Die Nacht von St. Valentin - Mpumelelo Paul Grootboom inszeniert seinen Theatertext zum Fall Oscar Pistorius in Hamburg als einen Krimi
Verbrechen und kaum Strafe
von Katrin Ullmann
Hamburg, 17. September 2017. Am Ende ist es ein well-made play. Ein Krimi zum munteren Mitraten. Nicht mehr, und auch nicht weniger. Uraufgeführt ausgerechnet an einem Sonntagabend zur besten "Tatort"-Zeit. Mpumelelo Paul Grootboom hat es auf die Bühne gebracht, im Malersaal des Hamburger Schauspielhauses. Der südafrikanische Autor und Regisseur inszeniert dort – und überhaupt zum ersten Mal in Deutschland – sein jüngstes Stück. "Die Nacht von St. Valentin" basiert auf dem schillernden Fall Oscar Pistorius.
Der Paralympics-Star hatte in der Nacht zum Valentinstag 2013 im südafrikanischen Pretoria seine damalige Lebensgefährtin Reeva Steenkamp getötet. Er wähnte einen Einbrecher im Haus und habe, so wird er später aussagen, aus Angst um das eigene und das Leben seiner Freundin vier Schüsse abgefeuert. Der Sportler erhielt mildernde Umstände und wurde zu nur sechs Jahren Gefängnisstrafe verurteilt.
Vier verschiedene Versionen
Die Geschichte, die Grootboom erfindet, spielt ebenfalls in der Nacht zum Valentinstag: Popsternchen Elize Theron wird erschossen, dringend tatverdächtig ist ihr Verlobter Danie Bothe, ein südafrikanischer Rugby-Star. Was wirklich geschehen ist, versucht Lieutenant Stopford herauszufinden. Erzählt wird aus der Perspektive der Oberstaatsanwältin (Thelma Buabeng), die im Moment der Entscheidungsfindung alle Zeugenaussagen noch einmal durchgeht und den Tathergang aus deren Perspektiven rekonstruiert. So erhält der Zuschauer im kühl-grauen Bühnenbild von Katrin Kersten vier Varianten ein- und desselben Abends.
Whodunnit? Maximilian Scheidt und Josefine Israel in der "Nacht von St. Valentin" © Thomas Aurin
Angeleitet werden diese vier Versionen von Lieutenant Stopford (Anja Laïs), die fintenreich die Tatverdächtigen, Verwandten und Freunde befragt. Laïs gibt im im braunen Ledermantel eine aufgerieben-ehrgeizige Ermittlerin, die unversehens von Privatheit auf Professionalität umschaltet und regelmäßig in guter alter Colombo-Manier über die Schulter eine letzte, entscheidende Frage in den Raum wirft. Diese Ermittlerfigur erzeugt zwar einen eindeutigen Erzählermoment, zwingt den Zuschauer aber in eine naive, bald leidenschaftslose Passivität.
Wer war’s – und ist das wirklich wahr?
Ob jetzt jener selbstgefällige Danie Bothe (Maximilian Scheidt) seine Freundin Elize (Josefine Israel) im Affekt oder aus Eifersucht erschossen hat. Oder ob Mimi Khumalo (in der Doppelrolle: Thelma Buabeng), deren Mann Lungie von Danie ins Koma getreten wurde, ihn zu erpressen versuchte. Ob Elize zudem eine Affäre mit diesem Lungie hatte und Mimi sie nach einem furienhaften Kampf getötet hat. Ob Danie Bothe kokste wie ein Verrückter, an Schlafstörungen litt, dem Machtstreben seines Vaters (Samuel Weiss) ausgeliefert war oder einfach panische Angst vor der "schwarzen Bedrohung" hatte: Das lässt einen merkwürdig kalt – obwohl sich die durchweg grandiosen Schauspieler allesamt überzeugend in ihre Rolle(n) werfen. Angelegt sind diese Figuren zwar unfassbar altbacken und schrecklich psychologisch-realistisch, aber gefüllt werden sie immerhin mit Format.
In Verteidigungsstelliung: der Angeklagte. Maximilian Scheidt und Thelma Buabeng © Thomas Aurin
Dass die Wahrheit eine Frage der Perspektive ist und dass sich aus vier unterschiedlichen Wahrnehmungen keine eindeutige Aussage generieren lässt, ist klar. Am Ende – und das ist jetzt wirklich kein Spoiler – werden wirtschaftspolitische Interessen eine rechtmäßige Anklage verhindern. Bis zu diesem (wenig überraschenden) Moment bedient sich Grootboom knapp zwei Stunden lang einer Ausführlichkeit, die keinen Raum lässt für Phantasie. Da wird projiziert und gestikuliert, da fliegen Sätze und Gläser, wird geschrien, geschlagen und vor allem erklärt. Zwischendrin wird Historisches eingeflochten – vom Zweiten Burenkrieg bis zur Anti-Apartheid-Bewegung, von Schwarzenhass bis zur Gated Community –, das dem Zuschauer zwar einen Blick in Geschichte und Gegenwart Südafrikas ermöglicht, aber eine Übertragung ins Hier und Heute oder gar eine Identifikation verweigert. Schon erstaunlich, wie spannungs- und überraschungsarm ein Krimi-Abend geraten kann. Auch oder gerade an einem Sonntagabend.
Die Nacht von St. Valentin
von Mpumelelo Paul Grootboom
Regie: Mpumelelo Paul Grootboom, Bühne und Kostüme: Katrin Kersten, Sound und Musik: Doro Bohr, Video: Marek Luckow, Licht: Björn Salzer, Ton: Katja Haase, Finn Corvin Gallowsky, Dramaturgie: Rolf C. Hemke.
Mit: Thelma Buabeng, Josefine Israel, Anja Laïs, Maximilian Scheidt, Samuel Weiss.
Dauer: 2 Stunden, keine Pause
www.schauspielhaus.de
Grootboom forsche nicht weiter am realen Fall Oscar Pistorius – "er nutzt nur die Konstellation für eine eigene Geschichte", so Michael Laages auf DLF Fazit (17.9.2017). "Ein bisschen wirr die Dramaturgie der verschiedenen Nebenkriegsschauplätze. Den unverminderten Hass der weißen Minderheit auf die schwarze Mehrheit aber stellt Grootboom knallhart aus." Als Regisseur fälle der Autor eher sonderbare Entscheidungen, "sie treiben die Inszenierung oft in die Farce – es darf gelacht werden am schwarzen Boulevard; speziell über den erstaunlicherweiser weiblichen Ermittler (Anja Lais), eine Kreuzung aus Inspektor Clouseau und Kommissar Jensen, wie er die Olsenbande jagt." Wirklich abgründig werde der Abend nie. Fazit: "Grootboom antwortet auf das Pistorius-Rätsel mit einem eigenen. Mehr politische Analyse, mehr Gefühl von Gesellschaft hätte nicht geschadet."
"Für einen reinen Krimi-Plot, den Grootboom mit ermüdender Detailliebe auswalzt, ist das Thema verschenkt", schreibt Annette Stiekele im Hamburger Abendblatt (20.9.2017). "Die Figuren bleiben gefangen im Fernsehspiel-artigen Bühnenrealismus."
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