Ein Vögelchen am reich gedeckten Tisch

von Claude Bühler

Basel, 28. November 2014. Um es gleich zu sagen, "Schweigen im Walde" hat hier weder mit dem gleichnamigen deutschen Heimatfilm von 1955 noch mit dem ihm zugrundeliegenden Ganghofer-Roman zu tun. Aber auch für den dystopisch anmutenden Ansatz, mit dem das Bühnenevent als Blick aus der Zukunft beworben wird – man stelle sich vor, wir hätten die Natur, so wie wir sie heute (noch) sehen mit Bäumen, Vögeln etc. "verloren" –, findet sich in der gesamten 75-minütigen Darbietung keinen direkten Hinweis.

Was wir aber sehen, ist eine grosse, die Bühnenfläche dominierende Tischfläche (Bühne: Duri Bischoff), auf der, nicht chaotisch wie in der freien Natur, sondern sauber geordnet wie im botanischen Garten allerlei Strauchwerk blüht. Ähnlich proper wirkt der Meister der Laboranlage. Wenn Jonas Gygax im weissen Doktorkittel als Zoologe Adolf Portmann (1897-1982) in steifem baslerisch-hochdeutsch davon doziert, dass der Ruf eines Waldkauzes an das "bestürzende und erschreckende Gezeter eines Kindes, das man erwürgt" erinnere, so entbehrt das nicht einer gewissen Komik.

Waldkonzert für wen?

Aber um knallige Unterhaltungswerte geht es nicht an diesem Abend, den die Marthaler-Schülerin Anna-Sophie Mahler mit leisem Witz versetzt einrichtete. Viel mehr lädt er dazu ein, in verschiedenartigen Szenen und Szenarien zu entdecken, wie sehr wir bei unseren Annäherungsversuchen an die Natur generell und immer die menschliche Perspektive einnehmen. Portmann ist ein geeignetes Opfer für derlei Betrachtungen. Spricht er über den Gesang der Vögel, so geben diese ein "Waldkonzert" (wem?), geht es um ihre Nahrung, so ist der "Tisch reich gedeckt" (Vögel am Tisch?). Und der Fitis habe eine "auserlesene" (von wem?) Klangfarbe, "aus duftigem Tau, der in Absolution (wessen?) übergeht", und "den ich in der Stunde meines Todes gerne noch einmal hören würde".

schweigenimwalde2 560 donata etlin uPieps, pieps! Vogelmusik im Vordergrund, Vogelstimmenaufnahme hinten © Donata Etlin

Bei aller diebischen Freude über solche Sätze: gelegentlich geraten die Exkurse etwas gar lang. Von der Spannung, die Portmanns Vorträge zugeschrieben werden, erleben wir wenig. Umso mehr imponiert im Eindruck die ornithologische Lehrstunde darüber, warum die Vögel in der sommerlichen Mittagsstunde verstummen.

Vogelstimmen-Klavierkomposition

Aber weiter im Thema: Nicht nur der trockene Wissenschaftler in Gummistiefeln und im Anzug (Kostüme: Nic Tillein) gibt sich Blössen, sondern auch der Künstler am Klavier. Stefan Wirth intoniert aus Olivier Messiaens Catalogue d'Oiseaux Klavierstücke, mit dem der Komponist eigens dazu abgelauschte Vogelstimmen wiedergeben wollte. Virtuose Lagenwechsel, irrwitzige Tempi, kühne und sperrige Harmonien, vertrackte Rhythmen: Welch Schauspiel! Aber, ach, ein Kunstkraftakt nur im Vergleich zum Original, das einfach zwitschert.

Daneben amüsieren uns zwei Engländerinnen (Susanne Abelein, Bettina Grahs) mit Mikrophonen auf Tierstimmenpirsch, die lauthals erörtern, welches Tier denn nun das ekelerregendste sei: Fisch oder Frosch, Würmer oder Reptilien. Und auch der Wurm (Susanne Abelein), der sich teilen will und sich fragt, wo denn das Ich hingerate, wenn sein abgetrenntes Unterteil ein neues Hirn bilden werde, ist nicht frei vom menschlichen Egowahn.

