Cosimas Hornstöße

von Christian Baron

Meiningen, 11. Januar 2013. Als Richard Wagner 1883 starb, war Cosima gerade einmal 45 Jahre alt. 47 Jahre sollten bis zum eigenen Tod noch folgen, in denen die Gemahlin des Komponisten dessen Vermächtnis ebenso akribisch verwaltete wie ihre eigenen Memoiren pflegte. Um Letztere dreht sich Reinhard Baumgarts "Wahnfried. Bilder einer Ehe", das Jan Steinbach am Meininger Theater zur Uraufführung gebracht hat. Basierend auf dem Drehbuch zum gleichnamigen Spielfilm von 1986, bedient sich der Regisseur für die Dramatisierung eines retrospektivischen Kunstgriffs: Cosima wandelt gedoppelt über die Bühne; einmal in real life (Chris Pichler) und einmal als sich erinnernde und das Geschehen subtil kommentierende Greisin (Ulrike Barthruff).

Ein Trick, der von Anfang an betont, wer in diesem Stück die wahre und einzige Hauptfigur ist – nicht etwa der allseits gepriesene musikalische Genius, sondern die "Herrin des Hauses". Die Inszenierung leuchtet das vierzehnjährige Leben Cosimas mit Richard Wagner (Peter Bernhardt) in all seiner Widersprüchlichkeit aus. Sie trug seine Affären mit der Journalistin Judith Gautier (Anja Lenßen) oder der Sängerin Carrie Pringle (Anne Rieckhof) mit demonstrativer Fassung und opferte sich buchstäblich dem Star, sodass dieser sich gekonnt zum Gesamtkunstwerk stilisieren durfte, während er allezeit ihre herrische Art akzeptierte und sogar von ihm verachtete Menschen wie Cosimas Vater Franz Liszt (Ingo Brosch) dauerhaft im Haus duldete.

In Wagners Wohnzimmer

Das Bühnenwerk jedenfalls schlachtet insbesondere die besagten Affären minutiös aus. Vor allem im ersten Teil hat dieses zweidreiviertelstündige Schauspiel dann auch erkennbar seine Längen. Spätestens, wenn Richard seine Judith zum dritten Mal vor den Augen Cosimas herzt, während deren betagtes Alter Ego sich angeekelt fortdreht, dürfte die Intention klar geworden sein und jedes weitere Mal verkommt zur puren Redundanz. Das geht auf Kosten des jungen Professors Nietzsche (Florian Beyer), dessen spannende Wandlung vom kultischen Verehrer des Ehepaares Wagner zum legendären Hasser Richards zu einer kaum nachvollziehbaren Randerscheinung abgekanzelt wird.

Nach der Pause bekommen die Zuschauer noch einen kräftigen Schluck aus der Pathos-Flasche, denn das Stück wechselt nach dem Umzug der Familie von der Schweiz in das Bayreuther Haus Wahnfried zu einem spritzigen, wenn auch kitschigen Melodram. Da wird Wagners Neufundländer Ruß (Matthias Herold) in zunehmend rührseliger Duzi-Duzi-Manier vermenschlicht, was eine Anspielung auf des Meisters Tierliebe sein mag. Sohn Siegfried Wagner (Lukas Benjamin Engel) wird permanent als grenzdebiler Jüngling dargestellt, was auf sein Muttersöhnchen-Image hinweisen könnte. Wagners Flügel findet indessen fast ausschließlich als Podest zum Reden- oder Tanzbeinschwingen Gebrauch, was den heiteren Esprit des auffallend jovial daherkommenden Richard unterstreicht.

