Valentin - Herbert Fritsch und seine Entourage singen und s(ch)wingen sich am Hamburger Schauspielhaus durchs Oeuvre des bayerischen Volkskomikers Karl Valentin
Hmmm, it's Fritschtime
von Jens Fischer
Hamburg, 28. Mai 2017. Fünf Metronome an der Rampe. Jedes sendet verschieden viele Beats pro Minute in den Saal. So dass kein wohlgeordnetes, die Zeit strukturierendes Tik-tak-tik-tak die Uraufführungsneugier beruhigt – sondern ein polymetrisch schwebendes Geklacker das Interesse erregt.
Fünf Musiker vollführen dazu Arm-Choreografien, die fünf singende Schauspieler bzw. schauspielernde Sänger als dirigierte Anweisungen verstehen. "Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit" ist das Bonmot Karl Valentins, das das Quintett in fünf Tempi gleichzeitig intoniert. In allen möglichen, also dem Satzverständnis hilfreichen, aber auch allen unmöglichen Betonungen. Mit denen werden die Worte zu Silben, Buchstaben, Lauten verhackstückt und fungieren als Noten eines dadaistischen Klanggedichts. Dank grotesker Logik und pedantischer Präzision der Überzeichnungen von Details wird Sprache so lange hinterfragt, bis das Selbstverständliche seine Verständlichkeit verliert. Das ist die philosophische Komik der Valentin'schen Kunst des Zerdenkens. Eine Sprechchoreografie über die Unmöglichkeit der Verständigung.
Die Kunst des Widerspruchs
Regisseur Herbert Fritsch scheint dort einen Geistesverwandten gefunden zu haben. Denn seine Kunst ist es, mit slapstickhafter Genauigkeit die Dinge des Alltags von ihrem gewohnten Platz zu verrücken und durch Überbetonung von Verhaltensdetails den menschlichen Körper zum Widerspruch zu reizen.
Fritsch-Mimen haben mit akrobatischer Gestik, Mimik, Bewegung von Wahrheiten jenseits der Wohlanständigkeit zu erzählen. Eine Körperchoreografie der Befreiung versteckter und wegrationalisierter Gefühle. Fritsch und Valentin kokettieren mit dem Schmerz hinter dem Scherz. Was in der 2. "Valentin"-Szene am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg wunderbar gelingt. Ein hilflos verdruckster Liebesbrief wird chorisch inszeniert. Der betörte Autor beginnt zu stottern, Sätze entgleisen zu Würgearien, Worte zu undefinierbaren Geräuschen, Gesichtszüge ins Fratzenhafte.
Und doch oder gerade deswegen wird die Not, der Zweifel des amourös Rasenden deutlich. Auch seine Eitelkeit, wenn er ein lang gezogenes "hmmm" dahingockelt. Und noch viel mehr durch die Choristen. Einem knallen immer wieder die Hacken militärisch salutierend zusammen, Stichwort: Unterwürfigkeit. Eine Kollegin entäußert mit tränenrotzig hochgezogener Nase das eine und andere geröchelte "ch" – als wäre es ein Ach für die Angst vor unerwiderter Zuneigung.
Das Trostlose entwickelt Fritsch mit Mitteln des Grellkomischen. Das ist schon eine Teufelei. Deswegen ist die Bühne auch gleich höllisch rot illuminiert – und der Raum ständig in Bewegung. Er öffnet, er verengt sich, wird von Wellen durchzogen. Gewaltige Papierbahnen hängen waagerecht und senkrecht an den hoch und runter gleitenden Zügen.
Zwischen Operettenseligkeit und Jazz-Fidelität
Soweit das grazile Vorspiel. Einfach köstlich klingt das Rezept fürs Folgende. Nämlich die spiralig dem Absurden entgegen strebenden Texte Karl Valentins in ihrem bayernden Kunstjargon fett vertonen zu lassen von Michael Wertmüller. Lässig pendelnd zwischen neuer Musik des alten Jahrhunderts, Operettenseligkeit und Jazz-Fidelität hat der Komponist bereits die Musiktage im Donaueschinger Elfenbeinturm aufgemischt.