Tod ist der Kunstgriff für Leben

Soweit so gut, der Grundgedanke, der im übrigen im Programmblatt nachzulesen ist, wird szenisch beglaubigt. Man versteht auch auf Anhieb, wie sehr Angst, Erotik und Liebessehnsucht Portmanns Verhältnis zur Natur bestimmen, wenn er nahe vor einer Schnecke über den Farbenreichtum ihrer Oberfläche schwärmt. Oder auch die Wehmut, wenn Bettina Grahs leise Schuberts Wandrers Nachtlied anstimmt. Aber sonst, wo will der Abend hin, wo ist die Pointe? Die Geschichte der Begegnung von Portmann und Messiaen – es waren Zeitgenossen –, die nicht stattgefunden habe, wolle man erzählen. Liest sich gut (Programmblatt), führt aber nicht weiter.

Aber vielleicht wollte CapriConnection ja aufweisen, wie sehr wir die Natur indirekt verloren haben. Als Höhepunkt gegen Ende wird nämlich ein Essay namens "Natur" aus dem Jahre 1782 eingefügt. Dieses pantheistisch gefärbte Hohelied, dieses Plädoyer für die Perspektive der Natur, spricht nun Bettina Grahs am Ameisenhaufen lauschend. Die Sätze tragen, ein guter Teil davon könnte gestern verfasst worden sein. "Ihr (Natur) Schauspiel ist immer neu, weil sie immer neue Zuschauer schafft. Leben ist ihre schönste Erfindung, und der Tod ist ihr Kunstgriff viel Leben zu haben."

Damit erhält die Vorstellung noch eine stille Feierstunde, die die Fäden wieder zusammenbringt und die Herzen für den Schlussapplaus (er war kräftig) wärmt. Vom leisen Verdacht, dass damit ein spät eingesetzter Kunstgriff das Thema und diesen im Minimum entspannt angelegten Szenenreigen mit neuer Ladung versehen sollte, konnte ich mich nicht frei machen.

 

Schweigen im Walde – Ein Spiel des Lebens
von CapriConnection
Regie: Anna-Sophie Mahler, Konzept: Susanne Abelein, Anna-Sophie Mahler, Kris Merken, Dramaturgie: Kris Merken, Bühne: Duri Bischoff, Kostüme: Nic Tillein, Musik: Stefan Wirth, Entwurf Puppe: Marius Kob, Licht: Benjamin Hauser.
Mit: Susanne Abelein, Bettina Grahs und Jonas Gygax.
Dauer: 1 Stunde 15 Minuten, keine Pause

www.kaserne-basel.ch

 

Kritikenrundschau

Nadine A. Brügger schreibt in der Basler Zeitung (1.12.2014): Das Bühnenbild sei "atemberaubend", ein Stück Natur "gleichzeitig echt und artifiziell". Wie es wäre die Natur nachzustellen, sei Anliegen der Inszenierung. Das Ergebnis sehe hübsch aus, doch fehle das Leben darin. Es müsste schneller voran gehen, weil "gedankliches Verweilen" allzu rasch zum "gedanklichen Abschweifen" mutiere.

In der bz Basel (1.12.2014) schreibt Alfred Ziltener: An Duri Bischoffs Bühnenbild könne man sich "kaum sattsehen". Er setze ins Bild, dass die Natur, unser "Bild von ihr und unser Umgang mit ihr", eine "historisch und sozial bedingte Konstruktion" sei. Es ei ein Vergnügen Jonas Gygax zuzuhören, wenn er die "erkenntnisreichen, sprachlich ausgefeilten Texte" des Biologen Adolf Portmann spreche. Die Aufführung biete neben "Erkenntnisgewinn und Humor auch anrührende Poesie".

 

 

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