Vortrag förmlich zu leben", beobachtet Alexandra Friedrich im Deutschlandfunk (20.2.2017). Wer sich erhoffe, dass Licht hinter die Kulissen der Geheimgesellschaften geworfen werde, den werde der "Allmächtigen Baumeister aller Welten" enttäuschen. "Thesen werden ohne Anspruch auf Wahrheitsgehalt in den Raum geworfen, um mit ihnen zu spielen wie mit den Materialien auf der Bühne", so Friedrich: "Trotz der oft skurrilen Ideen und des eindringlichen Spiels der Akteure war es für mich letztlich einerseits zu viel und andererseits zu wenig: zu viele Menschen, Geräusche, Bewegungen. Gleichzeitig zu wenig Substanz."
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