Homburg / Beckmann - Ansgar Haags Antikriegsabend mit Kleist und Borchert in Meiningen
Wie die Welt verrohen kann
von Frauke Adrians
Meiningen, 27. November 2015. Das Meininger Theater hat seiner aktuellen Spielzeit das zeitlos verdienstvolle Motto "Nie wieder Krieg!" gegeben. In seiner Regiearbeit zum Thema klammert Intendant Ansgar Haag zwei Stücke zusammen: Kleists "Prinz Friedrich von Homburg" mit der Schlacht von Fehrbellin, dem Gründungsmythos Preußens; und Borcherts "Draußen vor der Tür", da war Preußen endgültig untergegangen und verbrannt. Verbindendes hätten die beiden Stücke schon. Aber nicht gerade das, was die Meininger Theaterzeitung "Spektakel" behauptet: Hier ist von "den beiden Antikriegsdramen" die Rede. Für den "Prinzen von Homburg" kann man einige Etikettierungen finden, aber ein Antikriegsdrama ist er nun wirklich nicht. Und das ist wohl der Hauptgrund dafür, warum Kleists träumender Prinz und Borcherts traumatisierter Veteran Beckmann schlechter zueinander passen als Haag es gern hätte.
Alles steht schief im Lande Brandenburg, wie Bühnenbildnerin Kerstin Jacobssen es auf die Meininger Bühne baut: Alle Akteure müssen ständig eine schräge Ebene hinauf und hinunter. Das kommt dem jungen, sehr jungen Prinzen Friedrich Arthur von Homburg entgegen, den Hagen Bähr mit einer fast schon penetranten kindlichen Begeisterungsfähigkeit und Rastlosigkeit ausstattet und der ein paarmal zu oft über seine eigenen Füße oder seinen Lorbeerkranz stolpert; fehlt nur noch, dass sich der Kleine mit Hurra die Schräge hinunterkugelt. Welcher Kurfürst, fragt man sich, überließe einem solchen Kindskopf einen potenziell kriegsentscheidenden Truppenteil?
Prinz Unberechenbar
Hagen Bähr darf den Prinzen herrlich komödiantisch spielen. Dass dieser Homburg sich von einem bloßen Handschuh dermaßen ablenken lässt, dass er seinen Tagesbefehl überhört, wundert niemanden; dass er selbst im Angesicht seiner nahenden Hinrichtung noch ganz das arrogante Söhnchen aus besserem Hause gibt, ebensowenig. Aber weil ihm Nachdenklichkeit und Selbstreflexion so offensichtlich abgehen, kommt sein Sinneswandel gegenüber dem Todesurteil – vom unehrenhaften Flehen um Gnade zur erhabenen Akzeptanz des Unvermeidlichen – doch sehr abrupt. Wollte man den "Prinzen Friedrich von Homburg" als Coming-of-Age-Drama verstehen, täte er in der Meininger Inszenierung einen allzu unvermittelten Entwicklungssprung.
Umso wichtiger sind die konstanten Charaktere, vor allem Prinzessin Natalie, die Meret Engelhardt als wahrhaft aufopferungsvoll treue Seele spielt, oder der preußisch korrekte Kurfürst (Hans-Joachim Rodewald), der sich in seiner strengen Pflichtauffassung eben doch erweichen lässt, wenn ihm die Menschlichkeit dazwischenkommt. Beide werden im kurzen Borchert-Teil des Abends wieder auftauchen, beide werden zu Zeugen dafür, dass im 20. Jahrhundert alles viel schlimmer geworden ist: Das namenlose Mädchen in "Draußen vor der Tür" ist so fürsorglich und liebevoll wie Homburgs Natalie, hat aber nicht mehr die Kraft, einen Lebensmüden zu retten; der Oberst hat seine preußischen Tugenden längst über Bord geworfen, seine Menschlichkeit sowieso, und ist nur noch ein zynischer, gnadenloser Kriegsgewinnler. Wie Rodewald den krassen Unterschied zwischen Kurfürst und Oberst herausspielt, das ist fabelhaft.
Bestrafung des Preußenkämpfers
Für eine halbe Stunde Borchert steckt Kostümbildnerin Jessica Karge Kleists Obristen und Rittmeister noch schnell in Kostüme wie aus einem George-Grosz-Gemälde: den grauen Bestattungsunternehmer mit Zigarre (Michael Jeske), die Elbe, die Borcherts selbstmordwilligen Stückhelden Beckmann abweist, und den untoten "Anderen" (Björn Boresch), der nur auf Tode zu warten scheint. Aber der Betrachter wird das Gefühl nicht los, dass der Abend stärker gewesen wäre ohne den harten Übergang von Kleist zu Borchert. Eine Antikriegs-Lehre ließe sich aus Kleists Drama um Krieg, Ehre und Pflichterfüllung auch ohne Borchert-Epilog ziehen. Beide Stücke zu einem Kontinuum zu erklären – so als sei Prinz Friedrich im 17. Jahrhundert zum Preußenkämpfer fanatisiert worden und müsse nun, 1945, die Folgen ausbaden –, das funktioniert nicht, das ist so unangemessen begütigend wie Antonia Derings melancholisch-jazzige Bühnenmusik in manchen Szenen klingt. Und es wird keinem der beiden Stücke gerecht.