Als Klangkörper spendiert das Schauspielhaus eine Hamburger Blaskapelle und Steamboat Switzerland, ein Trio mit kraftstrotzend diffizilem Jazzrockschlagzeuger, röhrenden Hammond-Orgel-Melodien sowie einem in seiner Kernkompetenz unerschütterlich wummernden Bassisten. Ungeheure Energie, Agilität und Hellhörigkeit entwickeln sie und freie Improvisationen aus komplex komponierten Bruchstücken. Zusammen mit Fritschs physischem Hochdrucktheater ist ein Klang-, Worte-, Tanz-, Gaudisturm zu erwarten bei diesem Versuch, Karl Valentin neu zu erfinden – ganz ohne Bezug auf die spindeldürre Schlacks-Ikone und das verarmte Kleinbürger-Milieu der von ihm dargestellten Helden.
Erbarmungslose Grimassen
Und super, einmal rocken die Schweizer auch kurz los. Die Bigband-Arrangements garfunkeln ab und an recht groovy. Das hochgradig engagierte Ensemble weiß erbarmungslos zu grimassieren und wahnwitzig zu extemporieren beim Trippeln, Hüpfen, Verrenken, Jagen. Es gibt Lautpoesie und Kabarett. Wortklauberische Arien und piesackende Duette, sanften Irrsinn und beseelte Suche nach Bedeutung. Etwa eine hochtrabend anmutende, nur inhaltsfrei Phrasen dreschende Politikerrede.
Aber ist der Abend nun gelungen? Leider nein. Während das Exaltieren der querulantischen Körper zu kauzigem Tanztheater noch funktioniert, scheitern die Auswuchtungen des Sprachklangs zur komischen Oper. Der Charme der lapidaren Sketche, Couplets und Brettl-Nummern verliert sich in der musikalischen Überhöhung und choreografischen Untermalung. Verkünstelt, zugekünstlert wirken die Pointen. Sie wollen nicht richtig zünden, manchmal sind sie im opulenten Sound auch gar nicht zu verstehen.
Zudem ist kein roter Faden zu erkennen, der die Szenenfolge zu mehr als der Summe ihrer Teile macht. Ja, alles sieht sehr schön aus, alles ist sicherlich auch mit sehr viel Arbeit auf die Bühne gebracht worden. Aber insgesamt erschlagen Kunstwille und Könnerschaft die Komik. Bezeichnender Weise erntet am meisten Gelächter die Rede zu den Vorzügen, Fische in Aquarien statt in Vogelkäfigen zu halten – dargeboten als Clownsduett, das sich mit kindlicher Lust am Spielen auf den Text konzentriert, und zwar a cappella.
Valentin
Texte von Karl Valentin
Regie und Bühne: Herbert Fritsch, Musik: Michael Wertmüller, Kostüme: Bettina Helmi, Musikalische Leitung: Christophe Schweizer, Licht: Annette ter Meulen, Dramaturgie: Peter Schütz.
Es singen und spielen: Yorck Dippe, Jonas Hien, Josef Ostendorf, Bastian Reiber, Ruth Rosenfeld, Bettina Stucky, Michael Weber, Hubert Wild, Gala Othero Winter sowie Steamboat Switzerland (Dominik Blum, Lucas Niggli, Marino Pliakas) und das Jazzhaus-Ensemble (Jan Gospodinow, Oli Gutzeit, Adrian Hanack, Johannes Hirt, Sebastian Hoffmann, Vlatko Kucan, Chris Lüers, Stephan Meinberg, Felix Meyer, Menzel Mutzke, Anatolii Pinchuk).
Dauer: 2 Stunde 10 Minuten, keine Pause
www.schauspielhaus.de
So eine Hommage, wie sie nun Herbert Fritsch darbringe, war bisher ganz bestimmt noch nicht unter den Valentin-Würdigungen, schreibt Irene Bazinger in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (31.5.2017). Mit der spektakulären Uraufführung verbeuge sich Fritsch vor dem großen Kabarettisten des Absurden und grüße ihn als einen Wahlverwandten. Valentins Szenarien lösen sich aus aller lokalen Bodenhaftung und zeigen ihn als exzellenten Equilibristen der Sinnfreiheit. Die Schauspieler "fassen Valentins Stücke wie inspirierende Impulsarabesken auf und kaspern sie zu einem atmosphärisch dichten, kunstvoll choreographierten Nonsens weiter aus".
