Frotzler-Fragmente - Im Schauspielhaus zu Wien schaffen FUX in einer postmonetären Doppelconférence den Ausweg aus der Krise
Kuh oder die Frage nach dem Geld
von Theresa Luise Gindlstrasser
Wien, 11. März 2017. Das Vokabel-, äh, Programmheft bereitet auf den Besuch der Vorstellung vor: "Exklusiv in dieser Ausgabe: Kleines ABC der Wirtschaft". "Derivat" zum Beispiel, oder "Leitzins", was war das alles nochmal eigentlich wirklich jetzt genau? Wissen wir nicht. Wissen wir viel zu wenig über Wirtschaft. Hat sich FUX gedacht und also "Frotzler-Fragmente. Eine postmonetäre Doppelconférence" im Wiener Schauspielhaus gemacht. FUX, das sind Nele Stuhler und Falk Rößler (die diesmal ohne Stephan Dorn zusammen gearbeitet haben), wurde 2011 beim Angewandte-Theaterwissenschafts-Studium in Gießen als Gruppe gegründet. Schon die letzte Arbeit "FUX gewinnt" wies aufs Interesse an der Geldwirtschaft voraus.
Die Krise im Dauerwippen
Was im kleinen Dorf einfach ist (Wo ist Kuh? Hier ist Kuh!), wird im großen Dorf kompliziert (Wer hat denn jetzt Kuh?). Simon Bauer, Steffen Link, Vassilissa Reznikoff und Sebastian Schindegger wippen in cremefarbenen Ganzkörper-Anzügen. Apathisch in die Ferne lächelnd wiederholen sie formalisierte Abläufe. Ihre Aufgabe für den Abend heißt: Ausführen einer Handlung immer als ausgestellte Bühnen-Handlung.
Die Kapitel heißen "Die Erfindung des Kreditwesens", "Die Erfindung des Tauschhandels" und endlich: "Die Erfindung des Geldes". Und was einmal erfunden wurde, so suggeriert die schematische Geschichtserzählung, ist wert, dass es zugrunde geht. Weil: "Das war vielleicht mal Kuh, das ist jetzt MEINE Kuh" führt zu "die 85 reichsten Menschen besitzen so viel wie die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung zusammen". Und das ist kein Zustand, daraus ergibt sich "die Krise als Normalzustand".
Holla! eine Revue!
Im Jahr 2017 angekommen, ändert sich der Duktus ("Harte Zeiten erfordern Sketche"). Es treten auf: Karl Farkas und Erwin Piscator. Vor schimmerndem Vorhang palavern Bauer und Link hochtourig hin und her. Der G'scheite, der anscheinend alles weiß, und der Blöde, der dann doch vielmehr noch was weiß. Die Doppelconférence, entstanden als Übergangsnummer zur Überbrückung bei Umbauten, entwickelte sich bei Farkas und Fritz Grünbaum im Wiener Kabarett Simpl ab 1922 zur Kunst des misslingenden Wortwechsels. FUX greift auf diese Form zurück, präzisiert sie in klaren Abläufen und lässt den Vorhang immer wieder hoch gehen: Holla! Eine Revue! Inklusive suggeriertem Sprung von der 3-Meter-Showtreppe ins wasserleere Plastik-Planschbecken. Und sowieso glamouröse Gesangseinlagen, zum Beispiel über soziale Marktwirtschaft aus einer muschel-förmigen Luftmatratze heraus.
Vom Matching-Algorithmus
Die "Frotzler-Fragmente" sind aber nicht nur Revue, sind breit recherchierte, politisch-didaktische Piscator-Revue mit Grundgestus ironische Distanz. Die Sketches spitzen sich zu, es treten auf: Stefan und Ralph Heidenreich. Die beiden Brüder haben 2015 "Forderungen" bei Merve publiziert. Die Möglichkeit einer geldlosen Ökonomie, so argumentieren sie, ergebe sich mit den nunmehr existierenden digitalen Speicherkapazitäten. Auf der Bühne folgt Rauch mit rotem Licht. Aus der Showtreppe spricht der personifizierte "Matching-Algorithmus". Wenn der eine was hat und der andere was braucht, dann werden sie miteinander gematcht und die Transaktion auf ihren Profilen vermerkt. Aber, und das formuliert der Abend gegen den spöttischen Verweigerer, den Frotzler, auch hierzu braucht es Optimismus, also einen Vertrauensvorschuss. So wie am Anfang einer die Kuh, der andere die Muschel und beide das Vertrauen geben, bloß dass nun der andere keine Muschel und auch kein Geld mehr gibt.