Dass Hagen Bähr beide spielen kann, Homburg und Beckmann – wenn auch den einen etwas zu kindlich und den anderen etwas zu hysterisch –, das hat er bewiesen. Zu gönnen wäre es beiden Rollen, sie hätten einen ganzen Abend Zeit, sich zu entwickeln. Dann bräuchte es sicher auch den arg pädagogischen Epilog im Zuschauerraum nicht: Da wandert Bähr / Beckmann durch eine Reihe im Parkett und fordert vom Publikum Antworten. Gegenfrage: Soll uns das mehr beeindrucken als der ganze Kleist? Oder einfach: Muss das sein? Trotzdem tut dieser Abend gut. Nicht, weil er das Bedürfnis nach Antikriegs-Floskeln befriedigt; sondern weil er daran erinnert, dass Krieg nie die richtigen Antworten gibt.
Homburg / Beckmann – Ein Doppelabend
Fassung von Hans Nadolny
Regie: Ansgar Haag, Bühnenbild: Kerstin Jacobssen, Kostüme: Jessica Karge, Musik: Antonia Dering, Video: Maryvonne Riedelsheimer, Musiker: Antonia Dering, Jan Kiesewetter, Leonhard Kuhn.
Mit: Hagen Bähr, Hans-Joachim Rodewald, Anja Lenßen, Meret Engelhardt, Michael Jeske, Peter Bernhardt, Björn Boresch, Sven Zinkan.
Dauer: 2 Stunden 45 Minuten, eine Pause
www.das-meininger-theater.de
Schauspiel und Musik sind für Michael Plote vom Freien Wort (30.11.2015) an diesem düsteren, atmosphärischen Abend "erschreckend und eindrücklich". In ihren Träumen und Traumata zeigten sich Kleists und Borcherts Protagonisten als "wesensverwandte Menschen mit abrupten Gefühlswechseln". Ein "mörderischer Spielrhythmus" werde an diesem Abend vorgelegt, Hagen Bähr "triumphiert" in der Hauptrolle. Kleine Einwände des Kritikers: Die Pause hemme den "Spielfluss", die Videoarbeit im zweiten Teil sei "oft illustrierend und nicht assoziativ ergänzend"; der Doppelabend besitze insgesamt eine "Unwucht", d.h. "Kleists Text und Geist dominieren"; Borchert "berühmtes, berührendes Antikriegsstück bleibt fragmentarisch".
Auf TLZ.de, dem Online-Portal der Thüringischen Landeszeitung (11.12.2015) schreibt Henryk Goldberg: Ansgar Haag müsse in seinem Haus eine "gediegene Konventionalität verbinden mit einem Anhauch von Modernität", so wolle es das Meininger Publikum. Und Haag wisse, wie das geht. Er benutze eine Schräge und kombiniere Borchert zum Kleist. Es sei dann nicht mehr Kleist, aber es sei "gut". Der Abend von Hagen Bähr, der keinen Feldherr spiele, "aber eine Figur". Allerdings führe von dieser Figur "kaum ein Weg zur schließlichen Bereitschaft zum Tod". Bei Borchert dann: "die Konsequenz aus Preußen, das ist der Junge, der endlich lernte, wie es wirklich ist und darüber verzweifelt". Dazu ein "gut disponiertes Ensemble". Die Dramaturgie klappere "hier und da", aber es bleibe ein "eindrückliches Erleben".
Siggi Seus schreibt in der Mainpost aus Würzburg (1.12.2015): Kleists Schauspiel von 1811 und Wolfgang Borcherts Stunde-Null Stück von 1947 seien Anfang und Ende einer "Jahrhunderte währenden preußischdeutschen Tragödie von "Manneswahn und Liebeskraft, von spätpubertärer Traumtänzerei und realem Weltenbrand, von höchster Euphorie und tiefster Verlorenheit". Großen Anteil am Gelingen habe Hagen Bähr mit seiner "großartigen, weil menschlich glaubwürdigen schauspielerischen Leistung". Gerade wegen ihres Zeitsprungs von einem "euphorischen Ende zu einem desillusionierten Anfang" entlasse einen diese Inszenierung mit einem "eigentümlich aufgewühlten Zustand in die Wirklichkeit".
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