Banalisierung der gefährlichen Seite

Ärgerlich erscheint in diesem Zusammenhang die Banalisierung des von Richard und Cosima gleichermaßen gepflegten Antisemitismus. Immer wieder blitzt dieser in den impulsiven Gefühlsausbrüchen auf, so als sei der Judenhass nichts weiter gewesen als eine affektive Attitüde, welche beide in der damals antisemitisch geprägten Gesellschaft halten sollte. Zunächst wird vollständig auf die Einspielung von Wagners Musik verzichtet; wohl um zu zeigen, dass es hier um die zwischenmenschlichen Beziehungen, nicht aber um den Musiker Wagner geht. Doch warum wird dann derart beiläufig mit dem Rassismus und der bellizistischen Deutschtümelei der Eheleute umgegangen?

Einige Regie-Einfälle wirken dagegen herzerfrischend, wie etwa das Miniatur-Piano, auf dem Liszt spielen muss, derweil Wagners mächtiger Flügel am vorderen Bühnenrand thront. Ein drolliger Hinweis darauf, wie sehr Wagner die Musik seines Schwiegervaters verabscheute, ohne dass er es ihm je ins Gesicht hätte sagen können. Peter Bernhardt blüht in seiner Rolle als Richard erkennbar auf und kompensiert durch sein facettenreiches Spiel auch den auf der Bühne nicht zu erschließenden Größenunterschied zur in Wahrheit gut fünfzehn Zentimeter höher gewachsenen Cosima. Diese wird wiederum von Chris Pichler exakt so zickig verkörpert, wie es der Text vorzugeben scheint. Das spricht für Pichler, aber gegen das an der Oberfläche verbleibende und teilweise ins Sentimentale überspitzte Gesamtwerk.

Rheingold-Finale

Zwangsläufig fügt sich in dieses Bild, dass zum Abschluss mit dem "Rheingold"-Finale dann doch noch ein ausnehmend hochtrabender Wagner-Schnipsel eingespielt wird. Hat man doch zuvor darauf geradezu gewartet und sieht sich beim inmitten des artigen Schlussapplauses erfolgten Blick in die erschöpften Gesichter im Publikum bestätigt in dem, was man da gesehen zu haben glaubt: eine ganz und gar anstrengend-schwülstige, wenn auch streckenweise amüsant-unterhaltsame Mischung.

 
Wahnfried. Bilder einer Ehe (UA)
von Reinhard Baumgart
Regie: Jan Steinbach, Dramaturgie: Miriam Denger, Bühnenbild: Frank Albert, Kostüme: Lisa Dräßler.
Mit: Mara Amrita, Ulrike Barthruff, Peter Bernhardt, Florian Beyer, Ingo Brosch, Lukas Benjamin Engel, Matthias Herold, Anja Lenßen, Chris Pichler, Anne Rieckhof, Harald Schröpfer.
Dauer: 2 Stunden 45 Minuten, eine Pause. 

www.das-meininger-theater.de

 

Kritikenrundschau

"Was Regisseur Jan Steinbach auf Frank Alberts betont theatralische Stufenbühne bringt, ist eine Homestory, in der der Betrachter das Hohe Paar Cosima und Richard lange suchen kann: Er wird es nicht finden", schreibt Frauke Adrians in der Thüringer Allgemeinen (14.1.2013). Im Ton des jovialen Hausvaters plaudere sich Peter Bernhardts Wagner durch eine weitgehend selbstgenügsame Existenz. "Sendungsbewusstsein? Leidenschaft? Nicht die Spur." Selbst wenn er sein Haus als feste Familien-Burg beschwöre, wenn er 70/71 vom "Krieg gegen die welsche Kultur und die jüdische Musik" töne, wirke er unbeteiligt am eigenen Wohnstuben-Antisemitismus. "Sträflich, dass Regisseur Steinbach dieses Thema dermaßen bagatellisiert." Immerhin bringe Harald Schröpfer als Hans von Bülow eine Ahnung von Tragik und Wut auf die Meininger Bühne, "er zeigt den verlassenen Ehemann als einen, der glaubhaft an Verlust und Kränkung leidet." Der Rest sei Farce mit sprechendem Haushund und herumstehenden Commedia-dellarte-Figuren. "Und für eine Farce sind zweidreiviertel Stunden einfach zu lang."

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