Optimismus! Vertrauensvorschuss! Oder wie die vier Stimmen lautstark fordern im Chor: Wir müssen uns das, was wir uns nicht vorstellen können, zumindest als etwas, das wir uns nicht vorstellen können vorstellen oder es vielleicht trotzdem doch auch einfach mal vorstellen. Mit diesem Appell Richtung Publikum endet der Abend. Das inhaltliche Hoch auf die Vorstellungskraft verbindet sich mit dem wiederkehrenden selbstreflexiven Verweis auf die immer schon angefangen habende Theatervorstellung. Auch die Merkmale einer Doppelconférence werden thematisiert: das Spiel im Spiel, das mühsame dreifache Ansetzen bis hin zur gelungenen misslingenden Konversation. Werden nicht nur thematisiert, werden auch angewendet.
Frotzler-Fragmente. Eine postmonetäre Doppelconférence
von FUX
Text und Regie: FUX – Nele Stuhler & Falk Rößler, Bühne und Kostüme: Aleksandra Pavlovic, Musik: Jacob Suske, Dramaturgie: Jacob Suske.
Mit: Simon Bauer, Steffen Link, Vassilissa Reznikoff, Sebastian Schindegger.
Dauer: 1 Stunde 40 Minuten, keine Pause
www.schauspielhaus.at
ese Pointiertheit verliert sich auch nicht, wenn der schmale Text nach 20 Minuten in wildrasche Wortwechsel und Gesangseinlagen übergeht. Begleitend reckt sich auf der Bühne nun eine Pyramide aus Treppen empor, wie ein untergegangener Tempel. Aleksandra Pavlovic hat diese Kulissen gefertigt, die ein abstraktes Etwas sind: Farben und Formen, herrlich ohne allzu konkrete Verweislast, trotzdem andeutungsvoll. Vage steigen und fallen auf ihren Kostümen Börsenkurse. - derstandard.at/2000054036709/Frotzler-Fragmente-Vom-Wechselkurs-der-MuschelnDiese Pointiertheit verliert sich auch nicht, wenn der schmale Text nach 20 Minuten in wildrasche Wortwechsel und Gesangseinlagen übergeht. Begleitend reckt sich auf der Bühne nun eine Pyramide aus Treppen empor, wie ein untergegangener Tempel. Aleksandra Pavlovic hat diese Kulissen gefertigt, die ein abstraktes Etwas sind: Farben und Formen, herrlich ohne allzu konkrete Verweislast, trotzdem andeutungsvoll. Vage steigen und fallen auf ihren Kostümen Börsenkurse. - derstandard.at/2000054036709/Frotzler-Fragmente-Vom-Wechselkurs-der-Muscheln"Die Pointiertheit des Abends verliert sich auch nicht, wenn der schmale Text nach 20 Minuten in wildrasche Wortwechsel und Gesangseinlagen übergeht", so im Standard (13.3.2017). Im zweiten Teil ift die Uraufführung im einen Moment Partei für ein mögliches alternatives Wirtschaftsmodell, um es im nächsten mittels guter Argumente in Zweifel zu ziehen. Verökonomisiert zum Beispiel eine Share Economy nicht den guten alten Freundschaftsdienst? Wie immer im Wiener Schauspielhaus wird dem Besucher mit dem Programmheft ein reichhaltiger Handapparat zum Einlesen beigegeben. Auf den mag man später gerne zurückgreifen. Vorerst aber verfolgt man im Hier und Jetzt die schrittweise Transformation eines Kaufmannsladens zur Metapher für EU-Geldpolitik, die Schaumgeburt des Derivats im Planschbecken (Untergangssymbolik?) und ein antikapitalistisches Medley von "Money, quit living on dreams" bis "Oops, I paid it again". Bunt, musikalisch, voll Witz und überraschender Szeneneinfälle nimmt das Regieteam Nele Stuhler und Falk Rößler sein Publikum an der Hand und führt es vom kleinen zum großen Gedanken. Tosender Applaus ist der gerechte Lohn dafür. Bravo! (Michael Wurmitzer, 12.3.2017) - derstandard.at/2000054036709/Frotzler-Fragmente-Vom-Wechselkurs-der-MuschelnIm zweergreife die Uraufführung Partei für ein mögliches alternatives Wirtschaftsmodell, um es im nächsten mittels guter Argumente in Zweifel zu ziehen. "Verökonomisiert zum Beispiel eine Share Economy nicht den guten alten Freundschaftsdienst?" Fazit: "nt, musikalisch, voll Witz und überraschender Szeneneinfälle nimmt das Regieteam Nele Stuhler und Falk Rößler sein Publikum an der Hand und führt es vom kleinen zum großen Gedanken. Tosender Applaus ist der gerechte Lohn dafür. Bravo! - derstandard.at/2000054036709/Frotzler-Fragmente-Vom-Wechselkurs-der-MuschelnBunt, musikalisch, voll Witz und überraschender Szeneneinfälle nimmt das Regieteam Nele Stuhler und Falk Rößler sein Publikum an der Hand und führt es vom kleinen zum großen Gedanken. Tosender Applaus ist der gerechte Lohn dafür. Bravo!"
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