Kongenialität fehle diesem Abend gänzlich, so der Befund von Till Briegleb in der Süddeutschen Zeitung (30.5.2017), der Karl Valentins Originalität schmerzlich vermisst, diese "bayernfreie Umstülpung Valentins ins Rhythmische" aber als weiteren "Turbo-Fritsch über die Vielfalt von Sprachbehandlung" als sauberen unterhaltsamen Kunstabend durchgehen lässt. Auch wenn man ihm aus Sicht dieses Kritikers "die Arbeit, die drinsteckt, auch ansieht".
"Schade, denn die Schauspieler geben wirklich alles. Sie singen, stottern, spielen wunderbar durchchoreografiert in der Gruppe und schwitzen unter ihren Haarprachten", schreibt Armgard Seegers im Hamburger Abendblatt (30.5.2017)."Aber man hat ihnen die Ernsthaftigkeit, die es braucht, um auch den größten Stumpfsinn erhellend vorzutragen, genommen." "Fritsch habe kein Substrat aus dem Valentinschen gezogen, "sondern den Ernst mit viel zu viel Stammeln und Gehampel, das Traurige mit zu viel klamottigen Wiederholungen und das Feinsinnige mit viel zu bombastischen Arrangements zugekleistert".
"Kein Zweifel, dass hier mit viel Verve, Lust und Könnerschaft gespielt und hoch präzise inszeniert worden ist," so Barbara Behrendt in der Sendung "Kultur heute" vom Deutschlandfunk (29.5.2017). "Nur: Das Tragische im Komischen, das Düster-Untergründige, das Valentins Wort-Wirrungen und sprachliche Grenzgänge auszeichnet, verpufft hier im formvollendeten Kunstrausch."
Den Großteil des Abends verlören Karl Valentins Texte "jede Wirkung im Fegefeuer des Fritsch-Universums", so Alexander Kohlmann in der Sendung "Fazit" beim Deutschlandfunk Kultur (28.5.2017). Herbert Fritsch triumphiere "mit seinen Anarchismus, der auch ganz für sich alleine funktionieren würde, ohne irgendwelche alten Texte, eines längst verstorbenen Komikers, der ihn nicht wirklich zu interessieren scheint." Es fehlt dem Kritiker an diesem Abend die Konzentration, "dafür bleibt der Wahnsinn."
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die musik zu artifiziell.
die schauspieler nicht komisch.
die virtuosität als fleiss an der falschen stelle.
nach hamburg passt es, weil es eine musicalstadt ist.
der humor ging oft in diese richtung.
schade.
schöne kunst macht nicht nur arbeit!
Selber sehen, hören, täuschen und enttäuschen lassen - hingehen, hinsehen, konnte Zweifel und Lachen hervorzaubern, wo sonst nur vernunftstolze Lektüre von Kritiken Leben verebben liesse.
Wenn man ein paar original Sketche von Valentin kennt, ist das ganze Stück eine Zumutung.
Aufgrund des ganzen Lärms versteht man den gesprochenen Text schon fast nicht. Durch die "Vortragsweise" verliert sich jede Komik, Wenn die "Preißen" sich dann noch auf Bayrisch versuchen, wirds albern.
Die "Musik" ist durch die Textfetzen ebenfalls schlecht konsumierbar.
In Verbindung mit der Hampelei, Röchelei und dem Schluckauf auf der Bühne steigert man sich in eine selten erlebte Agression und verlässt den Saal lieber vorzeitig, bevor der Vordermann ggf. Schaden nimmt.
"Kunst ist schön." Das stimmt, hat aber mit dem Stück nichts zu tun und die viele Arbeit hätte man sich deshalb sparen können.